"Masterplan Wallanlagen"
Jevers historisches Erbe - Hohelied der „Absichtserklärungen" - und doch manches fatal
Grundriss der Vestung und der Stadt Jever (1768)
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Die Wälle und der ihnen vorgelagerten Festungsgraben zur Verteidigung der Stadt Jever gegen unliebsame Nachbarn wurden ab 1536 von den Bürgern mit Spaten, Schaufeln und Karren geschaffen. Genauso gab es nur diese wenigen Werkzeuge, als ab 1800 die Wälle planiert und Teile des Ringgrabens zugeschüttet wurden. Es blieben einige Abschnitte des Grabens als Teiche übrig, die wir heute teils noch mit den Namen ihrer damaligen Bezeichnung kennen: Prinzengraft und Blanke Graft. Pferdegraft und Duhmsgraft sind jüngere Namensgebungen, denn um 1768 hieß der entsprechende Abschnitt noch Landschaftsgraft.
Dass sich die Festungsgräben um die Stadt und die Burg über fast 500 Jahre erhalten haben, ist dem steten Ausbau und einer regelmäßigen Pflege zu verdanken. Die überaus nährstoffreichen Abwässer der Stadt, die in den Graftenring flossen („Wasserpfortstraße"), Blätter und Geäst von den Bäumen, die den Stadtwall säumten, sowie viele andere Einträge hätten dieses schmale Gewässer längst verlanden lassen, wenn nicht immer wieder eine geordnete Aufreinigung (auch aus militärischen Gründen) entgegengewirkt hätte. Auch für diese Arbeiten gab es nur Spaten, Schaufeln und Karren.
Mit der Umwandlung der Verteidigungsanlagen von Wall und Gewässer um die Stadt zu einer öffentlichen Parkanlage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheint es unter der 'zivilen' Bewirtschaftung nicht mehr zu regelmäßigen Aufreinigungen gekommen zu sein. In den Anzeigen des Jeverschen Wochenblattes (JW) bzw. seiner Zeitungsvorläufer finden sich ab 1791 die „Ausverdingungen" zum Schlöten von Gewässern, auch der Stadtgraften. Im Abstand mehrerer Jahre wurden die Reinigung einzelner Grabenabschnitte ausgeschrieben, auf die sich „Liebhaber" (Tagelöhner) bewerben konnten. Offensichtlich gab es ausreichend Arbeitskräfte dafür (siehe Zeitungsbericht Jeverländischen Nachrichten (JN) vom 3. Juni 1849 in Seeger S. 129). Auch Anzeigen, in denen das Schlöten angeboten wurde, finden sich im den Ausgaben über das 19. Jahrhundert zuhauf.
Eine Ausschreibung vom 02. Juni 1839 im Jeverschen Wochenblatt
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Das JW vom 29.5.1836: „Das Werfen von Steinen in die Graften um die Stadt und das Schloß wird bei policeilicher Strafe untersagt, und sind die Amtsunterbedienten angewiesen, in der Vorstadt genau darauf zu achten, und die Knaben, welche sie beim Werfen betreffen sollten, sofort vor das Amt zu führen."
Mit der Einrichtung von redaktionellen Beiträgen im bisherigen Anzeigenblatt finden sich auch anklagende Beschreibungen über den Zustand der Graften.
Die JN vom 9. April 1875: „Die Anlagen vor dem Sophienstift machen einen freundlichen Eindruck. Dasselbe kann man nicht sagen, wenn man den in unmittelbarer Nähe gelegenen Theil der Prinzengraft ansieht. Hier wird seit Jahren Bauschutt usw. aus der Stadt abgelagert und ist dadurch eine Steinwüste geschaffen. Es wäre vielleicht jetzt an der Zeit, auch diesen Theil des Grabens zu planieren oder doch den anschließenden Anlagen anzupassen."
Das JW vom 28.03.1918: „Eine wesentliche Verschönerung des Stadtbildes könnte nach Meinung vieler Bürger unsere Stadtverwaltung mit unerheblichen Kosten gerade jetzt bewerkstelligen lassen und zwar durch die Säuberung einiger Graften in der Stadt. Die Graften hinterm 'Erbgroßherzog' und bei der Stadtwage gleichen einem Pfuhl, in dem einen gedeiht Schilf anscheinend ganz vortrefflich, während die andere Graft voller Aeste liegt, die beim Ausholzen der Bäume hineingeschlagen sind. Zu den gut gepflegten Anlagen selbst paßt die mangelnde Instandhaltung der Graften ganz und gar nicht. Noch ist es Zeit, vor Ostern Wandlung zu schaffen, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einiger Soldaten, wenn man die Ursache der Vernachlässigung etwa auf Arbeitermangel zurückführen sollte. Ein schönheitsliebender Bürger."
Wie schnell diese Verlandung erfolgen kann, ist auch heute an der Duhmsgraft am östlichen Ende erkennbar, wo sich vom Wind angetrieben Blätter, Müll und vieles mehr innerhalb von drei Jahren zu einer fast begehbaren Fläche ausbilden. Für die gegenwärtig stark verlandete Prinzengraft habe ich in einem „Abfallbericht" die Problematik bereits beschrieben.
Pferdegraftsanierung 1998: rabiat
(oben © Temmen, unten © Fa. Boyungs) |
Blankgraft 2014: Schlammentnahme mit einem Langarm-Bagger (© Bleck)
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Die jetzigen Klagen über den Zustand der Graften sind also nichts Neues. Reinigungsarbeiten werden solange aufgeschoben, bis aus der Bürgerschaft protestiert wird. Verändert hat sich heute, dass Handarbeiten erheblich teurer geworden bzw. kaum jemand die Arbeit so erledigen will bzw. kann und dass mit den technischen Möglichkeiten jetzt große Maschinen die Arbeiten ersetzen.
Die Prinzengraft (Bilder siehe unten) bekam um 1991 eine Uferbefestigung aus Erlenstümpfen und Birkenfaschinen mit angeschrägter und angefüllter Uferböschung. Das hat leider nicht sehr lange gehalten. Blank-, Pferde- und Duhmsgraft sind 1996 bis 1998 total-saniert worden: Wasser abgepumpt, Schlamm per Bagger herausgekratzt, Bongossi-Wand1) zur Uferbefestigung eingesetzt und Wasserüberläufe eingerichtet.
Die durch den 'Königsdamm' getrennte Blankgraft wurde mit einem Überlauf und Brücke wieder verbunden. An die Prinzengraft traute man sich nicht heran: eine chemische Belastung (Abwässer des Krankenhauses?) und der starke Bauschutt-/Müll-Eintrag sorgten wegen der Kosten für ein Aufschieben bis heute.
Das erwartete Aussehen der Wasserflächen stellte sich nach dieser Sanierung in der Blank- und besonders der Pferdegraft nicht ein: Nährstoffe aus dem Altschlamm wurden offensichtlich freigesetzt, die zu Massenausbreitungen von Wasserschlauch (Ultricularia), Wasserpest (Elodea) und Entengrütze (Lemnoideae) führten und bis heute das Bild der Gewässer prägen. Die Pflege von Wassergeflügel mit den Fütterungen ergänzen den Nährstoffeintrag.
Bei beiden Uferbefestigungsarten (Birkenfaschinen bzw. Bongossi-Wände) haben Wassergeflügel und der Zahn der Zeit Bodenabtrag und Hinterspülungen verursacht. Eine Bodenauffüllung an den 'Vorzeige-Graften' wurde bisher nicht für notwendig erachtet. Die Beseitigung von Schwemmgut habe ich dienstlich2) nach der Sanierung zweimal am östlichen Ende der Duhmsgraft, zweimal an der Blankgraft, einmal an der Pferdegraft und am westlichen Ende der Prinzengraft sowie die beschriebene Langarm-Baggerei am östlichen Ufer der Prinzengraft in meiner damaligen Zuständigkeit für die Wallanlagen genehmigt bekommen.
Seit mehreren Jahren engagiert sich 'Schwanenmutter' Anneliese Janssen und seit 2 Jahren die 'Graften-Initiative' beim 'Abfischen' der Wasserlinsen und der Wasserpest. Alle weiteren Operationen (Baggereinsatz an Duhmsgraft) sind seit knapp 3 Jahren aufgeschoben, denn ein 'Masterplan Wallanlagen' soll es richten.
Ob es einen solchen Masterplan gegeben hat oder ob dieser in der Idee der Sanierungsgebietserweiterung aufging, lässt sich über das Ratsinformationssystem der Stadtverwaltung nicht (oder nur sehr schwer?) nachvollziehen. Auch die beiden folgenden öffentlichen Dokumente der Verwaltung sind bzw. waren in dem sehr komplexen Informationssystem nicht zu finden.
Zwei Planungsbüros haben im Auftrage der Stadt Jever zum Juli 2019 zusammen dieVorbereitenden Untersuchungen Sanierungsgebiet IV Stadt Jever (52 Seiten) und zum September die Fortschreibung 2019 des intergrierten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) für die Erweiterung des Stadterneuerungsgebietes Lohne / Schlachte / Hooksweg / Wallanlagen (100 Seiten) erstellt. Die Arbeiten sind als Begründung zur Genehmigung der Erweiterung des Sanierungsgebietes Nr. 4 nach Hannover geschickt worden, damit auch im Wallanlagenbereich staatliche Zuschüsse für die Sanierungen fließen.
Über die Links können diese Bericht eingesehen werden. Beide Titel werden folgend verkürzt als 'Vorbereitende Untersuchung' und 'Fortschreibung' angesprochen.
Zu diesen Berichten ist aus meiner Sicht einiges zu bemerken.
Planerische Grundlage für die Anlagen ist der Bereich des Bodendenkmals.3) Dieser Bereich ist bei der Denkmalbehörde in Hannover in einer Skizze festgelegt und entspricht dem gelben Feld in der 'Fortschreibung' auf S. 26. Aus meiner Sicht müsste der Bereich der Blumenstraße in den Denkmalsbereich hinzugenommen werden.4) Denn dieses Gelände ist seinerzeit durch die erweiterte Verteidigungsanlage des St.-Annentores als Vorplatz erforderlich gewesen. Zwei Falltore und ein Teil der Brustwehr haben sich dabei im Bereich der heutigen Straße und darüber hinaus befunden (siehe meine Anmerkungen zum 'Mitscherlich-Platz').
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Bau der Reichsstraße im heutigen Verlauf des Elisabethufers ab 1940/41 befand sich dort ein zusammenhängender Park - siehe die Postkarte von 1900. Diesen Platz nach Beseitigung des WK-II-Bunkers mit einer Aussichtsplattform (Turm?) zu versehen ('Fortschreibung' S. 70) ist weder denkmalgerecht noch historisch 'angelehnt'. Das St.-Annentor war ein Durchlass im Wall an der Stelle, wo heute das Mitscherlich-Denkmal steht. Wohin geht die Aussicht von dieser angedachten Aussichtsplatform? Auf den vor der Verkehrsampel stockenden Verkehr an einem der verkehrreichsten Punkte der Stadt? Der umgebende Baumbestand lässt nur begrenzte Durchblicke auf die Kulisse der Stadt zu. Der Blick auf den Kirchturm in der Stadtmitte wird zumindest in der 'blattfreien Zeit' gerade von dort durch den Fahrstuhlturm des „Altstadtquartiers" eingeschränkt.
Der als Hügel verbliebene Bunker aus dem letzten Weltkrieg ist ironischerweise auch eine Verteidigungs- bzw. Schutzanlage. Geschichtlich beachtenswert? Dieser Bunker wurde im Winter 1942/3 als Splitterschutzgang errichtet. Unter diesem könnten noch die Reste der abgebauten Stadttorgräben (wie verfüllt?) erkennbar sein. Dieser Bunker ist seit Jahrzehnten verschlossen und nur noch an wenigen herausstehenden Betonmauern zu erahnen. Von dieser Art Schutzraum sind mir noch zwei weitere Standorte bekannt, die privat und in die Kelleranlagen integriert sind. Andere Bunker im Innenstadtbereich sind schon vor langer Zeit beseitigt worden.
Es gibt einen Antrag der Grünen, ob eine Erhaltung des Bunkers als "steinerner Zeuge des 2. Weltkrieges in Jever" (siehe Artikel im Jeverschen Wochenblatt vom 24.07.2019) möglich ist.
Die Häuser des kleines Straßenwinkels Blumenstraße stehen unter Essembleschutz des Denkmalrechts. Darin könnte auch die Grünfläche einbezogen sein. Dieses müsste noch geklärt werden. In jedem Falle ist bei jeder Änderung der Denkmalschutz hinzuzuziehen und der Schutz dieser Fläche zu sichern. Zuviel wurde bereits von den Wallanlagen für den Straßenbereich und Pkw-Verkehr weggenommen. Ein Parkplatz dort (!) - bei der Diskussion um Klimanotstand etc. wäre das ein Unding. Aber Jever hat wie in jedem Jahr wieder dem SUV/Verbrennungsmotor auf dem Autotag Anfang Juni gehuldigt: alles scheint hier möglich.
Das 'digitale' Orthophoto des Katasteramtes mit der Karte von 1768 überlagert - so gut es geht...
(© Sammlung Bleck) |
Um 1900 von der Blumenstraße Hausnummer 1 gesehen: Mitscherlich schaute auf die St.-Annenstraße (= Durchgangsstraße). Mit der Fertigstellung der Reichsstraße um den Graftenring um 1939/42 wurde diese Grünfläche vom übrigen Gelände der ehemaligen Wallanlagen abgetrennt.
( © Sammlung W. Krüger) |
Ungefähre Lage des Splitterschutzganges.
Luftbild von 1974 (© Sammlung + Repro Bleck) |
Ein weiterer Bereich müsste auch in den Bereich des Sanierungsgebietes einbezogen werden: der Schlossplatz einschließlich eines privaten Areals vor der Volksbank. Denn im Untergrund befindet sich ein begehbares Gewölbe für einen Kanal. Für den ab ca. 1820 neu erstellten Schlosszugang wurde der Teil der Schlossgraft zum Markt hin zugeschüttet. Für die die Entwässerung des übrigen Grabens musste dazu dieser Kanal erstellt werden. Das Bodendenkmal Wallanlagen bezieht diesen Bereich nur unvollständig ein: Der Bereich bis zum Kriegerdenkmal gehört noch dazu, der übrige Teil des Kanals jedoch nicht (s. 'Fortschreibung' S. 26).
Der neue Schlosszugang seit etwa 1820 erforderte zur Entwässerung der Schlossgraft den T-förmigen Kanalbau (gelb). |
Der Wasserstand im Gewölbe (und damit in der Schloss- und Blankgraft) wird durch den festen Ablauf in Höhe des Frl.-Mariendenkmals in den städtischen Kanal bestimmt. Bei der Abzweigung des Kanals sichert eine niedrige Mauer zugleich einen Mindestwasserstand für die Schlossgraft.
Das lose und spaltenreiche Mauerwerk des Gewölbes beherbergt im Winter Fledermäuse und ist damit als Habitat naturschutzrechtlich geschützt. Mit der jährlichen Winterzählung durch Landesbeauftragte kann damit auch gleichzeitig über mögliche neue Schäden berichtet werden. Aber das reicht auf Dauer nicht aus.
Eine Reparatur in einigen Abschnitten sollte erfolgen. Die Zugänglichkeit wird durch den Schlamm behindert - mit den herausgebrochenen Mauerziegeln im Schlamm als Stolpersteine fast ein Balanceakt. Die unterschiedlich tiefe Kanalsohle führt zu Wasserständen bis in Hüfthöhe.
Das Ende des historischen Kanals bei der Volksbank. Das Betonrohr hat aufgrund der Höhenlage keine Funktion
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Am anderen Ende das Tageslicht von der Schlossgraft
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Der Ablauf in die Kanalisation; fest eingemauert
(3x © Sammlung Bleck) |
In den o.a. Antragsunterlagen steht zu diesem Teil der ehemaligen Anlagen der „Vestung" gar nichts - ist ja auch nicht so zu sehen und darum endet der Geltungsbereicht schon vor dem Graftenhaus.
Ausschnitt aus einem Plan von 1824. An der Stelle des Wangertores befinden sich bereits Gebäude auf beiden Seiten der 'Wangerpfortstraße'. |
Ausschnitt aus einem Plan von H. Gier 1890 (koloriert). Das von-Thünen-Ufer wird hier als Frl. Marien-Str. geführt und war ein schmaler Weg. Die Blankgraft musste später für die B210 erheblich schmaler gemacht werden. |
Einigen Aussagen der 'Vorbereitenden Untersuchungen' wäre zu widersprechen. So die „Problematisierung" der Zerschneidung von Alt- und Vorstadt durch die ehemalige Bundesstraße an der Wangerstraße („Aufhebung der Barrierewirkung des zerschneidenden Straßenverlaufs zur Vorraussetzung für ein positives Sanierungsergebnis", S. 9-10). Es wird beklagt, dass die dortigen Gebäude den Grünbereich unterbrechen und auch von der Wangerstraße nach Westen den „stadträumlichen Zusammenhang der beiden Seiten verhindern". In der 'Fortschreibung' unter Pkt 4.5.21 werden Maßnahmen zur „Zusammenführung von historischer Kernstadt und historischer Hafenvorstadt" aufgeführt.
Die seinerzeit durchgehend verlaufende Blanke Graft mit dem Wangertor war in der historischen Zeit aber gerade die deutliche Trennung zwischen Vor- und Altstadt. Mit der Entfestigung wurden auf den zugeschütteten Abschnitten beidseitig des Tores Gebäude gesetzt, 1823 die städtische Waage (heute Verlagshaus Mettcker) und später daneben die Gaststätte „Zur Waage", auf der anderen Straßenseite 1819 das Gebäude des Uhrmachers Wünscher (jetzt Hausnummer 13), ab ca. 1930 das heutige Bismarckmuseum. Ein Wiederherstellen eines „Zusammenhanges" ist unhistorisch. Die heutige breite Straße (von-Thünen-Ufer bzw. Elisabethufer) wurde erst nach 1940 hergestellt (Abriss der Gaststätte „Stadt-Waage" um 1940) und 'ersetzt' gleichsam die damalige Trennung durch den Graben und Wall.
Ob die Vorschläge Verflachung der Ufer, Einsatz eines Floßes und Reduzierung der Breite der Straße beim von-Thünen-Ufer ('Vorbereitende Untersuchungen' S. 23ff) realistisch sind? Der Denkmalschutz wird darauf hinweisen, dass die Gräben eine Abwehrfunktion hatten und nie „Freizeitgewässer" waren, das Ordnungsrecht wird ein Floß (welchen m.W. nicht historisch verbürgt ist) allein aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht zulassen können. Der Ausbau der Straße an der Blankgraft erfolgte vor weniger als 20 Jahren durch Landesmittel bei der Entwidmung der B210.
Meine dienstliche Beschäftigung mit den Gehölzen in den Wallanlagen haben mich über die Jahre seit 1990 ernüchtert. Der Baumbestand ist nahezu vollständig geschädigt und bedarf einer stetigen Kontrolle und Pflege. Über die Jahre mussten viele Bäume entnommen werden. Nachpflanzungen unter dem großkronigen Bestand haben es schwer und bilden bei Sträuchern nur „dünne" Triebe. Auf Dauer wächst im Schatten dann nur noch Rhododendron. Jungbäume suchen Licht durch ein zu schnelles Höhenwachstum. Blumenrabatten sind nur bei großen Lichtungen möglich - siehe die geringen Erfolge an der Blankgraft und bei der Schillerlinde in den Rundbeeten der letzten Jahre. Die Postkartenidyllen um 1900 mit den Rabatten waren nur möglich, weil der Baumbestand jung und klein war.
Es gibt die Ansicht, dass die Sträucherzeilen an der Frl.-Marienstraße und Am Wall so flach zu halten seien, damit von der „Altstadtumfahrung" von-Thünen- und Elisabethufer die Fassaden der Altstadthäuser besser zu sehen seien. Dabei würden dann aber auch die dort parkenden Fahrzeuge gut zur Geltung kommen. Als Spaziergänger in den Anlagen würde ich mich dabei nicht wohlfühlen. Geeigneter erschien mir bisher dagegen, eine dichte und hohe Sträucherreihe im Weichbild der Anlagen als „Ersatz" des ehemaligen Stadtwalles zu sehen, der die Innenstadt abschirmt. Aber alle Gestaltungsmöglichkeiten müssen hinter den wirtschaftlichen Erfordernissen eines pflegeleichten Areals zurückstehen - geeignet für (große) Mähmaschinen, widerstandfähigen Gehölzarten für radikale Rückschnitte bei geringem Personaleinsatz.
Die Meinungen zu einzelnen Maßnahmen gehen ja schon bei Kleinigkeiten auseinander: die einen finden die beiden roten Bänke am Schlosserdenkmal (gleiches Baumuster wie der vom Rat beschlossene Typ) als Farbtupfer interessant, andere wiederum 'ganz schrecklich'. Die einen finden Gänseblümchen im Rasen als Anlass für einen Pflegebedarf, für andere ist der enge Mähturnus von etwa 3 Wochen bereits zu viel. Sind diese Ansichten, die sich jeweils auf einen kleinen Ausschnitt der Gesamtheit beziehen und von der jeweiligen Verfassung des Beurteilers abhängen, ein Maßstab? Was heißt „ordentlich aussehen", was ist damit gemeint, die Anlagen „richtig schick" zu machen - so Bürgermeister Albers beim Neujahrsempfang laut JW 27.01.2020? 'Klinisch' wie manch eine Vorgartenpflege oder eher 'öko'? Die in der Bürgerbeteiligung dokumentierten Ansichten der wenigen Teilnehmer zeigen bereits das Spektrum m.M. unvereinbarer Vorstellungen ('Fortschreibung' S. 18ff). Das Wasserbecken vor dem Graftenhaus zeigt uns, wie sehr Planvorstellungen und das reale Dasein trotz der intensiven Pflege auseinander gehen.
Da als mögliches Sanierungsziel auch Beleuchtungen zu optischen Aufwertungen angesprochen werden (a.a.O. S. 36f) möchte ich darauf hinweisen, dass Bodenbeleuchtungen schon mehrfach in Flächen der Stadt eingebaut wurden, vielfach repariert wurden und längst nicht mehr funktionieren. Seien es die Inselbeleuchtungen sowie bei der Terasse an der Pferdegraft, die Baumbeleuchtungen am Kirchplatz oder die blauen LED-Reihe dort bis in die Kleine Rosmarinstraße und im Blaufärbergang: Elektroschrott, der dort immer noch liegt.
Die Trockenheit der letzten beiden Jahre hat in den Graften zu einer erheblichen Absenkung des Wasserstandes geführt. Nicht nur die Schwäne und Höckergänse hatten mit den hohen Uferwänden zu kämpfen, sondern sicherlich auch der angrenzende Baumbestand, dessen Wurzeln sich an einen höheren Stand angepasst haben. Für die Notwendigkeit einer Verbesserung des Wasserzulaufes in die Graften ('Vorbereitende Untersuchungen' S. 23 bzw. 'Fortschreibung' S. 64) wurde bei der Prinzengraft schon 1990 überlegt, das Niederschlagswasser des Kreishauses einzuleiten. Jedoch versagte m.W. der Landkreis seine Zustimmung. Bei der Sanierung der anderen Graften 1996-98 wurden die Einleitungen von den Straßen (besonders Pferdegraft) bewusst abgeleitet, da das (blei)belastete Abwasser nicht in die Graften gespült werden sollte. Außer von den Schotterwegen (mit den immer verstopften Einläufen) werden die Graften heute allein durch das Grundwasser und den direkten Niederschlag gespeist. Da dieses wetterändernd heute wohl nicht mehr ausreicht, muss nach neuen Wegen gesucht werden. Die Verbindungen der Graften untereinander sowie ihrer Abläufe sind in Der Wasserstand in den Graften zu wehrhaften Zeiten. Ein Bestimmungsversuch beschrieben.
Im Historienkalender auf das Jahr 1960 (S. 19) wird ausgesagt, dass die Brauerei in die Pferdegraft einleitet. Das geschieht heute nicht mehr und wird technisch nur sehr aufwendig sein, da die Brauerei als größerer Wasser-Lieferant ihren Abwassersammelpunkt nahe der Nordergast hat und damit schon 1-2 Höhenmeter tiefer liegt. Die Suche nach geeigneten 'sauberen Wasserspendern', z.B. von anliegenden Wohnhausdächern, wird nicht leicht und ist technisch sehr aufwendig.
Es ist jetzt zu überlegen, ob das Niederschlagswasser heute doch von den Straßen gezielt über drei Einlaufstellen mit Sand- und Schmutzfang genutzt werden sollte: in die Blankgraft neben dem Mettcker-Gelände, in die Duhmsgraft an der Zufahrt zur St.-Annenstraße und bei der Prinzengraft auf der Sophienstiftseite. Vielleicht ergibt dieses sogar eine gewisse Durchmischung der Standgewässer. Zu Frage der Schadstoffbelastung - nach dem Wegfall zumindest des bleihaltigen Kraftstoffes - ist aus heutiger Sicht es sicherlich besser, diese im Niederschlags-Abwasser vor Ort zu behalten, als sie durch die Kanäle ungereinigt schnell in die weite Nordsee zu schicken. Die Graften hätten dann auch die Funktionen
von Regenwasserrückhaltebecken, was technisch gesehen eher an die ursprüngliche Funktion passt, als an das neue Ziel einer „Schaffung naturnaher Uferstrukturen mit Schilf, Schwertlilien, Froschlöffel, Blumenbinse, Schilfetc. als Habitatstruktur für Insekten und Wasservögel" ('Fortschreibung' S. 64).
Bei all diesen Überlegungen ist immer gleichzeitig die Schlossgraft (Eigentum des Landes Niedersachsen) einzubeziehen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat und die zumindest mit der Blankgraft in Verbindung steht (Das Niederschlagswasser der Straße 'Terrasse' wird übrigens schon seit längerer Zeit durch hässliche orange KG-Rohre über die Böschung in die Schlossgraft geleitet).
Die Blankgraft mit den "gestuften Gebäudehöhen" der ehemaligen Druckerei des Verlages Mettcker, Februar 2020.
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Die Baugenehmigung sieht nach bisheriger Kenntnis ein Mehrparteienwohnhaus vor. Fotomontage6)!
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Im November 2019 wurde bekannt, dass die ehemalige Druckerei und ein weiterer Anbau hinter dem Stammsitz Mettcker (Wangerstraße 14) abgebrochen und durch eine Wohnanlage ersetzt werden soll. Der Plan der Architekten Kieselhorst + Piltz sei bereits fertig, habe sowohl die Stadtverwaltung passiert und wurde vom Landkreis bestätigt bzw. genehmigt, der Denkmalschutz habe keinerlei Einwände erhoben. Bürgermeister Albers hat dieses Vorhaben auf Anfrage bestätigt. In der Öffentlichkeit ist von dem Vorhaben bisher nichts bekannt geworden. Das Areal des Mettckerschen Druckerei liegt innerhalb des Sanierungsgebietes.
Dieses, nachdem die Stadtverwaltung gerade den Förderantrag für den Denkmalschutzbereich Wallanlage mit all den hehren Zielen der zukünftigen Erhaltung des städtbaulichen wichtigen Alleinstellungsmerkmals abgeschickt hat. Dabei widerspricht ein solches Vorhaben dem proklamierten Schutz und der Wertigkeit. Ein solches Vorhaben darf nicht geräuschlos durchgezogen werden.
Der Bereich der Blankgraft (grün hergehoben) wird durch keinen Bebauungsplan abgedeckt |
Das vorgesehene Bauareal ist durch keinen Bebauungsplan abgedeckt. Von einem Bauen im Zusammenhang gemäß BauGB § 34 kann angesichts der scharfen Abgrenzung des ehemaligen Wallbereiches und seiner im Verfahren herausgestellten Besonderheit nicht als Ausnahmegrund herangezogen werden. Es ist eine Nutzungsänderung von „Gewerbe" (Druckerei) zu „Wohnen" erforderlich. Alle im Grüngürtel entstandenen Gebäude waren als Geschäfte (Wangerstraße 13 und 15) oder behördliche Gebäude (Stadtwaage, Mädchenschule in den Karl-Jaspers-Angen, das Johann-Ahlers-Haus) erstellt worden.
Das Areal befindet sich im Bereich des Bodendenkmals Wallanlage (welches durchgängig von der Schlossstraße im Dreiviertelkreis um die Altstadt bis zur Sophienstraße/Schlossgraft einschließlich der Bauten an der Wangerstraße und der Straßendurchbrüche St.-Annenstraße, Lindenallee und Sophienstraße besteht).
Gemäß dem niedersächsische Denkmalschutzgesetz § 8 dürfen Anlagen in der Umgebung von Baudenkmalen nicht errichtet, geändert oder beseitigt werden, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt wird.
Der Regionalreferentin für Bodendenkmale, Frau Dr. Fries, war das Vorhaben auf Anfrage im Dezember 2019 nicht bekannt.
Laut 'Vorbereitende Untersuchung', Plan 6 auf Seite 28 steht das gesamte Druckereigebäude unter Baudenkmalschutz.5) Auch wenn dieses lt. Plan auf S. 31 'modernisierungswürdig' sei, findet sich auf Seite 26 ('Vorbereitende Untersuchung') eine Aussage zu Gebäudehöhen: „Die restlichen Gebäude an den historischen Wallanlagen sind üblicherweise nur eingeschossig und erscheinen somit deutlich breiter gelagert". Damit wird doch ausdrücklich ein mehrgeschossiges Gebäude ausgeschlossen. Man könnte auch vermuten, dass solch ein durchgewinkter Neubau im Rahmen des Sanierungsgebietes auch noch gefördert wird, da im Plan 7 auf Seite 31 die "Modernisierungswürdigkeit" angegeben wird.
Es ist davon auszugehen, dass der vorgesehene Baukörper mehr als die jetzt einstöckige Druckerei betragen wird (Kastenbauweise wie bei bisherigen Objekten des Architekturbüros?). Dann entsteht gerade das, was auf Seite 10 als „Barrierewirkung" zwischen Alt- und Vorstadt zu überwinden extra betont wird (wobei diese Argumentation m.M. Unsinn ist, siehe oben).
Wenn ein mehrstöckiger Neubau hier entstehen darf, spricht das Hohn den grundsätzlichen und hehren Begründungen zu der Erweiterung des Sanierungsgebietes (a.a.O. Seite 12): Die ehemaligen Wallanlagen stellen in ihrer jetzigen „fast vollständigen Geschlossenheit eine städtebauliche Besonderheit für denkmalgeschützte Kleinstädte in Nordwestdeutschland dar. Zusammen mit der Schlossanlage bilden sie ein herausragendes ganzheitliches Städtebau und Kulturdenkmal. Dessen Erhaltung muss im Zusammenhang mit ihren funktionalen Qualitäten hoch bewertet werden".
Als Missstand wird in 'Vorbereitende Untersuchung' auf Seite 22 ausgeführt: „Auch der Charakter eines die gesamte Altstadt umschließenden Grünbereichs ist durch die Errichtung der Gebäude an der Wangerstraße sowie die erhebliche Verengung des Grünbereichs an den Karl-Jaspers-Anlagen gestört worden." Ich lese daraus, dass als Programm bei einer Chance solch ein Misstand beseitigt werden soll oder muss. Wenn sich die Gelegenheit bietet, frühere "Bausünden" rückgängig zu machen, sollte diese Chance genutzt werden. Bei der proklamiert hohen Wertigkeit des Graftenringes wäre es vorstellbar, angesicht eines Abrisses wg. Nichtverwendung des Gebäudeteiles, die Blankgraft wieder zu verlängern - gerade in dem Bereich zwischen den beiden städtebaulichen (auch touristischen) Schwerpunkten Neue Straße und Altstadt wäre das nicht nur eine Korrektur, sondern auch eine erhebliche Aufwertung und Attraktion.
Voraussetzungen also, solch ein Projekt nicht nur einfach durchzuwinken, sondern gerade genau zu prüfen. In der Öffentlichkeit wird das Vorhaben bisher nicht thematisiert, auch der Rat hält sich zurück. Eine entscheidende Rolle dürfte dabei spielen, dass die Eigentümer des Areals die Verlegerfamilie ist, die mit dem Jeverschen Wochenblatt politisch wie wirtschaftlich nicht unbedeutend ist.
Proteste, wie 2013 beim Bau des jetzigen Graftenhauses sollen wohl vermieden werden. Vor 7 Jahren wurde das Johann-Ahlers-Haus, gebaut um 1965 als Begegenungsstätte, durch ein fast doppelt so voluminöses Gebäude ersetzt. Das seinerzeit nicht leicht zu verstehende Verfahren (Abwägungen, Fristen für Landeszuschüsse...) hatte - zumindest für außerhalb der Verwaltung stehende Bürger - zu einer erheblichen Mißstimmung in der Stadt geführt. Die jetzt privatwirtschaftliche Konstellation dürfte für das aktuelle Bauvorhaben im Graftenbereich noch um einiges brisanter sein.
Es gibt sicherlich noch viel mehr Argumente, die man anführen könnte oder müsste, um ein solches Vorhaben, dass später einmal als „Bausünde" angesehen wird, zu verhindern.
V. Bleck, Februar 2020
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Fußnoten
Trotz des auch heute noch bestehenden 'Tropenholzverbot-Beschlusses' des Rates wurde Bongossi eingebaut. Erinnert sich noch jemand an die Protestpostkarten von Greenpeace ins Rathaus?
2) Bis zum September 2018 war ich als Mitarbeiter im Bauamt der Stadt für „Grün" zuständig.
3) Die ehemaligen Wallanlagen sollen in der Landesbehörde für Denkmalschutz in Hannover zusätzlich zum Bau- und Bodendenkmal auch als Gartendenkmal geführt werden. Es gibt dafür ein Referat Gartendenkmalpflege. Das Nds. Denkmalschutzgesetz sieht diese Katergorie zwar nicht ausdrücklich vor, ordnet Grünlanlagen jedoch dem Baudenkmal zu [DSchG ND § 3 (2)].
4) Da dieses Gelände seinerzeit zu den Wallanlagen gehörte, sollte es damit auch dem grundsätzlichen Bau- und Bodendenkmalschutz unterliegen. In der aktuell gültigen Liste aus dem Jahr 2000 ist dieses jedoch nicht deutlich. Um das Jahr 2000 bei der letzten Aufstellung der Liste hat mir die Behörde in Hannover mitgeteilt, dass aus vorherigen Kartei-„Stückelungen" nach Flurstücken einige falsche Zuordnungen gemacht wurden, die - auch auf mein Schreiben hin - wieder korrigiert wurden - auf die Fläche der Blumenstraße habe ich seinerzeit aber wohl nicht geachtet (Vorgang im 'Verzeichnis der Baudenkmale' im Bauamt).
5) Durch einen Zuständigkeitswechsel im betroffenen Regionalreferat in Oldenburg von Herrn N. Juister zu Frau C. Ritter hat das Vorhaben offensichtlich dort keine entsprechende Aufmerksamkeit gefunden.
6) Da bisher keine Planungsdaten bzw. Skizzen veröffentlicht wurden, habe ich für die Fotomontage das von dem Architektenbüro erstellte, eigene Bürogebäude in der Mühlenstraße 45 verwendet (gespiegelt).
Die relevanten Unterlagen bzw. Links:
Vorbereitenden Untersuchungen Sanierungsgebiet IV Stadt Jever
Ratsinformationssystem der Stadt Jever
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Die Graften waren schon mehrfach Thema in 'Schripnest':
Der Wasserstand in den Graften zu wehrhaften Zeiten. Ein Bestimmungsversuch.
Die Prinzengraft und der Abfall.
Die Verfüllung der Blankgraft 1886 bis 1890.
Letzte Zeugnisse der Wehranlagen.
Das Mitscherlich-Denkmal in den Anlagen zu Jever.
weitere "historische" Nachrichten:
Straßenbau hat immer Vorrag.
Meldung des Jev. Wochenblattes vom 5.11.1969 |
Die Ankündigung der Sanierung der Prinzengraft in der NWZ am 5.7.1990
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Nahaufnahme in der weitgehend trockengefallenen Prinzengraft im Herbst 2019: Bauschutt, Bauschutt, Abfall - dazwischen die Schalen von abgestorbenen Teichmuscheln (gelb)
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Die Prinzengraft , links die Prinzenallee.
Zum Ende Sophienstraße gab es Fußwege ans Wasser bzw. auf einen Steg. Datum: um 1900? |