Spurensuche im Abraum
Aushub und Abraum werden in einzelnen Haufen abgelegt. Regen,weicher Marschboden und schwere Lastkraftwagen sorgen für großen Schlammflächen. |
Die einzelnen Ladungen wurden intensiv oberflächlich abgesucht. Eigentlich sollte dieses ja möglichen archäologischen Funden gelten, welche Rückschlüsse auf die Beerdigungstradtion bzw. die Einblicke in das frühere städtische Leben erlaubten. Aber mit der Zunahme der menschlichen Gebeine galt das Absuchen vordringlich diesen. Die Knochen sollten bis zu einem möglichen Weiterverbrauch des Bodens nicht offen herumliegen - das Gelände liegt unmittelbar neben einer intensiv frequentierten Spazier-Hundestrecke. Die Abraumhaufen luden geradezu ein, hier die Hunde herumtollen zu lassen. Mit jedem Regenschauer wurden allerdings immer wieder weitere Gebeine freigespült, so dass die Suche sich manchmal im Abstand weniger Tage immer wieder auf alle angelieferten Ladungen erstrecken musste. Schon nach wenigen Ladungen war klar: dieser Boden konnte nicht als Füllmaterial in die Landschaft gebracht werden. Der Kirchenrat wurde informiert und dieser fasste den Beschluss, den gesamten vom Kirchplatz angelieferten Boden als kircheneigen zu betrachten. Da sich dieser Boden (zufälligerweise) bereits auf einem Pachtland der Kirche befand, sollte er hier verbleiben und nach Abschluss aller Bauarbeiten auf dem Kirchplatz und nach der letzten Anlieferung - voraussichtlich zum Herbst 2008 - zu einem "Ersatzfriedhof" gestaltet werden.
Erst der Regen sorgt dafür, dass die tonigen Anteile des Bodens weggespült werden. Die festen Teile werden langsam sichtbar. Der körnige Sand tritt deutlicher hervor und die Gebeine werden goldgelb freigelegt. |
Mit der intensiven
Absuche der menschlichen Überreste
gerieten aber auch wieder andere Objekte in den Focus: neben
Tonscherben, Glas und Metall (Sargnägel und
Sarggriffe) aus mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Zeit sammelten
wir auch Backsteinziegel verschiedener Formate, Reste von grauem
Sandstein, Reste der mittelalterlichen Dachpfannen (Mönch und Nonne)
und Tuffstein.
Alle Funde ergaben sich allein
durch oberflächiges Absuchen des Aushubs nach Regenfällen. Nachdem
allerdings später in einem der zuerst
angelieferten Haufen aus dem Bereich der möglichen
Kirchpütt ein Bruchstück eines roten Sandsteinsarges auftauchte, wurde
diese Ladung weitgehend umgegraben - leider ohne weitere Stücke zu
diesem Sarg zu finden.
In auffallend großen Mengen wurden - insbesondere nach den Regenfällen - die Mengen an modernem Abfall sichtbar: Kunstoffrohrreste, Fetzen von gelben Trassenwarnbändern (Telefon, Strom), rosa Kunststoffstreifen, die in der Zeit vor den gelben Trassenwarnbändern bei Telefonleitung (so wussten es ältere Bauarbeiter) üblich waren. Dazu moderne Betonpflastersteine, Reste von Bordsteinen und gusseisenen Gullischächten, Betonfüllungen, Teerbrocken (zur Kabeldichtung), metallumwickelte Altleitungen, rostige Drähte, Eisenstücke usw. usw. All dieser Müll sollte in dem zukünftigen Friedhofshügel nicht bleiben; davon wurden große Mengen abgesammelt und für die Entsorgung getrennt gelagert. Allein an Trassenwarnbändernresten kam ein fest gestopfter 70 Liter-Müllsack zusammen, dazu weitere sechs solcher Säcke mit anderen Plastikfolien und Verpackungsmaterialien...
Die Straßen und Wege des Kirchplatzes waren in dem letzten halben Jahrhundert mit hartgebrannten "Straßenklinkern" gepflastert. Die jetzt ausführenden Baufirmen hatten die Aufgabe, zuerst diese Klinkerschicht aufzunehmen, die unbeschädigten Klinker für eine Weiterverwendung bzw. für den Wiedereinbau zu lagern. Bruch und angeschlagene Klinker sollten in das Eigentum des Auftragnehmers zur Entsorgung übergehen - so wie es auch für den Boden-Aushub vorgesehen war. Es gelang, die jeweiligen Firmen davon zu überzeugen, die Reste der "aussortierten" Klinker getrennt von den tieferen Bodenschichten aufzunehmen und getrennt zu lagern. Trotzdem enthielt der am Utlander Weg abgeladene Boden große Mengen von diesen harten Klinkern - Bruchstücke und "heile" Exemplare, so dass es sich lohnte, diese herauszusammeln (Unter den Parkzeilen beidseitig des Kirchturmes kam eine zweite gepflasterte Klinkerschicht zum Vorschein, die nicht aussortiert wurde und mit dem Abraum der Auskofferung verfrachtet wurde). Auf diese Weise kamen von diesen Straßenklinkern mehrere Kubikmeter zusammen.
Weiterhin
in unzähliger Menge "tauchten" aus den Abraumhalden
Backsteine auf -
weichgebrannte, orange bis rote Mauersteine;
unbeschädigte
Klosterformate neben noch mit Muschelkalkresten versehene Buchstücke
jeder Größe bis hin zu feinem roten Splittergrus, der entsteht, wenn
diese Backsteine durch Frosteinwirkungen zerfallen oder durch
Baggerschaufeln zermahlen werden.
Klosterformate ließen auf größeres Alter schließen - an
einigen
Grabkammern konnten diese Backsteine ja erkannt werden. Mehrere
Bruchstücke von Formsteinen geben Hinweise darauf, dass eine der
Vorgängerkirchen eine entsprechende Backsteinarchitektur aufgewiesen
hat: Backsteine für Einkehlungen und Abrundungen, für schmale
Rippenbögen und
angeschrägte Steine für Verzierungen. An weiteren
"historischen" Formaten kamen dazu kleinere Backsteinformate
aus roten oder gelben Ton ("Geeltjes"),
härter gebrannten Backsteinen,
die möglichweise zu Mustern eingebaut waren
(In den Niederlanden gibt es noch heute Häuser vollständig aus diesen
Geeltjes - für Jever ist solch ein Haus bisher nicht bekannt).
Besondere Stücke dieser Backsteine wurden abgesammelt, vor dem großen,
großen Rest musste kapituliert werden; immerhin sind die Backsteine zu
einem Großteil Reste der Grabkammern und damit Teil des Friedhofes...
Der
dennoch davon abgesammelte "Bauschutt" betrug mehrere
Kubikmeter
und musste mittels zweier LKW-Fuhren zur Entsorgung abgefahren
werden.
Eine weitere tonnenschwere Fundgruppe eröffnete sich durch das Aussortieren von Feldsteinen. Es ist bekannt, dass zumindest bis in die 1930iger Jahre wenigstens der Straßenabschnitt vor der Töpferei aus Kopfsteinpflaster bestand. Steine aus solch einem Pflaster haben in der Regel eine Größe von ca. 10 - 20 cm Durchmesser und sie tragen meist Abschleifungen von dem darüber rollenden Verkehr. Auch solche Feldsteine traten in dem Abraum zu Tage, aber in geringer Zahl. Auffällig größer war die Zahl von kleineren und auch größeren Steinen. Beide Größen passten gar nicht zu einem Straßenpflaster. Viele dieser in einem breiten Farben- bzw. Mineralspektrum gefundenen Steine waren Bruchstücke. Welche Funktion haben diese Steine gehabt? Im Bauabschnitt 3-1 wurde zwar ein gepflasterter Bereich in ca. 1 Meter Tiefe festgestellt, aber die dortige Fläche war zu klein, um Rückschlüsse ziehen zu können.
Trassenbänder für Telefon und Strom (gelb). Die roten Platikstreifen dienten früher als Warn- und Schutzabdeckung für Telefonleitungen.Im Vordergrund "Geotextil" und Verpackungfolie. |
Und dann gibt es noch die Fundgruppe Tierknochen. Im 2. Bauabschnitt wurde in dem festgestellten schwarzen Grabenbereich am östlichen Rande des Friedhofes eine Abfallgrube für Tierknochen vermutet. Aber es mutete doch eigenartig an, wenn auch auf der Fläche des Friedhofes solche Tierknochen in nicht unbeträchtlicher Zahl auftauchen. Auch die Archäologen haben in situ neben mehreren Begrabenen Rinder- und Schweinezähne freigelegt. Dabei ist die Zahl der Zähne auffällig größer als der Anteil von Knochen (meist Unterkiefer, Hornansätze ). Immerhin ist auch zu bedenken, dass der Boden des hier betrachteten Horizontes von den früheren Bewohnern der Stadt aufgetragen worden ist.
[Bei
diesen Sammlungen und Sortierungen von Resten der früheren Zeit sind
Überlegungen zur Herkunft der Baumaterialien, zu Ursachen der
festgestellten
Streuung über die Fläche des gesamten Kirchplatzes und zum Zustand der
Materialien naheliegend. Neben den Grabkammern dürfte doch eigentlich
kaum "historischer" Bauschutt auf der Fläche vorhanden sein! Waren die
Gründe dazu vollständige Zerstörung
durch Krieg oder Feuer, war es ein anderes Verständnis bzw. ein anderes
Verhältnis zu dem "Friedhof", wenn wieder einmal der Bauschutt nach
einem Kirchenbrand über die Fläche des gesamten Kirchplatzes verteilt
wurde, wenn neben dem Gestorbenen auch Tierreste vergraben wurden? Es
muss davon ausgegangen werden, dass jegliche weiterbenutzbaren
Baumaterialien nach einer Zerstörung oder einem Brand sicherlich einem
neuen Zweck zugeführt wurden. Das kann erklären, warum letztlich nur
wenige ganze Back- oder Tuffsteine übriggeblieben bzw. gefunden wurden
(es gibt für andere Liegenschaften Dokumente
aus früherer Zeit,
die zeigen, dass sogar Abrisse
von Mauern, Gebäuden etc. verkauft bzw. versteigert wurden). Auch für
Sandsteinstücke mag
dieses gelten, seien es Tür- und Fensterrahmen oder auch die Deckel der
Grabkammern - die Kammern selbst mit den Begrabenen blieben
offensichtlich verschont. Dieses sollte aber doch auch für die
vielen
Feldsteine gelten, denn in der freien Natur waren Steine bereits
weitgehend abgesammelt worden. Hier aber liegen/lagen diese in
(vermuteter) größerer
Dichte in dem Aushub, als der natürliche Boden aufweist - und im
Kleiboden gibt es natürlicherweise gar keine Steine....
Und
dann geben auch die vielen gestreuten Knochenreste von Tieren,
insbesondere die Tierzähne Rätsel auf...]
Bei vielen Kleinfunden kann man davon ausgehen, dass diese Stücke ihren Weg auf den Friedhof auch durch frühere Erdtransporte gefunden haben (Scherben, Glas..), dass es sich um verlorene Stücke (Münzen..) oder um Reste von Totenkleidung (Knöpfe, Schnallen..) handelt. Die vielen Bruckstücke der weißen Tonpfeifen können ein Hinweis auf den "sozialen" Ort Kirchhof sein.
Die Dicken von einigen Schädeldecken. |
Die angelieferten und verteilt liegenden Erd- und Abraumhaufen wurden am 13. Februar 2008 mit einem großem Bagger zusammengetragen. Bei dieser Gelegenheit wurde wieder versucht, mögliche Fundstücke zu sichern - das mehrfache Umschaufeln der Erde erzeugte jedoch eine zähe schwarze Pampe, so dass kaum Funde wie Scherben etc. gemacht werden konnten. Einzig wieder zwei gehäuft gefüllte Schiebkarren Gebeine... Für den Bereich des auf 20 x 40 Metern bemessenen zukünftigen Friedhofhügels wurde der Oberboden bis in eine Tiefe von ca. 50 cm abgetragen und der vorhandene Abraum-Boden dort eingebracht. Mit Abschluss der Anlieferung im August 2008 erfolgte ein weiterer Einsatz eines Raupenbaggers, der dort zusammen mit dem weiterhin angelieferten Abraum der Kirchplatzwege einen etwa 1,2 Meter über die Umgebung hinausragenden "Grabhügel" formte. Vier etwa gleichgroße der im Untergrund des Kirchplatzes gefundenen Findlinge markieren vorläufig die Ausmaße dieses Hügels.
Mittlerweile ist die Fläche weitgehend bewachsen. Nach einem halben Jahr hat sich der Boden weitgehend gesetzt. Bei aufmerksamer Betrachtung sind aber auch unter dem Gras immer wieder die durch Regen freigespülten Gebeine, Abfall und grober Bauschutt zu entdecken....
Alle aufgesammelten Gebeine wurden vorerst an einem anderen Ort weitgehend gesäubert, getrocknet und zwischengelagert. So sind über 2 m³ zusammengekommen, die ein Gesamtgewicht von über 650 kg haben (April 2009). Alle Arten von Gebeinen sind vertreten, heile und zerstörte Schädel, Wirbel, Extremitäten, frisch (durch die Baggerei) zerbrochene und teils bereits aufgelöste Knochen und viele, viele einzelne Zähne (Zähne halten sich besonders gut; der Zahnschmelz gehört mit zu den härtesten Stoffen). Dabei sind Gebeine von Kindern mit ihren manchmal noch hauchdünnen Schädelplatten, unmittelbar vergleichbar mit den bis 8 mm dicken Schädelplatten Erwachsener. Gewaltige Oberschenkelknochen zeugen offensichtlich von schwer arbeitenden Vorfahren.
Selten nahezu makellose Gebisse, viel häufiger jedoch stark geschädigte mit platt geschliffenen Backenzähnen. Wenn keine Zähne mehr vorhanden sind, bildet sich die Knochen zurück und verwachsen zu einem schmalen Unterkiefer. |
Der Oberschenkel (Femur) mit dem auffälligen Schenkelhals dient als Kriterium für eine Abschätzung der Anzahl der Begrabenen. |
Im 4. Bauabschnitt wurden durch die Archäologen 81 Personen geborgen, die zur weiteren Untersuchung in die Anthropologie Göttingen verbracht wurden. Aus dem Aushub dieses Bereiches wurden zusätzliche 186 Schenkelhälse gesammelt. Für diesen Bauabschnitt wurden damit von weiteren mindestens 93 Personen die Überreste nach Wiefels gebracht. Diese hohe Zahl trotz der erheblich geringeren Eingriffsfläche gegenüber den Straßenflächen erklärt sich aus dem Kernbereich des Friedhofes.
Seit
dem September 2008 ruht der Abraumhügel in Wiefels. Dennoch
werden
weiterhin Gebeine freigespült. Bis zum April 2009 hat sich die Anzahl
der Oberschenkelknochen (Femur) auf 430 erhöht. Durch die Baumaßnahmen
auf dem Kirchplatz in Jever sind mit dem Abraum daher die Gebeine von mindestens
215 Menschen nach Wiefels gefahren worden.
Nicht hierin enthalten sind die 10 Personen, die vollständig in den
Särgen geborgen wurden und auch nicht die 81 Personen, die in Göttingen
untersucht werden.
Was geschieht mit diesen Gebeinen?
30.03.2009
neugestaltet 2024
V. Bleck