Charte von der Herrschaft Jever 1801

von dem Kartographen F. L. Güssefeld

Der Kartograph Franz Ludwig Güssefeld wird in der Neuen Deutschen Biographie zu den angesehensten und produktivsten Kartographen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts gezählt. Er wurde 1744 in der Altmark geboren und starb 1808 in Weimar. Sein Lebensmittelpunkt war Sachsen-Weimar und er veröffentlichte im wesentlichen bei dem Verleger Homann Nachfahren in Nürnberg, zu seiner Zeit als „Homannische Erben“ bezeichnet.

1801
Titelkartusche der Karte
Laut Wikipedia und Neue Deutsche Biographie zeichnete er sich besonders durch Genauigkeit aus, in dem er die seinerzeit bekannten geographischen Nachrichten, mathematischen und astronomischen Daten einbezog. Er erstellte Karten einzelner Verwaltungseinheiten Deutschlands wie auch Karten der Kontinente von Amerika, Asien und Afrika.

An der norddeutschen Küstenlandschaft scheint er nicht bekannt zu sein. Die einschlägigen Kartensammlungen H. Harms und A. W. Lang erwähnen seinen Namen nicht. Dennoch hat er eine meiner Ansicht bemerkenswerte Karte gezeichnet: Die „Charte von der Herschaft Jever. Nach astronomischen Bestimmungen und im Lande selbst gemachten Zeichnungen, auch andern Hülfsmitteln entworfen von F. L. Güssefeld. Nürnberg bey den Homannischen Erben. Mit Röm. Kaiserl. allergn. Freyheit. 1801.“
Ob Güssefeld nach diesen Angaben aber wirklich hier vor Ort war, lässt sich aus den o.a. ausführlicheren Biographien nicht erkennen. Leider gibt außer den erwähnten Aussagen im Titel und der Darstellung der vorkommenden Entfernungsmessungen (geographische Meile, Seemeile, Oldenburgische Meile) keine weitere Legende bzw. Erklärung zum Anlass dieser Karte.


Die an den Kartenrändern angegebenen Koordinaten beziehen sich auf den „Ferro-Null-Meridian” der Insel Ferro - heute El Hierro der Kanarischen Inseln (näheres dazu in Fridrich Arends, Das Jeverland um 1816 hier auf Schripnest).
Angegeben in der Karte sind die Vogteigrenzen in unterschiedlich hervorgehobenen, aber nicht einsichtig vergebenen Farben (grün, blau). Zusätzliche Inhalte der Karte sind die Gewässer und schraffierte Bereiche zu Heide, Unland und Hammrich. Das besondere an dieser Karte ist, dass diese zwar die Ortschaften des Jeverlandes mit den damals üblichen Signaturen angibt (Punkte, Kirchenkreuz, Burgfahne), dazu aber keine Wege und Straßen. Stattdessen sind Deichlinien eingetragen (es ist nicht anders zu interpretieren). In der hier verkleinerten Darstellung habe ich diese Deichlinien rot hervorgehoben. Sehr schön sind die Sielorte mit ihren Deichnieschen erkennbar, im Bereich der Jeverlandes von Süd nach Nord an der Jade (in der Schreibweise der Karte) Mariensiel, Bandter Siel, Rüstringer Siel, Hook Siel, Krildumer Siel, Joster oder Honsdieper Siel, Hormser Siel und an der Nordsee Friederiken Siel. In der Herrlichkeit Kniphausen gibt es das Inhuser Siel und im westlich angrenzenden Ostfriesland das Carolinensiel. Auch die durch die voranschreitende Landgewinnung mittlerweile im Binnenland liegenden ehemaligen Siele sind nicht vergessen: Alte Krildumer Siel, Alt Garmser Siel, Neu Garmser Siel; in Ostfriesland Alt und Neu Funixer Siel. An einigen Stellen finden sich an der Deichverläufen Beschreibungen: Alter Deich mehrfach in der meist zweiten Deichlinie. Nördlich Oldorf nach Osten verläuft die Südwendung, bei Niende der Scharingerdeich.

1801
"Charte von der Herschaft Jever" von F. L. Güssefeld, 1801.
Verändert, die Deichlinien sind hier rot eingefärbt.
Eine Vergrößerung ist über die rechte Maustaste und "Grafik anzeigen" möglich.

Je weiter wir nach Südosten ins Binnenland kommen, um so spärlicher werden die Einzeichnungen. So fehlt die "Clevenser Sietwendung", die von Sandel über Schluis (dieser Ort wird nicht erwähnt) und Middoge bis an den alten Ringdeich bei Altgarmsiel als Binnendeich gegen ostfriesische Fluten im Süden, im Norden als frühe Begrenzung zur noch offenen Harlebucht errichtet wurde.

Die angegebenen Deichlinen stimmen mit den in anderen Karten, auch den modernen, weitgehend überein. Abweichungen betreffen besonders Deichlinien im Binnenland. So fällt eine 'Deichlinie' auf, die wir heute von Schortens über Siebetshaus nach Jever führend als Klosterweg und Jeversche Straße kennen. Diese führt in der dann beginnenden Marsch weiter nach Norden paralell zu einem Deich, der bei Westrum beginnt bis zur erwähnten Südwendung nördlich Oldorf. Hierbei kann es sich nur um die heutige Straße von Jever nach Oldorf handeln. Die Nutzung von Deichen als Wege ist für viele ehemalige Deichlinien bekannt. Die Deichlinie von Westrum über Schreiersort ist noch heute im Gelände nachvollziehbar.

Interessant wäre ein Vergleich der bei Braunsdorf/Martens aufgezählten Deichlinien (Geogr. Beschreibung, S. 62 ff), das ich hier aber nicht vertiefen will.

Die oben attestierte Genauigkeit der Arbeiten von Güssefeld mag in der Zeichnung stimmen, für dieses Kartenblatt aber fallen die vielen abweichenden Namen von Orten bzw. abweichende Schreibweisen auf: Wichlens, Alfacker und Vuleriege, Reisebe bei Wiefels und Herrnstede, Babbens, Rauda, Landwurden sind einige Beispiele.

Es gibt aber auch bis heute 'untergegangene' Ortsbezeichnungen. Da ich mich fast nur in der jeverschen Umgebung genauer auskenne, fällt mir sofort die Bezeichnung 'Vogelsang' südwestlich der Stadt auf. Bisher ist mir dieser Name auf keiner anderen Karte begegnet. Es handelt sich hierbei um eine gleichnamige Gaststätte auf dem Pannewarf, die bei Braunsdorf/Martens und in verschiedenen Anzeigen im Jeverschen Wochenblatt des 19. Jahrhunderts erwähnt wird.

Zur weiteren eigenen Betrachtung lässt sich die Karte durch Rechtsklick an der Maus und 'Grafik anzeigen' und mit den Tasten 'Strg' und gleichzeitig '+' erheblich vergrößern bzw. mit 'Strg' und gleichzeitig '-' verkleinern. Mit den Schiebern an den Fensterrändern rechts und unten lässt sich der Bildausschnitt verschieben.

Um 1800 gab es mehrere Unternehmungen, genaue Karten herzustellen. Dabei haben sich die verschieden Kartenherstellen gegenseitig unterstützt. Nachzulesen ist dieses z. B. in Arend W. Lang ab Seite 68 und bei Bauer/Knollmann (siehe Quellen).

Ich habe drei weitere Karten mit dieser Region (Ausschnitte) der Karte von Güssefeld gegenüber gestellt. Die o.a. Vergrößerungstechnik gilt auch für diese Karten. Damit kann jeder Leser seine eigenen Untersuchungen anstellen.

Camp-Bunnik 1802
Mentz - Oeder 1802 (1803 - 1808)
Le Coq 1805

Angegeben sind mit den Jahreszahlen die (Erst-)Erscheinungsdaten. Je nach Zugriffsmöglichkeiten auf Vermessungsdaten der jeweiligen Militär- und anderweitig Beauftragten der angrenzenden Hoheitsgebiete änderten sich die Darstellungen außerhalb der Landesgrenzen. Die 'sparsame' Darstellung des Jeverlandes ergibt sich daraus, dass Camp und Bunnik vordringlich die preussischen Gebiete bearbeiteten. Le Coq, dessen gesamtes Kartenblatt als "Topographische Karte in XXII Blaettern den grösten Theil von Westphalen enthaltend [...], Section II: Karte des Nordöstlichen Theils von Ostfriesland, der Herrschaften Jever und Kniphausen, so wie des Amts Ritzebüttel und eines Theils von Hannover und Oldenburg | [1805-1813]" umfasst, zeigt wiederum für den ostfriesischen Bereich eine wesentlich 'dünnere' Dichte an Angaben.

Versuch, die Kamp'sche Karte (rot) mit der von Güssefeld (grau) zur Deckung zu bringen.
Siehe Text.

Ich habe versucht, die Karte von Kamp und Bunnik lagerichtig an die von Güssefeld anzupassen. Das geht nicht ohne eine ungleichmäßige Stauchung besonders im südlichen Bereich - so unmaßstäblich zueinander sind die Karten. Die Orte Sandel, Minssen und Rüster Siel wurden dazu mit der Karte von Güssefeld in Übereinstimmung gebracht - so gut es eben geht. In diesem 'fixen' Dreieck passt sich dann das übrige Kartenbild mit Hilfe der Bildbearbeitung an. Die Karte von Kamp und Bunnik ist zur besseren Unterscheidung rot dargestellt. Über die Übereinstimmungen bzw. Abweichungen mag es verschiedene Gründe geben. Falls die im Internet vorhandenen Kartenvorlagen verzerrungsfrei dem Original entsprechen kann jedenfalls von einer 'platten' Pause nicht die Rede sein.

Es bleibt vorerst offen, inwieweit Güssefeld mit den anderen Geodäten für diesen Landstrich zusammen gearbeitet hat, ob er tatsächlich auch vor Ort war. Zumindest ist er offensichtlich mit der Herausgabe im Jahre 1801 den anderen Kartenherstellern zuvorgekommen.

Danke an Heike für den Fund.

V. Bleck, November 2019

Quellen:
Eine digitale Datei höherer Auflösung befindet sich in der Deutschen Digitalen Bibliothek. Die Karte hat im Original eine Größe von 54 mal 42 cm.

Die oben verwendete Karte von Güssefeld stammt aus der Sammlung http://sammlung.koerber-einbeck.de/
Viele Karten von dem heutigen Niedersachsen - auch die von Kamp, Mentz und Le Coq - finden sich hier in hoher Auflösung und sind auf den eigenen Rechner ladbar.

Im Online-Buch Niedersachsen. Landkarten und Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart
wird auf Seite 133 auch die Karte von Güssefeld beschrieben.

Arend W. Lang, Kleine Kartengeschichte Frieslands zwischen Ems und Jade (1962)
Hans Harms, Oldenburgische Kartographie in fünf Jahrhunderten. Veröffentlichung der Oldenburgischen Landschaft Band 8, 2004

Karte des Herzogtums Oldenburg von C. F. Mentz. Karte des Herzogtums Oldenburg von A.P. Freih. v. Schrenck. Erläuterungen von Hans Bauer und Wilhelm Knollmann: https://www.lgln.niedersachsen.de/download/126554/Oldenburg_1803_und_1856.pdf

Carl Ludwig von Le Coq und die Topographische Karte von Westphalen, 1796-1813: https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=828&url_tabelle=tab_websegmente

G. v. Oeders "Karte von dem Herzogthum Oldenburg. Nördlicher Teil" 1808. Einsehbar unter https://kulturerbe.niedersachsen.de/fullscreen/record_kuniweb_21990/1

Karte Von Dem Herzogthum Oldenburg : Nach den trigonometrischen und topographischen Vermessungen desselben, und den neuesten astronomischen Orts-Bestimmungen ; Nördlicher Theil: mit den angrenzenden Herrschaften Jever und Kniphausen und den Mündungen der Weser und Jahde / nach den Vermessungen von Wesel .... gezeichn. von C. F. Mentz 1802, gest. von Tischbein 1804: www.stadtmuseum-oldenburg.de/online-karten/gross-herzogtum>karte-33

Weitere Karten dieser Region können über folgende Internetseiten eingesehen werden (Beispiele):
http://www.stadtmuseum-oldenburg.de/online-karten/willkommen
http://michaelrecke.homepage.t-online.de/kartena1.htm
http://www.wessels-oldenburg.de/Historische_Karten.html
http://www.atlassen.info/kaarten/algemeen/reymann/reymann.html#summary