Fridrich Arends: Das
Jeverland um 1816
-
geographisch, statistisch, landwirtschaftlich -
mit einer Karte von le Coq 1806
In
den Jahren 1818 bis 1820 hat der gehörlose Fridrich Arends aus
Loppersum -
laut Nachweis in
der Online-Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft: Johann Friedrich
Arends, * 1782 -
† 1861,
Geograf, Wirtschaftswissenschaftler und Kulturhistoriker - ein
dreibändiges Werk herausgegeben: Ostfriesland
und Jever in geographischer, statistischer und besonders
landwirtschaftlicher Hinsicht. Jeder Band
umfasst
etwa 450 Seiten. Der Anlass zur Erstellung dieses umfangreichen
Werkes wird im Vorwort des ersten Bandes erläutert: Die
Empörung des Autors über einen Bericht im Jahrbuch der Landwirtschaft,
Jena 1811. Hierin sei eine übertriebene und lächerliche Darstellung
über Ostfriesland verbreitet worden, die nicht so stehen bleiben könne.
Zudem seien die beiden bisher einzig erschienenen Werke über die Region
Ostfriesland, "Bertrams Geographie" und "Freeses Ostfries- und
Harlingerland", höchst unvollständig, fehlerhaft und veraltet.
Neben
der inhaltlichen Gestaltung lässt sich auch der praktische
Entstehungsgang eines solchen Werkes in der Zeit um 1816
nachvollziehen. Die Arbeit
wurde über Subskribenten vorfinanziert. Im ersten Band (mit Nachträgen
im zweiten Band) werden etwa 790 Herren (einige Frauen wurden als
Wittwe des Mannes aufgeführt; in Jever aber Frau Commisionsräthin
Jürgens direkt erwähnt), nach Wohnorten augeführt, mit Titel bzw.
Berufsbezeichnung sowie Namen genannt. In der Ansprache dieser
Suskribenten gesteht Ahrends bereits im ersten Band, dass der Inhalt um
ein Drittel erweitert wird und damit die Druckkosten gestiegen seien.
Der Preis von 1 Reichstaler 4½ Stüber sei nicht zu
halten; 2 Rthlr. wären jetzt erforderlich: „ ..
wird daher Jedermann so billig finden als gern erfüllen.”
Immerhin bietet er bis Ende des Erscheinungsjahres ein
Rücktrittsrecht an.
In
Band 2, 1819
erschienen, wird in der dritten Abteilung die Herrschaft Jever
vorgestellt. Dieser 110 Seiten lange Abschnitt ist von mir aus der
Fraktur-Druckversion in heutige gebräuchliche Schrift übertragen worden
und kann von hier als Dokument (PDF) auf dem eigenen PC gespeichert und
dort
gelesen oder ausgedruckt werden. Motivation für mich ist dabei, diese
frühen Beschreibungen dieses Landes Interessierten näher zu bringen
(Geschichte, Einblick in den Alltag vor 200 Jahren, lesenswerte
Beschreibung usw.). Zwar gibt es das Werk in
verschiedenen Bibliotheken (auch im Schlossmusuem Jever), aber bei
solch alten Büchern wird es meist keine Ausleihe geben. Gleichzeitig
ist das Lesen der Frakturschrift nicht mehr für Jedermann eine
Selbstverständlichkeit.
Einige Gesichtspunkte
möchte für den Abschnitt über das Jeverland vertiefen.
Bereits
in der ersten Fußnote des Berichtes über das Jeverland weist Arends auf
die Nutzung einer zur Verfügung
gestellten Handschrift hin, einer „geographischen
Beschreibung Jeverlands.”
Aus
verschiedenen Hinweisen lässt sich schließen, dass dieses Manuskript
das
von Martin Bernhard Martens und Magister Johann Gottlieb Siegesmund
Braunsdorf ist, welches erst 1896 vom F.W. Riemann aus der Bibliothek
des heutigen Mariengymnasiums in Druck gegeben worden ist: „Magister
Braunsdorfs, Prediger zu Waddewarden, Gesammelte Nachrichten zur
geographischen Beschreibung der Herrschaft Jever.” Auch im
Subskribentenverzeichnis findet sich
Magister J.G.S. Braunsdorf († 1825;
M.B. Martens
war
bereits 1809 verstorben).
Im
Zeitalter des GPS (Global Positioning Systen), der modischen Aufdrucke
der geographischen Positionsangaben auf T-Shirts des Brauhauses oder
auch des erweiterten Namens des Bremerhavener
Klimahauses -
8°
Ost - fällt bei Arends bei der Beschreibung der Stadt Jever im zweiten
Kapitel die
dortige Meridianangabe mit einem viel zu hohen Ostwert von 25°32'30'' auf. Arends
bezieht sich dabei auf den Kartographen le Coq. Was hat es damit
auf sich?
Hier
eröffnet sich ein Nebenzweig in eine nicht minder spannende Reise bis
in die jüngste Geschichte. Bereits Ptolemäus (150 n.Chr.) hatte die
Kugelgestalt der Erde erkannt. Entfernungen in der bekannten Welt
zusammen mit der Erdkrümmung ließen die Größe des Globus
annähernd
bestimmen. Was sich auf der Rückseite der (zu klein berechneten) Kugel
befand, war zwar noch nicht bekannt. Aber irgendwo musste eine
Karte darüber einen Anfang haben - und der wurde an den äußersten
westlichen
bekannten Punkt auf der Insel Ferro - heute El Hierro der
Kanarischen Inseln gelegt. Noch 1634 wurde der „Ferro-Null-Meridian”
bei den
Seefahrern als Orientierung bestätigt. 1884 wurde nach langer
Konkurrenz zu Paris der Null-Meridian durch die Sternwarte in Greenwich
international vereinbart. Deutschland trat dieser Festlegung 1885 bei (http://de.wikipedia.org/wiki/Ferro-Meridian).
Bei Berücksichtigung
des
'amtlichen Korrekturwertes' von
17°49'46,02'' ergibt sich recht genau der heutige Wert. Der Kirchturm
in der Stadtmitte hat heute
die Kordinaten 7°54'3,26' Ost und 53°34'24,11 Nord.
Allerdings könnten
sich die Angaben von Arends bzw. le Coq auch den Schloßturm beziehen;
der hat die Koordinaten 7°54'10,06'' Ost und
53°34'19,67'' Nord (nach ALKIS).
Um
1800
erlebte die
Landesvermessung und Kartographie aufgrund der neuen wissenschaftlichen
Methoden gewaltige Verbesserungen. Der preußische General Karl Ludwig
von
le Coq stellte zwischen 1797 und 1805 für
Nordwestdeutschland ein aus 20 Blättern bestehendes Kartenwerk
zusammen. Er stützte sich neben eigenen Vermessungen
auch auf andere vorhandene Teilkarten (Camp für Ostfriesland,
Vogteikarten Oldenburg..). Fridrich Arends bevorzugte die Karte von le
Coq gegenüber der von Camp (siehe Band 1) und es ist zu vermuten, dass
er bei seinen Reisen und
Beschreibungen der Amtsbezirke diese Karten nutzte.
Der
überwiegende Bereich des beschriebenen Jeverlandes befindet sich auf
dem Kartenblatt Nr. 2. Ein geringerer Teil befindet sich auf dem
Kartenblatt Nr. 4.
In
der nebenstehenden Karte habe ich für das Gebiet des Jeverlandes
Ausschnitte dieser beiden Kartenblätter zusammengefügt -
soweit
die Verzerrungen es zulassen (die Blätter
wurden von verschiedenen Geographen gezeichnet und wiederum anderen
gestochen). Es ist zu
erkennen, dass die beiden Kartenblätter teilweise unterschiedliche
Darstellungen verwenden. So wird die Signatur der Grenzen auf dem
südlichen Blatt (etwa südlich einer Linie durch Upjever) nur sparsam
eingesetzt. Dass le Coq vorhandene Karten in seine Sammlung
einbezog, lässt sich deutlich an der Darstellung des Jeverlandes im
Vergleich zu dem umgebenden Ostfriesland bzw. Herzogtum Oldenburg
erkennen.
In den erhältlichen Ausgaben sind die Karten
einfarbig. Zur besseren
Übersicht habe ich größere Gewässer (Tiefs, Leiden, Siele, Seen: blau)
sowie Deiche (grün) und die Vogteigrenzen (rot) eingefärbt. Die
Vogteigrenzen spielten zur Zeit der Beschreibung von Arends
kaum noch
eine Rolle. Aus den sieben ehemaligen Vogteien sind nach den
verschiedenen
Landesregierungen zwischen 1787 und 1818 drei Ämter entstanden: Jever,
Minsen und Tettens. Arends bezieht sich auf die ehemaligen Vogteien und
Kirchspiele jedoch so häufig, dass die Karte von 1806 dennoch gute
Dienste leistet.
Fridrich
Arends beschreibt
ausführlich die bodenkundlichen Eigenschaften in den
verschiedenen Regionen der Ostfriesischen Halbinsel. Lesenswert sind
daher auch die speziellen landwirtschaftlichen Kapitel mit eingehender
Beschreibung der Bewirtschaftung der dem Meer abgerungener Bereiche und
seine Hinweise auf die landwirtschaftliche Praxis. Man glaubt, zusammen
mit ihm auf den Feldern und Grünenländereien zu stehen. In der fünften
Abteilung über den Anbau des Bodens wird ausführlich
die landwirtschaftliche Technik von Entwässerung, Düngung und
Ackergerät
beschrieben. Hieraus wird verständlich, aus welchen Gründen die Marsch
auch
heute noch ihre charakteristischen Gestalt mit Beeten, Grüppen
usw. hat (siehe Inhaltsverzeichnis im 2. Band).
Das Werk von Fridrich Arends
erlebte Nachdrucke. Bereits 1822 hat es laut
Internet-Nachweis in der Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft eine
„wohlfeilere Ausgabe” gegeben. Der Verlag Schuster in Leer hat 1974 Nachdrucke herausgegeben.
Heute stehen die Bände
digitalisiert im Internet, zum direkten Lesen, zum Herunterladen.
Digitalisiert meint, Seite für Seite ist als Bild mit der
Frakturschrift
gescannt. Der Link dazu lautet:
Band 1: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10018374_00005.html
Band 2:
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10018375_00005.html
Band 3:
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10018376_00091.html
Leider
wurden diese digitalisierten Bände, die in der Bayerischen
Staatbibliothek im Münchener
Digitalisierungszentrum liegen, nicht sehr sorgfältig eingescannt. Band
1 ist nach meiner Prüfung vollständig, in Band 2 fehlen bereits einige
Seiten; Knicke und Verzerrungen erschweren das Lesen oder
machen es unmöglich. 14 Seiten müssten ersetzt werden. Band 3 ist
überhaupt nicht mehr zu gebrauchen. Dass dieser Scan veröffentlicht
wurde, ist unverständlich.
Wer
weiter im
Internet nach dem Titel des hier genannten Werkes von
Fridrich Arends sucht, stößt auf us-amerikanische Verlage, die
einzelne Bände (mit deutschem Titel, aber Sprache: englisch
-?)
für Kosten zwischen 30 und 120 Euro anbieten. Offensichtlich werden
diese
Bücher
erst bei
Bestellung gedruckt
(Books on Demand,
BoD, EoD).
Ob diese Bücher die digitalisierten Ausgaben wiedergeben oder ob sie
wirklich neu gesetzt worden sind, wird nicht deutlich. Zumindest ein
amerikanischer Verlag verspricht seitenweise genaue Prüfung der Scans.
Dass bei diesem Geschäftsmodell es offensichtlich überhaupt
nicht mehr auf den Inhalt ankommt, demonstriert ein Verlag,
der
den Band 1 mit einem Titelbild anbietet, das weiter entfernt
vom Inhalt gar sein sein könnte: eine mittelalterliche Burg, thronend
auf einem kargen Felsen in einer Gebirgslandschaft.
Der aufbereitete Abschnitt über
das Jeverland aus Band 2 (dritte Abteilung) lässt sich hier ansehen
oder herunterladen:
Fridrich Arends,
Jever in
geographischer, statistischer und besonders landwirtschaftlicher
Hinsicht. Emden 1819. (770 KB)
Zwei
Artikel mit weiteren Lebensdaten zu Fridrich Arends in der Bibliothek
der Ostfriesischen Landschaft:
Gerhard Siebels, Johann Siegfried Arends_BLO
I, Aurich 1993, S. 32 – 35
Paul Weßels, Eine „vollständige
und wahrhafte Beschreibung von Ostfriesland“ (Buch des Monats, 1305)
Die
Kartenblätter von le Coq können noch heute über die
Niedersächsischen Landesvermessung und
Geobasisinformation LGLN
bezogen
werden. Dort und auch
bei Wikipedia gibt es
weitere Informationen zu le Coq.
Sehr
ausführlich im Internetportal 'Westfälische Geschichte' der
Landschaft Westfalen Lippe:
Carl
Ludwig von Le Coq und die
Topographische Karte von Westphalen, 1796-1813
V. Bleck,
Mai
2014