Die "Vereinigung" ist eine Gaststätte an der Grenze zu Ostfriesland .

Wer kennt noch das Krug-Schild?

SV
Der 'Aufmacher' in den Jeverländischen Nachrichten
vom 11. August 1850
 
Anzeige
Jeversches Wochenblatt vom 29. September 1850
 
Vorschlag1
Ein schlichter Entwurf mit zupackenden Händen,
drappiert auf Bretter
 
Anzeige
Eine mögliche heutige Ausführung mit allen Zutaten
und den linken Händen aus der damaligen Anzeige.
 

Eigentlich sind die meisten mit dem Wissensstand zufrieden: "Vereinigung", das ist von Jever aus nach Wittmund das letzte Haus links vor dem Bahnübergang. Vielleicht ist dieser Name in Normalität übergegangen - ohne Sinnbetrachtung - halt eine Ortsbezeichnung unter anderen. Andere wissen, dort habe sich mal irgendwer vertragen - damals vor hunderten von Jahren. Heute ist das Haus ein "Tee- und Kaffeestübchen".

Alles verständlich. Trotzdem: Welch ein bedeutungsvoller Name für einen Wohnplatz, zumal an einer damaligen Staatsgrenze - aber das muss auch nicht für jedem von Interesse sein.
Als ich vor 30 Jahren nach Jever kam und meist über einem Stadtplan gebeugt die Wohnplatznamen lernte und die Gegend erkundete, wurde mir aus (heimatkundlichen Kreisen) berichtet, dass es für die Gaststätte Vereinigung das Krughaus-Schild leider nicht mehr gäbe. Dieses wäre mit "vereinigten Händen" und den Wappen von Jever und Wittmund versehen gewesen. Niemand wusste Genaueres. Über die Jahre fielen mir verschiedene Hinweise zur "Vereinigung" in die Hände, so dass ich die Zusammenhänge = Geschichte halbwegs verstand. Leider waren ältere Fotos nie dabei. Mein Interesse gilt jedoch diesem Wirtshausschild. Ein Wirtshausschild mit Bildern erinnert mich an die üppigen Bildformate englischer Pubs. So etwas wäre im Jeverland meines Wissens eine Seltenheit.

Letztlich habe ich mir das Schild nach den spärlichen Beschreibungen selbst zusammengebastelt. Dazu später. Damit die geschichtliche Einordnung dabei nicht zu kurz kommt, fange ich in der Zeit vor 1849 an:

Wie schon beim Ottenburger Weg beschrieben, gab es vor 1850 die heutige direkte Verbindung mit einer Straße zwischen Jever und Wittmund nicht. Die Verbindungen zwischen diesen beiden Städten lief über unbefestigte Wege, einmal über Cleverns, den Upschloot und Rispel (meist im Winter) oder über Wiefels und Schluis (meist im Sommer). Befestigte Straßen im Außenbereich wurden im Jeverland erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erstellt, sogenannte 'Kunststraßen'. Der Baustoff der damaligen Zeit in der Marsch war hartgebrannter Klinker. Die Lieferung von Sand und Klinkern wurde durch Bekanntmachungen im Jeverschen Wochenblatt ausgeschrieben. Auch der Bau einer steinernen Brücke über das Mühlentief wurden in diesem Zusammenhange 'ausverdungen' - siehe als Beispiel nebenstehende Bekanntmachung im Jeverschen Wochenblatt. Für den Bau dieser neuen Chaussee wurde die Trasse des damaligen Ottenburger Weges genutzt. Erst ab Höhe Annenburg musste für die mehr oder weniger geradlinig weiter verlaufende neue Chaussee Neuland beschritten werden.
Natürlich waren zur Vorbereitung dieser neuen Straße politische Verhandlungen zwischen der Königlich Hannoverschen Landdrostei in Aurich und der Großherzoglichen Regierung in Oldenburg vorausgegangen, so dass die neue Straße nicht an der Staatsgrenze, der Sietwendung, endete, sondern eine Fortsetzung über Asel nach Wittmund hatte. Die Eisenbahn, die die Straße heute genau in Höhe dieser Grenze kreuzt, wurde erst am 15. Juni 1883 in Betrieb genommen.

Für die Nutzung dieser befestigten Straßen wurde seinerzeit ein 'Wegegeld' erhoben, eine Straßenmaut. Für die Einnahme dieser Maut wurde der an der Grenze zu Ostfriesland lebende Besitzer der Hofstelle 'Middelswarfen' beauftragt. Dieser baute ein Haus unmittelbar an die neue Chaussee. Hierin wurde eine Gaststätte betrieben, der 'Karmmelkskrog' (laut nebenstehendem Zeitungsbericht. Gemeint aber war den Karnmelkskrog - der Buttermilchskrug;. Karn = Butterfass). Der jeweilige Wirt übernahm im Auftrage der Stadt Jever die 'Wegegeldserhebung' auf der jeverschen (= oldenburgischen) Seite - für den ostfriesischen Abschnitt der Chaussee (= königlich hannoversch) war eine entsprechende Stelle in Asel eingerichtet. Diese grenzüberschreitende Wegenutzung führte zu langwierigen zwischenstaatlichen Briefwechseln. Mal ging es um die Höhe der Maut, mal darum, dass ein Wegenutzer nicht doppelt zahlen musste. Erst 1860 einigte man sich auf einheitliche Bestimmungen. Näheres zu den Wegegelderhebungen im Jeverland ist in dem Buch 'Auf krummen Wegen durch das Jeverland. Wegeverhältnisse 1830 - 1900' von Hildegard Duensing zu erfahren.

Der Name 'Karmmelskrog' hielt sich nicht lange. Am Samstag, dem 10. August 1850 wurde in dieser Gaststätte das Ende der andauernden Fehde zwischen den Jeveranern und den Ostfriesen, vertreten durch die jeweiligen Schützenkorps besiegelt. In der Ausgabe der Jeverländischen Nachrichten, Beiblatt des Jeverschen Wochenblattes, vom Sonntag, dem 11. August schrieb Karl Strackerjahn euphorisch: "So seid denn einig, aber - bleibt auch einig! - Mindestens Ein Schritt ist es weiter zur deutschen Einigkeit!"

Das in diesem Text mit den Worten ' Auf dem Gasthausschilde ist die Weihe auf sinnige Weise bildlich dargestellt worden', ist für meine Fragestellung leider wenig aussagekräftig.
Wie dieses Bild ausgesehen hat beschreibt Karl Fissen im Historienkalender auf das Jahr 1951: "Jenes Wirtshausschild zeigt noch heute, wie vor hundert Jahren, zwei in Freundschaft und Brüderlichkeit verschlungene Hände."

Bilder von verschlungenen Händen gab es damals wie heute in vielen Variationen.
Die weitere Suche in den damaligen Zeitungsausgaben gab eine Vorstellung des damaligen Bildes von diesen Händen. Wenige Tage nach dem markanten Treffen wird im Jeverschen Wochenblatt vom 29. September 1850 informiert, dass die Bürgerwehr zu Wittmund und der Schützenverein zu Jever am gleichen Tage in der 'Vereinigung' an der Chaussee nach Wittmund zusammentreten und in Feuer manövrieren werden. Diese Anzeige zeigt ein Bild mit sich haltenden Händen vor einem aus einem Eichenzweig geformten Kreis, dahinter ein Strahlenkranz. Ob es eine besondere Bedeutung gehabt hat, dass sich hier zwei linke Hände berührten - oder hat sich hier der Schriftsetzer versehen? Auch wird nicht gerade ein fester Händedruck mit diesem Emblem ausgedrückt - vielleicht gab es damals in der Zeitungsgrafik gerade nichts anderes.

Friedrich Orth beschreibt das Krug-Schild in dem Abschnitt 'Landstraße B210 Jever - Wittmund': "Seitdem zieren das Gasthausschild zwei verschlungene Hände und zwei Wappenzeichen, der jeversche Löwe und die Wittmunder Geißeln (zwei schräggekreuzte Peitschen)."
Mit dieser Aussage lässt sich etwas anfangen.

Also stellte ich mir vor, die jeweiligen Wappenzeichen beidseitig der verbundenen Hände. Am Hause über dem Eingang mit Sicht von der Straße angebracht würde links von den Händen der Löwe nach Jever weisend, rechts von den Händen die Geißeln nach Wittmund. Aber oh weh: der Löwe zeigt mit dem Gesicht nach links, weist so den Wittmundern den Rücken zu. Das ist unpassend.

Ich habe es überprüft: in allen Ausführungen des Wappens der Stadt weisen Gesicht und Krallen nach links. Wie hatte der damalige Schildermaler das Problem gelöst? Den Löwen einfach umgedreht und nach Wittmund schauend? Oder den Löwen auf die rechte Seite des Schildes bringen? Das bereitet vielleicht dem Betrachter Schwierigkeiten, welche Wappenzeichen zu welcher Stadt gehören.

Nebenstehend ein schlichter Entwurf - der Löwe schreitet weg von den sich vereinigenden Händen. Hier habe ich fest zugreifende rechte Hände gewählt.

Eine üppigere Variante könnte auch textliche Zusätze wie das Datum zeigen.

Wie das Schild zum Krughaus 'Zur Vereinigung' letztlich ausgesehen hat, kann nur über ein Foto aus früherer Zeit ermittelt werden.
1951, als Fissen von dem Wirtshausschild berichtete, gab es ja schon lange Fotoapparate. Auch Orths Aussage vermittelt, er habe das Schild noch gesehen - das ist jetzt knapp 40 Jahre her.

Wer hat ein Foto von der Vereinigung, auf dem das Gasthausschild erkennbar ist?

 

Lit.:
Karl Fissen, Ostfriesland und Jeverland seit hundert Jahren Hand in Hand. In : Historienkalender auf das Jahr 1951, Jever
Hildegard Duensing, Auf krummen Wegen durch das Jeverland. Wegeverhältnisse 1830 - 1900.
Friedrich Orth, Die Straßen der Stadt Jever, Jever 1983
Wibel, Anita, 125 Jahre Leben mit der Bahn ... zwischen Sande und Jever. Festschrift an den 15.10. 1871. Arbeitsplatzinitiative für Frauen/Friesland 1996, S. 5
Jeversches Wochenblatt vom 11.08.1850, Beilage Jeversche Nachrichten, S. 1
Jeversches Wochenblatt vom 29.09.1850

V. Bleck, Juni 2018