Der Ottenburger Weg

Warum sich Straßennamen nach dem Bau der neuen B210 änderten.

SVEs ist schon bemerkenswert, wenn eine Verwaltung innerhalb weniger Jahre ein Straßenstück im ländlichen Außenbereich zweimal umbenennt. Die Rede ist hier von dem Abschnitt der ehemaligen, bis ins Jahr 2000 genutzten Bundesstraße 210 zwischen dem westlichen Ortsausgang Jevers ab der Brücke über das Mühlentief und der unter dem Namen 'Am Ottenburger Weg' befindlichen Hofstelle; dort wo die neue Umfahrungsstraße B210 wieder auf die alte Trasse in Richtung Wittmund führt.

Zwei einfache Gründe: a) mangelnde Kenntnis der jüngeren Geschichte, was den Straßenbau vor etwa 170 Jahren betraf, und b) die technische Entwicklung innerhalb eines Jahrzehnts, hier die Entwicklung und Nutzung der Navigationstechnik in Fahrzeugen - kurz Navi genannt.

Im Herbst 2000 nach der Fertigstellung der Umfahrungsstraße B210 um die Stadt Jever blieb dieses ca. 0,8 km lange Reststück der alten Bundesstraßentrasse übrig. Dieser Straßenabschnitt wurde halbseitig "zurückgebaut", um der Pflanzenentwicklung mehr Raum zu geben (Kompensationsmaßnahme zur B210-neu) und der Stadt als Eigentum übergeben. Mit meinem Vorschlag wurde in Abgrenzung zur ehemals dort verlaufenden Wittmunder Straße dieser Abschnitt als "Wittmunder Weg" gewidmet. Bei mehr Wissen in der Klein-Klein-Geschichte über diesen Teil des Stadtgebietes hätte man hier gleich den richtigen Namen vergeben können. Aber...

Nach etwa 10 Jahren wurde ein Problem an die Stadt herangetragen: Fahrzeuge mit Navi verirren sich in den Bereich nach Cleverns, wenn sie die Hofstelle "Am Ottenburger Weg" anfahren wollen. Was Jahrzehnte gut ging - die Hofstelle hier und der "Ottenburger Weg" einen Kilometer weiter von der Bundesstraße nach Cleverns abbiegend: die Navigationsgeräte konnten mit dieser jeversche Besonderheit nicht umgehen. Die Suche nach einer Lösung - auch Dank des Beharrens des Eigentümers der Hofstelle auf seinen Hofnamen - führte mich in die jüngere jeversche Geschichte.

1823
Ausschnitt aus der Karte von Reymann, Blatt 37 aus dem Jahr 1823
1823
Ausschnitt aus der Karte von Reymann, Blatt 37 aus dem Jahr 1855
1817
Ka 147 (1817)
1817
Ausschnitt aus der Ka 147

In den Katasterkarten bereits vor 1900 und auf vielen Plänen  war die Hofbezeichnung "Am Ottenburger Weg" eingetragen. Melderechtlich ist der Hof allerdings mindestens seit 1950 eingekürzt auf "Ottenburger Weg 1". Die ältere Bezeichnung weist darauf hin, dass dieses Gehöft an einem Ottenburger Weg gelegen hat, den es in der späteren Zeit nicht mehr gegeben hat. Die gleichnamige Benennung eines entfernten landwirtschaftlichen Wirtschaftsweges passt da eigentlich nicht.

Sowohl dieser Widerspruch wie auch die Fragen nach der Ottenburg bzw. der Verlauf dieses Weges dorthin bemühte auch schon andere Heimatforscher. Im Historienkalender auf das Jahr 1953, Seite 52, versuchte Georg Andree die Frage "Wo lag die Ottenburg?" zu beantworten. Danach führte der Ottenburger Weg vom westlichen Stadtausgang, vorbei am Lükenshof über eine Steinbrücke des Mühlentiefs nach Westen bis  in Höhe der heutigen Hofstelle Annenburg, schwenkte dann nach Norden und endete letztlich in Schluis. Aus dieser Beschreibung wird deutlich, dass die Wegetrasse der damaligen Bundesstraße zwischen der Stadt bis in Höhe der Hofstelle Annenburg genau dem Verlauf des Ottenburger Weges folgte. Um die Lage des Ottenburger Weges gab es bei den früheren Forschern keine Diskussionen. Gemeinwissen wurde es aber nicht. Heute schwenkt tatsächlich noch ein Weg in Höhe Annenburg nach Norden und führt zur Hofstelle Scheperhausen. Eine durchgehende Verbindung bis nach Schluis gibt es nicht mehr.

Wenn Friedrich Orth schreibt, der damalige Ottenburger Weg war seinerzeit nicht öffentlich und durfte nur von den Anliegern benutzt werden und Nichtberechtigten drohte Gefahr, als Zollbetrüger bestraft zu werden, wird es Zeit, tiefer in die lokale Geschichte dieses Bereiches einzutauchen:

Die Sietwendung zwischen dem Upschloot und der Siedlung Schluis war im 19. Jahrhundert "Grenzgebiet" zu Ostfriesland bzw. Preußen. In diesem Abschnitt gab es wohl aus Gründen der sumpfigen Bodenbeschaffenheit keine Wegeverbindung nach Westen. Der offizielle Weg von Jever nach Wittmund verlief seinerzeit über Wiefels und Schluis (Zollstelle). Erst seit dem Jahre 1849 wurde die Chaussee nach Asel und Wittmund gebaut, wie wir sie heute als Bundesstraße kennen. Sie nutzte teils die Trasse des Ottenburger Weges. Ab Höhe Annenburg musste für die Chaussee marschiges Neuland betreten werden. Die beiden Ausgaben der nebenstehenden Ausschnitte aus den Karten von Reymann zeigen die Veränderung des Straßenverlaufs.
Die Vergabe des Namens Ottenburger Weg seinerzeit an einen naheliegenden anderen Weg bereits weit vor 1900 geschah vielleicht aus sentimentalen oder wirklich unhistorischen Gründen.
Mit der Stadtstraßenwidmung 2011 für den "frei gewordenen" Abschnitt der Wegetrasse bekam dieser seinen historischen Namen wieder. Für den bis dahin als Ottenburger Weg geltenden Abschnitt des Weges wurde die bestehende Bezeichnung "Schenumer Weg" des weiteren Verlaufs nach Cleverns übernommen.

Es lohnt sich, noch beim Thema Ottenburger Weg zu bleiben und dem o.a. Hinweis von Friedrich Ort nachzugehen. Hierzu gibt es im Schlossmuseum auf einem Bogen von 1817 eine handschriftliche Beschreibung der Situation am Ottenburger Weg (Ka147 bzw. Ka III b Nr. Wa 17). Eine Skizze ist in der linken oberen Ecke dieses Kartons abgebildet, die die Sietwendung etwa 1 km südlich der heutigen Vereinigung bis über Schluis hinaus aufzeigt. Die Grenze zu Ostfriesland und der Verlauf des Ottenburger Weges ist deutlich dargestellt. Der Anlass zur Anfertigung des Textes mit der Karte ergibt sich aus dem Text.

Dieser Text lautet mit seiner damaligen Schreibweise:

Lage von dem zu Harlingerland (durch Tausch) geschlagenen Landguthe Scheeperhusen; grosz 86 Matten, jetzt dem Landwirthe Behrend Albers Drantmann zugehörig, nach dem Augenmaasze und sonstigen einfachen Hüflsmitteln aufgenommen von dem Conducteur Dunker, im Merz 1817; auf Ersuchen des Herrn Adv: Jürgens. copirt von dem Rathsdiener Harms

Anmerkungen.

Beÿ A stehet ein Schlagbaum (barriere) welcher den Ottenburgerweg an der Ostfriesischen Seite, und beÿ C, ein Schlagbaum, der ihn nach Jever hin schließt. Beÿ B. gehöret ein Schlagbaum womit Jeverland an dieser Seite geschlossen wird. Vom Schlagbaum A. bis B, sind 140 mannliche Schritte. Beÿ B stehet das Zollhaus zu Schlüß. Eine Leide (Zuggraben) bildet die nördliche und östliche Grenze von Scheeperhusen, die Sÿtwendung die westliche, und eine kleine Strecke des Ottenburgerweges und ein gewöhnlicher Schloot (Graben um ein Stück Land) die südliche Grenze. Beÿ E gehet der Ottenburgerweg auf der Sÿtwendung, bis eben vor den Schlagbaum A, wo er alsdann von der Sÿtwendung ostwärts abbieget und sich auf Schlüß mit den öffentlichen Landstraßen, welche nach Wiefels, Eggelingen und Wittmund führen, vereinigt. Scheeperhausen wässert nach Jeverland, nach Hooksiel hinab, und zahlet daher seine Sielanlagen (Abwässerungsgeld) an die Friedenrikensielacht (respre. Hooksielacht); welche gewöhnlich vom Sielrichter zu Wiefels gehoben werden. Der Bewohner von Scheperhausen, kann nach der ietzigen örtlichen Lage der Dinge die ihn als Landwirth umgeben, ohne den jeverischen Grund und Boden zu berühren, zu betreten oder zu zu befahren, nicht zur eggelinger Kirche kommen, wo er eingepfarrt ist, noch an den Gerichtshof, wohin er zugehört, weder zu der Rentereÿ noch an den Staatseinehmer, wo er seiner Abgaben bezahlen muß. Wenn aber auch der Theil des Ottenburgerweges, von C bis E, jeverländischer Grund und Boden ist, so kann der Bewohner von Scheeperhusen einen großen Theil seines Getreides und Vieh, nicht in seine Scheune schaffen, ohne das jeverische Territorium zu betreten, zu befahren oder überhaupt zu übergehen. Scheeperhusen liegt (wie auch dieser Plan nachweiset) ganz in Jeverland eingeschloßen und wird, so wie alle Landgüther in diesem Lande an der westlichen Grenze desselben, durch eine Sÿtwendung (ein Land-Grenz-Deich, der sowohl das fremde Wasser als auch beÿ Deich-Durchbrüchen und Ueberschwemmungen, das Meer-Wasser kehret, und von dem Lande hält) von dem zu Ostfriesland gehörigen Harlingerland, getrennt.

Bleibt noch die Frage nach der Ottenburg? Günter Müller schreibt in seiner Aufstellung zu den Burgen und Schlössern im hiesigen Raum: "Am Ende des Ottenburger Weges bei Schluis am äußersten Rande des Jeverschen Stadtgebietes stand höchstwahrscheinlich die Ottenburg. Als Gründer der Burg vermutet man den Billunger Herzog Oddo (Ordulf), der in Jever seine Denare mit der Aufschrift "Oddo" prägen ließ". Damit folgt Müller der schon oben angegebenen Quelle Georg Andree. Dieser erwägte verschiedene Standorte, verortet letztlich den Burgstandort im Bereich Schluis, möglicherweise als eine Zollstelle der Billunger in den Jahren um 1050. Relikte dazu oder andere Hinweise zu einer Burganlage bei Schluis aber sind bisher nicht bekannt geworden.

G. Müller führt in seinem Verzeichnis auch das Gut Scheperhausen auf, welches unmittelbar am Ottenburger Weg liegt und im 15. Jahrhundert der letzte Stammsitz des Tjark Onnen gewesen sei. Es ist bekannt, dass sich in Scheperhausen eines der für diese Region ältesten Steinhäuser befindet. Diese Steinhäuser hatten auch Verteidigungsfunktionen - vielleicht sind sie damit auch als Burg zu bezeichnen. Carl Woebcken weist darauf hin, dass im Erbregister des Claus Klinge 1587 die Bezeichnung Otterberger Weg steht. Einer der Besitzer des Hofes Schluis habe Otterberg geheißen. Wie schnell zu einem Wohnplatz die Bezeichnung "Burg" kommen kann, zeigt die auch am damaligen Ottenburger Weg liegende Annenburg. Mit großherzoglicher Erlaubnis ist 1867 die Hofstelle durch Antrag des hierhin eingeheiraten Ibo Jürgen Burchards nach seiner Frau Anna, geborene Lessen benannt worden. Eine Burg hat es hier nie gegeben. Siehe dazu: Die Personen in Jevers Straßennamen.

Vielleicht liegt die Lösung zur Frage nach der Ottenburg in einer Verschleifung der Namen Oddo, Onno zusammen mit dem burgartigen Steinhaus von Scheperhausen ...


Quellen:
Georg Andree, Wo lag die Ottenburg? In: Historienkalender auf das Jahr 1953, Seite 52 - 54
Friedrich Orth, Die Straßen der Stadt Jever. 1985
Carl Woebcken, Jeverland. Gewesenes und Gebliebenes. o.J. (1961),S. 12
Carl Woebcken, Schluis und der Ottenburger Weg. In: Friesische Heimat vom 23.11.1959
Günter Müller, 293 Burgen und Schlösser im Raum Oldenburg-Ostfriesland. (1977/80) mit 2 Ergänzungsbänden, Hauptband S. 91 zu "Schluis"
Ka 147 Schlossmuseum Jever, Karte und Beschreibung des Bereiches Scheeperhusen, Schluis, Sietwendung von Dunker März 1817)
Städteverlag Stadtplan von Jever, 11. Auflage (mit freundlicher Genehmigung)
Geographischer Specialatlas von Deutschland und den Nachbarländern u.a. von D. G. Reymann (siehe Wikipedia)

W. Krüger hat dankenswerterweise den Text Ka 147 "übersetzt".

V. Bleck. Juni 2018