Eigentlich
muss man davon ausgehen, dass in der Stadt der Sage, Geschichte und
Kultur (Jever) künstlerische Leistungen nicht unbeachtet geblieben und
bereits längst beschrieben oder bebildert worden sind. So finden sich
sogar schon unzählige Aussagen in den drei hier gelesenen
Tageszeitungen über Objekte, die noch nicht
einmal aufgestellt sind. Wie dann erst über solche, die
bereits seit über 50 Jahren in aller Öffentlichkeit stehen.
Falsch
gedacht - zumindest nach den bisherigen Erkundigungen.
Natürlich
ist bekannt, dass vor der Paul-Sillus-Schule ein Brunnen steht, aus dem
noch nie Wasser floss."Was waren da noch für Tiere 'drauf?"
Zuständig in der
Stadt für Grünflächen, weiß ich seit ca. 15 Jahren
von diesem kleinen Brunnen mit den Pinguinen. Erst vor wenigen
Jahren wurde dort der nahezu abgestorbene Lebensbaum gefällt, der den
Brunnen umwachsen und jahrelang vor schneller Wahrnehmung
versteckt hatte. Jetzt steht der Pinguin-Brunnen wieder frei.
Als
Werner Menke im Jahre 2007 für das Buch "Denkmäler in Jever. Monumente,
Mahnmale und Brunnen erzählen Geschichte und Geschichten"
recherchierte, fiel mir - und offensichtlich auch anderen -
nicht ein, auf diesen Brunnen hinzuweisen. Vielleicht zu
selbstverständlich, zu nah, zu alltäglich. Es bedurfte der Anfrage
einer im
Ruhrgebiet lebenden Jeveranerin im Sommer 2010, warum zu
diesem
Brunnen in dem Buch nichts ausgeführt wird. So kam die Frage dann zu
mir, denn es ist unzweifelhaft, dass dieser Brunnen mit den beiden
Pinguinen auf städtischem Straßen- und Grünflächenareal steht und somit
die Stadtverwaltung zumindest näheres Wissen haben müsste.
Akten
aus der Bauzeit der Paul-Sillus-Schule sind in der
Stadtverwaltung nicht mehr zu finden, die Bauakten im Archiv
des
Landkreises, die ich eingesehen habe, sind mit der
Bauabnahme im Herbst 1952 geschlossen. Keine Bemerkungen dort zu
künstlerischen Gestaltungen.
Fragen
an langjährige städtische Mitarbeiter führten nur zu Achselzucken. Eine
Idee, dass mit dem Theater und den anderen Schulbauten um 1970 der
Brunnen aufgestellt
wurde - eigentlich sehen die beiden Tiere doch ziemlich modern aus -
zerschlug sich, als Frau Jasenowski, die mit ihrem Mann als Hausmeister
den Bau und den Betrieb der Schule von 1952 bis 1980 begleitet hatte,
mir erzählte, dass die Tiere eigentlich von Anfang an da waren.
Und
wieder einmal eignen sich die veröffentlichten Luftbilder von 1957,
solche Aussagen im Bild zu überprüfen (Horst Radowski,
Jever aus der Luft betrachtet. 1957 und 2008): Hier finden
wir den Brunnen; der Straßenraum mit der Grünanlage ist noch kahl. Zwei
kleine Bäume an Pfählen zeigen die Bemühungen der Freiraumgestaltung.
In
der stark vergrößerten Aufnahme sind die Tiere zwar mehr zu erahnen,
aber die Existenz des Brunnens ist eindeutig.
"Der
Brunnen? Das ist doch Kunst am Bau. Es müssen doch zehn Prozent der
Kosten für sowas ausgegeben werden..." Als Rechtfertigung, nicht
genauer hingucken zu müssen, habe ich solch einen Kommentar oft gehört.
Ab einem
gewissen Grad solcher "Unwissensstände" aber wird es reizvoll, sich
intensiver mit solchen Werken zu beschäftigen.
Spurensuche zum
Künstler. Hinter dem rechten
Pinguin ist eine
unscheinbare kleine Gravierung: Steinorth 53.
Mit
Internet und Suchmaschine findet man spärliche
Informationen zu Ingeborg
Steinorth, Bildhauerin aus
Hannover. Es wird
aber ein Buch angeboten, welches über die Bildhauerin Auskunft gibt:
Rudolf
Lange, Ingeborg Steinohrt - Plastiken 1942 bis 1992. Arbeiten in
privatem und öffentlichem Besitz. 1998.
Hannoversche
Lebensversicherungs a.G.
Aus diesem Buch
erfahren
wir mehr über die Künstlerin, ihr Werk und auch ein wenig über die
Pinguine.
Ingeborg Steinorth, 1917 - 1994, fand
schon früh Interesse am Modellieren. Nach dem Abitur trat sie 1937 in
die Bildhauerklasse bei Prof. Scheuernstuhl in der Meisterschule des
deutschen Handwerks, der heutigen Fachhochschule Hannover, ein.
Ab
1941 in dem mittlerweile im nationalsozialistischen Geiste
gleichgeschalteten Kunstbetrieb ging sie für drei Jahre nach
München an die Akademie für bildende Künste zu Bernhard
Bleeker. Dessen Neoklassizismus trifft sich mit den
Kunstvorstellungen des NS-Regimes und er bekommt durch
seine Arbeiten für die NSDAP nach dem Krieg den Ruf eines
Nazibildhauers. Später
rehabilitiert, gilt er als einer der Hauptvertreter der Münchner
Bildhauerschule, als bedeutender Bildnisplastiker sowie Vertreter der
neoklassizistischen Monumentalskulptur.
Rudolf
Lange, Seite 13: "Es ist wahrhaftig ein grenzenlos scheinendes Panorama
der zeitgenössischen Plastik, das sich der jungen Bildhauerin Ingeborg
Steinorth nach dem Krieg darbietet. Aber sie verliert sich nicht darin.
Sie experimentiert nicht, versucht nicht dieses oder jenes. Sie weiß,
was sie will, sie ist vorgeprägt. Zum einen durch ihre Lehrer, im
besonderen Scheuernstuhl. Zum anderen durch ein Werk, daß ihr während
des Studiums in München immer wieder vor Augen kam: die 'Eva' von
Charles Despiau (1874 - 1946). Nachdenklichkeit und Ruhe zeichnen die
einfühlsam abstrahierte Gestalt aus. Schließlich haben die Eindrücke
fortgewirkt, die das Kind Ingeborg in Bamberg empfing. Ein derart durch
seine Baukultur und seine Bildwerke herausragendes Umfeld, wie es diese
Stadt bietet, prägt die Menschen, die sich darin bewegen. Daher darf
man getrost annehmen, daß auch der berühmte Bamberger Reiter, die
Figuren der Ecclesia und der Synagoge, der Weihnachtsaltar von Veit
Stoß und das Grab Kaiser Heinrichs II., des Heiligen, und seiner
Gemahlin Kunigunde von Tilman Riemenschneider unbewußt an der Formung
des Menschenbildes von Ingeborg Steinohrt mitgewirkt haben. Die Rolle
des Elternhauses dabei ist bereits erwähnt worden."
Vielfach
sind die Arbeiten für Kirchen. Zu vielen der wieder
aufgebauten oder erneuerten Kirchengebäude der Umgebung von Hannover
hat sie Auftragsarbeiten ausgeführt: Reliefs mit biblischen Szenen aus
Muschelkalkstein, Heiligenfiguren aus Holz, Taufsteine, Altarkreuze und
Reliefs aus Bronze.
Daneben modelliert
sie Menschenfiguren
("Mollige", "Metzger aus der Provence", "Sauna", u.a.),
Tierplastiken ("Kraniche, "Schleichende Katze", "Schwarm Vögel im
Flug"-Relief, "Taubenpaar" etc.) aber auch Kleinplastiken wie
Türgriffe.
In ihre frühe Zeit gehört die
Auftragsarbeit für die Außenplastik "Königspinguine". "Sie stehen", so
R. Lange auf Seite 100, "als Brunnenfiguren an einem
Wasserbecken auf dem Vorplatz einer Schule in Jever. Mit ihren
gewölbten schlanken Leibern, den Stummelflügeln und den spitzen
Schnäbeln heben sie sich eindrucksvoll gegen die geraden Linien des
Gebäudes im Hintergrund ab." Gemeint sind hier die gerade entstandenen
Offizierswohnungen Schulstraße 2 - 10. R. Lange gibt als
Datum 1956 an; mag das der Zeitpunkt der Aufstellung gewesen sein?
Zu
den Pinguinen wird in dem Buch noch an anderer Stelle unter der
Überschrift 'Ärger im Alltag' ausgeführt:
"Die Honorare, die
Ingeborg Steinohrt in Rechnung stellen konnte, waren bescheiden. Für
eine Pinguingruppe in Jever / Ostfriesland (1953) wurde mit der
Niedersächsischen Heimstätte, Hannover, ein Festpreis von 4300 DM
vereinbart. Dafür mußte folgende Leistung erbracht werden: '1.)
Gipsmodell des Schmuckplatzes im Maßstab 1:20 - Modell der
Pinguingruppe im Maßstab 1:10 - Gipsmodell der Pinguingruppe im Maßstab
1:1. 2.) Ausführung der Plastik in Bronze. Der Preis versteht sich für
fix und fertige Arbeit incl. Montage auf dem von der Bauleitung
bestimmten Aufstellungsplatz. Die von der Bauleistung noch
festzusetzenden Termine sind einzuhalten. Besondere Reisekosten werden
nicht erstattet.' Der Betrag von 4300 DM wurde in insgesamt fünf
Ratenzahlungen überwiesen. Ein nicht gerade fürstliches Honorar,
selbst, wenn man bedenkt, daß die Summe im Vergleich zu heute noch mehr
wert war."
Warum aber Pinguine für Jever?
Der
Rat der Stadt verhandelte bereits vor 1950 für den Bau einer neuen
Stadtknabenschule mit
dem Land um Zuschüsse, die staatliche Heimstätte übernahm dann die
Organisation der Baufertigstellung. Ob der Rat der Stadt sich an der
Gestaltungsplanung der Schule beteiligt hat oder ob alle Entscheidungen
in Hannover gefallen sind, konnte bisher nicht in Erfahrung gebracht
werden. Ratsprotokolle aus der Zeit sind nicht vorhanden. Aus den
Sitzungsprotokollen des Schulausschusses gibt es nur wenige Anmerkungen
zum Bau der Stadtknabenschule, keine Hinweise jedoch zum Brunnen.
Wir
müssen also davon
ausgehen, dass ein Auftrag zu den Pinguinen in Hannover gefallen ist;
für einen Wunsch aus Jever zu den Tieren ist rückblickend kein
Bezug zu erkennen.
Haben sich die Planer in Hannover
gedacht, dass für das weit im Norden liegende Jever - offensichtlich
soweit, dass die Eisberge vom Nordpol regelmäßig an der nahen Küste
vorbeiziehen - die Königspinguine hier eine repräsentative Tierart
darstellen?
Aber nein, auch in Hannover wusste man
schon zu der Zeit, dass es die Königspinguine nur am Südpol gibt.
Es
gilt also weiter zu forschen: warum Pinguine?
Zur
weiteren Suche erschien mir das genaue Datum der Einweihung der Schule
wichtig. Erst das Durchblättern der Jahrgänge 1952 des Jeverschen
Wochenblattes in der Bibliothek des Schlosses gab darüber Auskunft. Ist
die Zeitung
das bessere Archiv - anstelle der Aktenführung einer öffentlichen
Verwaltung? Vielleicht gäbe es im
Staatsarchiv in Oldenburg Hinweise. Für den Zeitraum Anfang der
fünfziger Jahre gibt es laut Findbuch des Staatsarchives aber weder
Ratsprotokolle noch sonstige Hinweise. Welch ein Aufwand zum
Auffinden einiger "Basisinformationen" eines städtischen
Gebäudes,
in dem Generationen von Grundschülern ihre Zeit verbrachten!
Entsprechend ist in der Schule
von der Geschichte dieser Schule gar nichts bekannt.
Die
Hoffnung, durch die alten Ausgaben des Jeverschen
Wochenblattes in der
Schlossbibliothek über eine Berichterstattung eine Anwort zu
den
Pinguinen zu finden, musste begraben werden. In der Zeit zwischen dem
Bronzeguss der Pinguine 1953 und der Luftaufnahme 1957 gibt es dazu
keinen
einzigen Hinweis. Die Stadtknabenschule wurde in dieser Zeit
manchmal erwähnt: am 8.9.53 über die Gründung der Sportschule dort, am
3.5.55 Bericht über die Einweihung der Turnhalle, am 26.4.56 Bericht
mit Bild über die Pflanzung von Bäumen durch die Schüler vor
der
Schule. Nichts aber zum Brunnen mit den Pinguinen.
(Im
Frühjahr 2011 wurde im JeWo über das 55jährige Jubiläum
des Schulabschlussjahrgangs 1956 berichtet. Einige der hier im Ort noch
immer wohnenden Männer habe ich gefragt: An einen Brunnen vor ihrer
damaligen Schule können sie sich nicht erinnern...)
Und es gibt noch
mehr Fragen: Warum
fließt aus dem Brunnen nie Wasser? Der frühere Hausmeister Ennen
erklärte mir, dass der Brunnen direkt an die
Trinkwasserleitung
angeschlossen ist. Man brauche nur den Hahn im Keller der Schule
aufdrehen. Von dem Becken aber fließt das Wasser dann direkt in den
Straßenkanal - eine Verschwendung. Manch einer
erinnert sich jetzt, dass wenigstens zeitweise (Regen-)Wasser in dem
Becken zu
Füßen der Pinguine gestande habe. Hier besteht also
Verbesserungsbedarf.
Es gilt weiter zu forschen.
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Informationen zum Schulzentrum:
Die Schule wurde zu
Beginn der fünfziger Jahre als Stadtknabenschule
geplant. Die Grundsteinlegung erfolgte am 02. Juni 1951 (10 Uhr) mit
Bürgermeister Busch. Die festliche Übergabe erfolgte bereits am 08.
Oktober 1952 (Jeversches Wochenblatt vom 09.10.1952).
Die in diesem Artikel angesprochenen politischen Wirren gerade um diese
Schule (Bürgermeister Busch war zurückgetreten) bedürften weiterer
Klärungen...
Mit Ratsbeschluss vom 24.09.1987 ist sie
als
"Paul-Sillus-Schule" nach dem ehemaligen Bürgermeister (1976 - 1984)
gewidmet. Am 18. Dezember 1987
wurde diese Umbenennung gefeiert. Eine Suche zu den Anfängen dieser
Schule unter diesem Namen
kann also nicht zu einem Erfolg führen.
Die nahezu baugleiche Stadtmädchenschule wurde 1960/61 gebaut, 1967 folgte die Realschule und die Aula, das heutige Theater am Dannhalm. Mit dem modernen Anbau an der mittlerweile zur Hauptschule gewandelten Stadtmädchenschule ab 1974 endete die Schulbautätigkeit der Stadt. Bis auf die Stadtknabenschule und die Aula übernahm ab 1978 der Landkreis die Trägerschaft der weiterführenden Schulen.
Die heutige Schulstraße hieß bis 1955 Englischer Weg. Dieser Name rührt allerdings nicht daher, dass hier die Wohnhäuser für die englischen Soldatenfamilien gebaut wurden (siehe z.B. JW 10.07.1952: Kanalarbeiten für die Wohnhäuser der Besatzungsmacht). Angesichts des Schulzentrums dort wurde diese Namensänderung für sinnvoll erachtet. Im kurzen Verbindungsstück zwischen Ziegelhof- und Mozartstraße wird der alte Namen heute beziehungslos weitergeführt (Orth).
Die Stadtknabenschule bietet neben dem Pinguinbrunnen noch mehr Kunst. Der bereits bei der Einweihnung vorhandene Trink-Brunnen mit einer Figur wurde im Zeitungsbericht der Einweihnungsfeier als künstlerische Leistung hervorgehoben (JW 08.10.1952: "Der Schöne Brunnen auf dem Flur am Nordeingang").Hier
konnte O. Hülskötter weiterhelfen. Der Steinmetzbetrieb seines Vater
war an dem Bau der Stadtknabenschule mit den Sandsteinarbeiten
beteiligt. Er erinnerte sich, dass es um 1953 mit der Anfertigung der
Plastik Probleme gegeben habe. Die beauftragte Künstlerin
Rehme-Tepperis hatte entgegen der Vorstellungen der Stadtverwaltung ein
nur unvollständiges Werk abgegeben.