Das Alter
zweier Bäume in Jever
Jahresringe
Das
Fällen eines
Baumes tut mir als Betrachter weh. Auch bei Pappeln, die landläufig von
manchem als „Unkraut" bezeichnet werden. In den letzten Jahren wurden
an den Straßen des Landkreises die Pappeln zu Hunderten gefällt. Die
Meinung ist, mit einem Alter von 40 Jahren seien Pappeln - hier
besonders die allerorten gepflanzten Hybridarten - am Ende.
Und
damit eine Gefahr. Aber ist diese pauschale Aussage richtig?
Die
Pappeln (Populus x canadensis) an der Wittmunder Straße in Jever in
Höhe des Lükenshofes waren neun hohe Riesen von etwa 28 Metern Höhe und
säumten die Stadtausfahrt nach Westen, markierten den Übergang zwischen
der beginnenden Geest mit der Bebauung und der offenen Marsch. Sie
waren Teil der Kulisse der Stadt und waren kilometerweit sichtbar.
Weder
Fäulnis noch Pilz waren vorhanden - die Standsicherheit war eindeutig,
gute Blattbildung, guter Zuwachs. Aber ohne sichtbare Anzeichen senkten
sich manchmal große Äste innerhalb weniger Tage, als wäre alle Kraft
aus ihnen gegangen. Damit von diesen Ästen keine Gefahr
ausging,
wurden diese von den Mitarbeitern des Bauhof abgenommen. Meist war dazu
eine große Hebebühne erforderlich. Diese Pappeln neigten zu
Grünastabbrüchen. Da diese nicht vorhersehbar sind, musste eine Fällung
erwogen werden.
Das
war der Konflikt: Markante und standsichere Bäume mit leicht erhöhtem
Pflegeaufwand noch einige Jahre erhalten oder sofortige Fällung.
Bäume
in der Stadt binden Arbeitskräfte. Diese Kosten lassen sich in Euro
beziffern. Dafür bieten die Bäume Wohlfahrtswirkungen. Oder Fällung,
das befreit von den erhöhten Unterhaltungskosten, kostet aber die
Fällung. Und es kostet auch, dort wieder neue Bäume anzupflanzen. Die
sind zwar noch klein und haben bei Weitem nicht die Wohlfahrtswirkungen
wie die Riesen...
Letztlich
haben wir uns in der Stadtverwaltung für die Fällung entschieden. Die
Pflegekosten waren nicht das Entscheidende, denn für Fällung und
Neuanpflanzung wurde ein Vielfaches der Unterhaltungsmaßnahmen
ausgegeben. Aber so direkt lässt sich das nicht vergleichen, denn junge
Bäume haben dafür anfangs weniger Pflegebedarf.
Das
Fällen eines Baumes geht schnell . Manchmal innerhalb weniger Minuten
liegt auf dem Boden, was sich über Jahrzehnte langsam zum Himmel hin
aufgebaut hat, Zelle für Zelle.
Die
Stümpfe mit den nahezu weißen Schnittflächen der neun Pappel zeigten
keinerlei Fäulnis oder Höhlung. 90 bis 100 cm waren die Stämme im
Durchmesser oder etwa 240cm im Umfang. Eine Gelegenheit, das Alter
anhand der Jahresringe auszuzählen. Ich ließ mir dazu von einer Pappel
eine dünne Scheibe schneiden.
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Jahresringe mit Zuwachs von manchmal bis zu 8 mm pro Jahr konnten
gezählt werden. Zur Mitte hin aber war die Erkennbarkeit der Ringe
nicht mehr eindeutig. Da hatte der Baum bereits einen Durchmesser von
fast 4 cm. In diesen jungen Jahren ist der jährliche Zuwachs auch durch
die Verschulung bzw. das Umpflanzen gering.
Die
Pappeln sind seinerzeit als Straßenbäume gepflanzt worden.
Dazu
nimmt man auch heute "verschulte" junge Bäume, die bereits eine Höhe
von mindestens drei Metern haben. Solche Bäume sind dann bereits einige
Jahre alt.
Damit hätten die
Bäume ein Alter von etwa 60 Jahren. An die Straße müssten sie um 1955
herum gepflanzt worden sein. Vielleicht gibt es Akten der Stadt oder
Straßenverwaltung, die das Datum der Pflanzung belegen. Aber wo dazu
suchen?
Der
Jeverländischen Altertums- und Heimatverein hat vor einigen Jahren eine
Serien von Luftaufnahmen aus dem Jahre 1957 ankaufen können. Diese
Aufnahmen waren bereits im Schloss ausgestellt und auch das Thema
verschiedener Lichtbildschauen des Heimatkundlichen Arbeitskreises.
Eines
dieser Bilder zeigt das damalige Ziegelhofgelände. Wenn man diese
Aufnahme sehr stark vergrößert, dann lässt sich die damaligen
Bundesstraße noch ganz gut erkennen: ein Radfahrer in Höhe der
Wirtschaftseinfahrt zum Lükenshof, das Ortsschild und junge
Straßenbäume an Pfählen. Die Pfähle sind ein Hinweis darauf, dass diese
Bäume erst kürzlich gepflanzt wurden.
Mitte
der 1950iger Jahre wurden in Jever an verschiedenen Orten Pappeln
gepflanzt. Vielleicht war es das Bemühen, mit schnellwachsenden Bäumen
wieder kurzfristig größere Bäume in die Stadt zu bekommen. Denn aus den
oben angesprochenen Luftaufnahmen ist ersichtlich, dass - mit Ausnahme
der Wallanlagen um den alten Stadtkern - im besiedelten und auch im
Außenbereich erschreckend wenig Gehölze vorhanden waren.
Aus
anderen Aufnahmen dieser Luftbildserie sind auch die jungen
Anpflanzungen der gerade in Betrieb genommenen Kläranlage an der
Schenumer Leide erkennbar. Von diesen Pappeln steht heute noch ein
Großteil - das Alter zeigt dort bereits seine Spuren sehr viel
deutlicher.
Die
auch damals gepflanzten Pappeln auf dem Gelände der
Vorgänger-Kläranlage am Kajepadd mussten bereits um 1998 gefällt
werden. Mit der Fällung dieser Riesen wurde wieder die
Windmühle
am Hooksweg in der Kulisse der Stadt für die Betrachter aus dem Norden
sichtbar - der Grund für die Fällungen war auch hier
Gefahrenbeseitigung.
Ein anderer Baum, eine besondere
Buche.
Unmittelbar
nördlich des Glockenturmes auf dem Kirchplatz stand bis zum Januar 2006
eine Buche. Das besondere an diesem Baum war, dass er zu einer
Blutbuche veredelt war (Fagus sylvatica 'Atropunicea').
Rote
Blätter bei Buchen und anderen Baumarten entstehen hin und wieder als
Laune der Natur. Meist ist damit aber verbunden, dass diese
Modifikation nicht durch Samen weitergegeben wird.
Um dennoch Bäume mit
roter Blattfarbe zu erhalten, sogar zu vermehren, werden diese
besonderen Zweige auf den „Wildtyp" gepfropft. Wenn beide Teile
gleichmäßig wachsen, verwächst die Pfropfstelle als kaum erkennbarer
Ring. Sind aber die Zuwächse beider Teile unterschiedlich, können an
der Pfropfstelle bizarre Forme entstehen.
Die
Blutbuche am Kirchturm entwickelte sich auf einem schwächer wachsenden
Wildstamm. Der Übergang wucherte - sicherlich auch noch durch weitere
Vorgänge hervorgerufen - zu einem dicken Wust von Höckern und Tälern
(in der Frl.-Marien-Straße steht eine weitere Blutbuche - hier mit
umgekehrt verschiedenem Wachstum).
Auch
dieser Baum musste aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Hier war der
Pilz bereit so sehr in die Wurzel eingewachsen, dass sich Teile davon
bereits auflösten.
Der Umfang dieses Baume betrug 3,51 Meter oberhalb der Pfropfstelle.
Wie
alt war diese Buche? Buchen können 250 - 300 Jahre alt
werden. In
der Stadt aber wird dieses Alter in der Regel nicht erreicht.
Blutbuchen zudem haben eine noch kürzere Lebenserwartung.
Unwahrscheinlich ist also, dass dieser Baum aus Zeiten des noch
genutzten Friedhofes von vor 1803 stammt.
Die Buche stand 5 Meter entfernt vom Kirchturm. Dieser wurde 1876 in
seinem unteren Teil erstmalig dort erstellt, erst 1902 wurde er auf die
heute bekannte Höhe von 56 Metern ergänzt. Konnte ein Baum so dicht
neben den Bauarbeiten bestehen?
Auch
hier hatte ich mir eine Scheibe schneiden lassen und die Jahresringe
ausgezählt: 145+ Jahre. Das Pluszeichen bedeutet wieder, dass im
innersten Kernholz ein Zählen nicht mehr möglich ist. Da hat der Stamm
etwa 2Zentimeter Durchmesser. Es sind also wieder einige Jahre der
Anzucht und Verschulung hinzuzuzählen. Im Ergebnis aber bedeutet das,
dass die Blutbuche um 1860 als Baum veredelt wurde.
Ich gehe davon aus, dass die
Blutbuche nach Fertigstellung des Kirchturmes gepflanzt wurde.
Um 1876
hatte der Baum - das zeigen die Jahresringe deutlich - einen
Stammdurchmesser von 3,5 cm. Dieses ist eine Größe, in der auch heute
repräsentative Bäume gepflanzt werden.
Die Jahresringe zeigen zu dieser
Zeit kontinuierliches Wachstum - ein Zeichen für gute Verschulung und
Pflege.
Eine
Überlegung ist, ob der Baum erst 1902 nach den Bauarbeiten zur
Erweiterung des Kirchturmes dorthin gepflanzt wurde. Mist man die Dicke
dieses Baumes aber für dieses Jahr, ergibt sich bereits ein
Stammdurchmesser von 27 Zentimetern.
Damit ein war Verpflanzen nahezu
ausgeschlossen. Auch heute werden solche Bäume nur sehr selten
verpflanzt. Wenigstens Wachstumsstörungen müssten über Jahre an den
Jahresringen erkennbar sein. Aber das ist bei diesem Baum nicht der
Fall. Daraus schließe ich, dass die Blutbuche während der Bauarbeiten
zur Erhöhung des Turmes sorgfältig geschützt wurde. Heute wäre soviel
Rücksichtnahme nicht so selbstverständlich...
Erst
seit etwa dem Jahre 2000 werden die Abstände der Jahresringe bei dieser
Blutbuche immer geringer. Das sind die Zeichen des Alters und der
Wachstumsstörungen, hervorgerufen durch die Arbeit des Pilzes in den
Wurzeln. Diese Störungen machten sich bereits von außen und vor der
Fällung an der Spitzendürre und an der beginnenden Weißfäule bemerkbar.
(Dieser
Text wurde in dem Historienkalender auf das Jahr 2009 -
erschienen im Sommer 2008 - bereits veröffentlicht. Er wird
hier
durch weitere Aufnahmen ergänzt).
Nachtrag
Dezember 2010: Beim Blättern durch die alten Jahrgänge des
Jeverschen Wochenblattes in der Bibliothek des Schlosses ist mir ein
Bericht vom 04. April 1952 aufgefallen. Der Rat der Stadt hat
beschlossen, im Stadtgebiet - das war damals nur die Gemarkung
Jever, Cleverns und Sandel waren eine selbstständige Gemeinde - 1100
Pappeln zu pflanzen. Als Pflanzorte werden der Weg am Hookstief,
der Moorwarfer Gastweg und die Schenumer Leide genannt. Wann
letztlich die Pflanzaktion stattfand, habe ich noch nicht ermitteln
können. Ziemlich sicher wurde bei dieser großen Anzahl von Jungbäumen
aber auch an anderen Orten gepflanzt; möglicherweise die o.a.
Pappeln an der Wittmunder Straße, die bereits um 1995 gefallene Pappel
an der Einmündung der St.-Annen-Straße auf die damalige Bundesstraße
(kurzzeitig mit Storchennest) und die Baumreihe nördlich des
Parkplatzes Rosenstraße (Fällung Dezember 2008).
Viele
der Pappeln am Moorwarfer Gastweg mussten in den letzten 4 Jahren
beseitigt werden. Heute stehen noch etwa 10 Exemplare kurz vor Altona
und am Ginsterweg. Auch die Pappeln an der Wangerländischen Straße im alten Verlauf parallel zur heutigen Überquerung der Bundesstraße beim Viehhof und vor Hofstelle Berg könnten aus dieser Pflanzaktion stammen. Es gibt darunter einige Riesen. Viele kleine Pappeln aber scheinen erheblich jünger zu sein.
V. Bleck