Die französisch-holländische Besetzung des Jeverlandes von 1806 - 1813

Eine Zeitungslese aus der damaligen Zeit


Einen großen Teil seiner Geschichte verbrachte das Jeverland im Schatten der Mächtigen und bewahrte sich so eine gewisse Selbstständigkeit. Auch die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges machten vor seinen Grenzen Halt. Ab 1799 begann der französische Kaiser Napoleon mit der Eroberung großer Teile Europas. Zwei Jahre vorher war das Jeverland durch Erbfolge an das russische Zarenreich unter Katharina II. gefallen. Durch die gemeinsame Niederlage von Russland und Österreich im Krieg gegen Frankreich ging es 1806 an das Königreich Holland unter Napoleons Bruder Louis. 1810 schließlich annektierte Frankreich aus Unzufriedenheit mit der bisherigen Entwicklung Holland und damit auch das Jeverland. Zusammen mit Ostfriesland östlich der Ems gehörte es fortan zum Department „Ems – Oriental“, kurz Ost-Ems.

1804 hatte Napoleon den „Code civil“, auch „Code Napoleon“ genannt, ein Gesetzbuch zum Zivilrecht, in Frankreich eingeführt. Mit in ihm enthaltenen Bestimmungen zur Trennung von Kirche und Staat, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Schutz von Privateigentum und zur freien Berufswahl kamen die Jeverländer ab 1811 mit einem für die damalige Zeit freiheitlichen und fortschrittlichen Zivilrecht in Berührung. Nachdem Napoleon 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig verloren hatte, endete die französische Besatzung, die Herrschaft Jever ging wieder an Russland, 1818 dann an Oldenburg. Die alten, rückständigen Gesetze traten wieder in Kraft.

Doch wie erlebten die Jeverländer diese Zeit der Besetzung, wie änderte sich ihr Alltag? Hierüber geben die „Jeverischen wöchenlichen Anzeigen und Nachrichten“ (JN), Vorgängerin des „Jeverschen Wochenblatts“, Auskunft. Die JN waren ein „Intelligenzblatt“, keine Zeitung. In ihm wurden amtliche Mitteilungen veröffentlicht und mit privaten Anzeigen Geld verdient. Die JN erschienen einmal wöchentlich jeweils montags.

In der Ausgabe vom 3. November 1806 weist ein kurzer Text darauf hin, das „General Möllenbeck heute Nachmittag von dieser Herrschaft im Namen Sr. Majestät des Königs von Holland friedlichen Besitz genommen, auch erkläret haben, daß in einigen Tagen holländische Truppen in diese Herrschaft einrücken würden: so werden alle Unterthanen in der Stadt und auf dem Lande ernstlich ermahnet, sich nicht nur ruhig zu verhalten und sich auf keine Art und Weise zu widersetzen, sondern auch die einzuquartirenen Truppen gut einzunehmen und zu behandeln, auch das Erforderliche zur Verpflegung der Truppen unweigerlich zu leisten, widrigenfalls sich ein jeder die unangenehmen Folgen selbst beyzumessen haben wird. Wonach sich ein jeder zu achten.“

Eine Woche später werden die Anweisungen der Besatzer konkreter: „Zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung in der Stadt und im Lande und zur Vermeidung aller etwaigen Streitigkeiten mit dem Militär“ wird das Gesinde zum Gehorsam ermahnt, alle Tanz- und Trinkgelage verboten und die Dienstboten angewiesen, „des Abends zu der bestimmten Zeit zu Hause zu seyn. Anbey werden alle Wirthe in der Stadt und im Lande bey gleicher Strafe ernstlich angewiesen, alle Sauf- und Tanzgelagen, Spindelbieren ec. in ihren Häusern nicht zu gestatten, auch keine Gäste nach 9 Uhr des Abends zu behalten, und keine fremden Musikanten und Vagabunden aufzunehmen.“ (Spindelbier war ein Wettspinnen zwischen zwei oder mehr Frauen, wobei es darum ging, einen möglichst langen Faden aus einer festgelegten Menge Wolle oder Flachs zu spinnen, begleitet von Wetteinsätzen der trinkenden und grölenden Zuschauer.)

Des Weiteren wird jeder, der nach sieben Uhr abends ohne brennende Laterne auf die Straße geht, mit zehn Goldgulden Brüche (Strafe) belegt. In einem besonderen „Publicandum“ teilen die Besatzer der Bevölkerung nochmal mit, dass das Herzogtum Oldenburg namens Sr. Majestät des Königs von Holland in Besitz genommen wurde. Oldenburgs Staatsdiener werden angewiesen, ihre Amtsgeschäfte, bei Zusicherung ihres Gehalts, fortzuführen. Allen Untertanen wird der Schutz ihres Eigentums und Gewerbes zugesagt.
Die holländische Besatzung versucht also Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, die Verwaltung der Herrschaft in ihrem Ablauf nicht zu stören und vor allem die Versorgung der eigenen Truppen sicherzustellen.

Den Saufgelagen in den Wirtshäusern ist schwer beizukommen, denn am 17. April 1809 erscheint eine weitere Bekanntmachung, dass „Seine Excellence der Minister van Justtitie en Politie (Justiz und Polizei) vernommen hätte, daß vornemlich an der Küste in den Wirthshäusern sich viele Personen des Nachts in Wein, Bier und Genever betrinken und daß daraus viele nachtheilige Folgen entständen.“ Weiterhin wird Gästen und Wirten mit einer Geldstrafe von 10 Goldgulden gedroht.

Ein Schritt zur Konsolidierung der neuen Herrschaft ist die Ernennung einer „Jeverschen Landesdeputation“ am 17. November 1806 mit jeweils einem Deputierten (Bevollmächtigten) aus der bisherigen „Regierung, dem Landgerichte, dem Consistorio (kirchliche Verwaltungsbehörde) und der Cammer“ (zuständig für Geldangelegenheiten). Ihre Aufgabe ist die Regelung der mit dem Krieg in Verbindung stehenden Ereignisse und Geschäfte. Die Untertanen und Behörden sind angewiesen, sich bei Bedarf an diese Deputation zu wenden und ihren Verfügungen Gehorsam zu leisten.

Napoleons erbittertste Gegner sind die Briten, die eine Landung französischer Truppen in England verhindert und mit der gewonnenen Seeschlacht bei Trafalgar ihre Vorherrschafft auf See gefestigt hatten. Also versucht Napoleon mit der am 21. November 1806 erlassenen Wirtschaftsblockade den Warenverkehr Englands mit der europäischen Küste zu unterbinden, mit dem Ziel, die Engländer auszuhungern. Der Schmuggel über die Nordsee blüht fortan (auch weil die Herrschafft Kniphausen als neutral gilt) und das ab 1807 von den Briten besetzte Helgoland erlebte seine wirtschaftliche Blüte.
Dazu erscheint in den „JN“ vom 15. December 1806 folgende Verordnung: Aller Handel nach England und den englischen Kolonien wird gänzlich untersagt, jeder Schiffer hat die Frachtpapiere dem kommandierenden Offizier und der Landes-Deputation zur Einsicht vorzulegen. Kein beladenes Schiff darf Hooksiel, Horumersiel, Rüstersiel und Mariensiel ohne den vorgewiesenen Frachtbrief verlassen, „bey Strafe der Confiscation (Beschlagnahme) des Schiffs und der Ladung.“ Auch einlaufende Schiffe erhalten erst die Erlaubnis zum Löschen, wenn alle Papiere vorliegen.

Auch die Engländer kontrollieren Handelsschiffe und belegten Waren für Frankreich mit einem hohen Zoll. Schon am 27. Februar 1804 sieht sich die „Rußisch Kaysl. Regierung“ veranlasst, den „hiesigen Kaufleuten, Schiffern und Schifs Rehdern bey dem noch fortwährendem Seekriege vor demjenigen Nachteile zu warnen, welchem sie sich durch Unterlassung der nöthigen Behutsamkeit und Vorsicht bey dem Handel zur See aussetzen.“ Dazu gehört keine „Contrebanden Güter“ (Schmuggelware wie Waffen, Proviant für Kriegsschiffe) an Bord zu haben, Beweise für „das neutrale Eigenthum der Fracht“ zu erbringen und keinen blockierten Hafen anzusteuern. Finden die Engländer Schmuggelware, wird diese und evtl. auch das Schiff konfisziert. Die jeversche Landesherrin Friederike Auguste Sophie, anhaltinische Statthalterin und Schwägerin der Russischen Kaiserin Katharina II, versucht „vermittelst der Rußisch-Kayserlichen Gesandschaft zu London“ diese Praxis zu ändern, allerdings ohne Erfolg.

Der Handel der jeverländischen Küste ist also schweren Hemmnissen ausgesetzt, von der Seeseite durch die Engländer und auf der Landseite von den Franzosen. Das gilt vor allem für Massengüter wie Getreide und Holz. Anfang Dezember 1803 hat der Bremer Kaufmann (?) Hinrich Schröder eine „Parthey schwedisches Stabeisen“ wegen der Weserblockade in Varel aufs Lager bringen müssen, wo ein gewisser Gerhard Eyting den Verkauf besorgen würde (JN vom 19. Dez. 1803). Am 19. Juli 1804 soll in Horumersiel öffentlich meistbietend ein auf dem dortigen Strand angetriebenes Schiff verkauft werden. Es ist mit Heringen beladen, von Tönningen, das im neutralen Dänemark liegt und alle Waren aufnimmt, die wegen der Elbblockade der Engländer nicht in Hamburg angelandet werden können, nach Altona unterwegs gewesen. Von englischen Kriegsschiffen aufgebracht sollte es nach Helgoland fahren. Durch einen Sturm ist das Schiff dann vor Horumersiel auf den Strand getrieben (JN vom2. Juli 1804).

Doch das Wattenmeer bot für einheimische Schiffer, die sich hier auskannten, mit dem Schmuggel eine andere, neue Einkommensmöglichkeit, wenn auch keine ungefährliche.

In einer Anzeige vom 8. Dezember 1806 bietet der Rüstmeister Büchner aus Jever „gut gearbeitete doppelte und einfache Flinten, schon gebrauchte Gewehre und Kugelbüchsen, wie auch schön gearbeitete Pistolen und meßingene Sack Pistolen“ an. Er steht für einen guten Schuss all seiner Ware ein. Waffen werden also von den Besatzern nicht verboten, auch ist es allgemeines Recht und üblich, Waffen im Hause zu haben.

Am 15. Dezember 1806 erscheint in der Beilage zu den „Jeverischen Nachrichten“ ein mehrseitiger Text, in dem der General=Gouverneur Bonhomme, als Vertreter des Königs von Holland und damit der starke Mann in Jever, Oldenburg und Ostfriesland, nochmal die Bevölkerung auf die neuen Bedingungen einstimmt: Rechte und Abgaben bleiben. Die öffentlichen Kassen werden in Beschlag genommen und vor allem die „Brittische Insel für blokirt erklärt“. Nach nur 42 Tagen ist die Besetzung ohne größere Widerstände erfolgreich durchgeführt.

Dieser Text erscheint in Deutsch und in Holländisch, was bei vielen Verordnungen, auch teilweise nur auf Holländisch, bis Anfang 1813 beibehalten wird. 1812 erscheinen die „Jeverischen Anzeigen und Nachrichten“ komplett zweisprachig auf Französisch und Deutsch. Auf längere Sicht soll Holländisch die allgemeine Sprache der Bevölkerung des Departments Ost-Ems werden. Viele Einheimische sehen die vielen Neuerungen als eine Bedrohung ihrer Lebensweise, ihrer Heimat; andere arrangieren sich mit den neuen Herren. Bald gibt es Lehrer für die neuen Sprachen. Johann Anton Wilhelm Schröder, Dorflehrer in Westrum, und Johann Georg Anton Kirchhof, Prediger dortselbst, erstellen ein „Deutsch=Holländisches Handwörterbuch besonders für Unstudirte“, das in der Schulze’schen Buchhandlung in Oldenburg 1810 erscheint. (Digitale Sammlungen Universitäts- und Landesbibliothek Münster)

Am 29. Dezember 1806 erscheint eine Anzeige, in der sich „hiesige Einwohner, welche Lust bezeugen sollten, auf einige Jahre unter dem Militär Sr. Königl. Majestät von Holland zu dienen, sich dieserwegen bey dem hier commandirenden Hrn. Capitain Adjudant von Dollmann in seinem Quartier melden können.“ Sie sollen „…über 18 Jahre alt seyn, und über 5 Fuß 3 Daum rheinländisch Maaß groß seyn“ (JN 6. Februar 1809). Meldestellen gab es in Leer, Emden, Aurich und in Jever. Zumindest einige Jeverländer lassen sich rekrutieren.

Bald hat sich das Leben unter der Besatzung wieder normalisiert, es gibt jetzt Warenangebote aus Holland: Flachs, Kartoffeln, Schafe. Holländer leihen sich Geld beim hiesigen Pfandleihern.

Am 2. März 1807 erscheint in den „Jeverischen Nachrichten“ eine „Aufforderung an das wohlthätige Publikum zum Besten der Verunglückten in der Stadt Leiden“. Die „Beiträge hängen ganz von der fryen Willkühr der Geber ab, indessen hoffen wir, daß gewiß recht viele ... diese Gelegenheit Gutes zu thun benutzen werden. Der Beifall des eigenen Herzens und der stille Dank der Geretteten wird der Lohn einer jeden dieser Wohlthaten seyn.“
Ein Schiff Napoleons, beladen mit Schießpulver, war im Hafen der holländischen Stadt Leiden explodiert. Die gewaltige Druckwelle und der nachfolgende Brand kosteten viele Menschenleben und weite Teile der Stadt wurden zerstört. Sogar die mit Napoleon im Krieg liegenden Engländer leisteten Hilfe.
Entsprechend gibt es eine Anweisung der Regierung am 8. Februar 1808, dass kein Schießpulver mit der Post versendet wird und wer damit handelt, es an einem sicheren Ort oder gleich im jeverschen Pulverturm aufbewahren sollte.

Die Menschen im Jeverland ertragen die holländische Besatzung zunehmend unwillig. Am 18. März 1907 warnt der Gouverneur Bonhomme in einer „Beylage der Jeverischen Anzeigen“ die Einwohner vor „boshaften Gesprächen, Verbreitung falscher Gerüchte und Zusammenrottirungen, als auch vor dem Singen von Ruhe=stöhrenden Liedern.“ Hierfür sagte er der jeverländischen Obrigkeit für die Bestrafung der Aufrührer militärische Unterstützung zu. Wie sehr diese Obrigkeit selbst an Ruhe und Ordnung interessiert ist, zeigt eine Verlautbarung in selbiger Ausgabe, wo darauf hingewiesen wird, dass jegliche Zusammenkünfte der Kirchenspiele oder Vogteien (Gemeinden) sowie Geldsammlungen ohne vorherige Information der Obrigkeit und dem Beisein von Beamten auf das Strengste bestraft werden.
Man versucht auch, „Fremde, Vagabunden und durchziehende Juden“ unter Beobachtung zu halten. Dazu mussten sie genauso wie Einheimische möglichst einen Pass haben. Wirte und Einheimische, die Fremde, ohne dass diese sich ausweisen können, aufnehmen, haben mit einer Strafe zu rechnen.
Auf dem am 25. August 1807 „einfallenden Jahrmarkt zu Schaar wird alles Tanzen bey Tage und in der Nacht bey Gefängnis Strafe hiedurch verboten; auch wird bey gleicher Strafe den Wirthen und sonstigen Einwohnern zum Schaar das Ausschenken von allen starken Getränken, auch Bier, Caffee und Thee, nach 8 Uhr Abends ... untersagt.“

Wegen Schmähschriften gegen die Besatzer wird eine weitere Verordnung in den JN am 8. Februar 1808 von der Regierung veröffentlicht. Sie droht den Anstiftern, Verfassern und Verbreitern, welche als „Pasquillanten“ bezeichnet wurden (Pasquill = Schmähschrift) mit einer hohen Geldstrafe plus 14tägigem Gefängnis. Zudem wird der Name im Wochenblatt bekannt gegeben. Bei Störung der öffentlichen Sicherheit sind Landesverweisung und Zuchthaus möglich. Das öffentlich machen von Straftaten sowie öffentliches Auspeitschen oder an den Pranger stellen ist auch schon unter der landesherrlichen Regierung ein Mittel der Abschreckung gewesen.

In der Beylage vom 30. May 1808 erreicht eine weitere Verordnung von Louis Napoleon die Einwohner von Ostfriesland und Jever, in der sie verpflichtet werden, zwey Millionen Gulden für das Jahr 1808 aufzubringen. Diese Summe soll neben den bisherigen Abgaben, Lasten und Auflagen über eine Steuer erbracht werden. Diese Zwangserhebung ist eine schwere Last für das Land, im Gegenzug gibt es dann aber keine Plünderungen. Ob die Summe jemals zusammen kam ist fraglich, da mehrere Aufrufe dazu in den folgenden Jahren in den JN erscheinen.

Um eine gerechtere Besteuerung für Jedermann zu erreichen, versuchen die Franzosen die öffentliche Verwaltung zu verbessern. In einem Aufruf im Wochenblatt vom 13. Juni 1808 durch den Bürgermeister und Rath der Stadt Jever werden Besitzer, Erbheuerleute (Erbpächter) und Eigentümer „sämtlicher bürgerlicher Ländereyen, mit Einschluß der Gast (streifenartige Ackerflur auf der Geest für die Allgemeinheit, z.B. in Jever Norder-, Südergast) und Gärten, auch der geistlichen Länder“, aufgefordert, sich schriftlich zu melden. Es musste die Größe „nach Matten (½ ha) oder Grasezahl (etwa 1/3 ha), bey Aeckern nach Scheffel (ca. 22 Ltr.) Roggen Aussaat, angegeben werden, dazu noch die Lage und Bewertung derselben.“ Unrichtige Angaben wurden mit 20 Gulden Strafe belegt.

Ähnlich ist es bei der Angabe von Geburten, Heirat und Tod, Verkauf oder Erbschaft von Gebäuden und Grundstücken: die Angabe bei der Behörde ist erforderlich, kostet Geld, wer das Notwendige nicht angibt und erwischt wird, zahlt eine hohe Strafe. Dennoch scheint Vieles „nicht gehörig befolgt worden“ zu sein, „und die hiesigen Eingeseßenen (werden) nochmals, jedoch ernstlich, erinnert“.

Waffenabgabe
Jeverische wöchentliche Anzeigen und Nachrichten vom 17. Juni 1811.

Um die Einquartierung französischer Soldaten geht es in der Bekanntmachung vom 23. Oktober 1809 aus der Regierung und Kammer in Jever: dass „die Einwohner dem einquartirten Militaer, logis, Feuer und Licht, auch täglich ein oder ein halbes Pf. gutes gar gebackenes Brod, und dabay wenigstens einmal in 24 Stunden eine nahrhafte Mahlzeit bestehend in Kartoffeln, Gemüse oder trockenen Hülsen=Früchte mit Fleisch oder Speck, oder auch Kartoffeln mit getrockneten oder gesalzenen Fischen zu geben schuldig sind“. Für Unteroffiziere erhielten die Einwohner 15 Centimen, für einfache Soldaten, welche zu zweit schlafen, die gleiche Summe pro Nacht. Pferde ergeben fünf Centimen pro Nacht. (JN vom 29. April 1811)
Wer von den Einheimischen keine Einquartierung hat, muss täglich 7 Stüber holländisch bezahlen, die bei Abzug der Truppen von der Verwaltung an diejenigen, die eine Einquartierung hatten, ausbezahlt werden. Offiziere müssen sich für eigenes Geld Speise und Trank verschaffen.

Mit dem 1. März 1811 führen die Franzosen den „Code Napoleon“ im Department Ost-Ems ein. Die Maires, Bürgermeister der Gemeinden, sind für alle Zivilsachen zuständig und müssen diese gemäß dem Gesetz ausführen. Von juristischen Fragen haben sie sich fern zu halten, im Gegensatz zu Zerbster Zeiten, als der Bürgermeister auch Richter ist. Zur Eheschließung steht hier folgendes: „Zu bemerken ist daß dieser Code nur die nach seiner Vorschrift abgeschlossenen Ehen berücksichtigt, und ganz von der kirchlichen Einsegnung derselben abstrahiret, welche weder zum Wesen der bürgerlichen Ehe erforderlich, noch zum Charakter einer gültigen Ehe, und den Kindern den Stand als eheliche, ertheilen kann. Diese kirchliche Einsegnung und Feierlichkeit ist aber keinesweges untersagt.“ Allerdings durfte eine kirchliche Trauung nicht ohne eine vorherige bürgerliche Eheschließung stattfinden. (Jeverische Nachrichten vom 29. April 1811.)

Schon 1811 beginnt Napoleon mit den Vorbereitungen für einen Krieg gegen Russland, das den Handel mit England wieder aufgenommen hat. Auch im Department Ost-Ems werden die Zügel angezogen. Siehe dazu die abgebildete Anzeige vom 17.Juni 1811.


Fortan muss man, um einen port d’armes (Waffenschein) zu erhalten, Land besitzen, in vermögenden Umständen sein, um die Jagd zum Vergnügen zu betreiben, und der moralische Charakter des Beantragenden soll keinen Missbrauch erwarten lassen. Die Franzosen haben Angst vor Unruhen.

Am 19. August 1811 wird Folgendes veröffentlicht: Albert Folkers von der Insel Borkum ist als Conscribirter (Wehrpflichtiger) zur Marine von Rotterdam bestimmt worden. Auf dem Marsch dorthin hat er seine Truppe verlassen und keine Kunde mehr von sich gegeben. Das Tribunal verurteilt den Flüchtigen in Abwesenheit zu einer Geldstrafe von 500 Francs, für die seine Eltern haften müssen, zudem verliert er seine bürgerlichen Rechte. Weiterhin hat er alle Kosten zu tragen. Bei Festnahme würde er fünf Jahren im militärischen Gewahrsam verbringen. Sippenhaft soll viele Eingezogene davon abhalten, zu desertieren. Napoleon braucht Soldaten.

Conscrits
Jeverische wöchentliche Anzeigen und Nachrichten vom 16. September 1811.

Dem entsprechend werden in den JN vom 16. September 1811 insgesamt 228 Männer aus dem Department Ost-Ems aus der „Classe von 1809“ (Zeitpunkt der Erfassung?) eingezogen. Siehe Zeitungsausschnitt links.
Befreit von der Einschreibung sind Personen, die verheiratet, Witwer oder geschieden sind, die Kinder hatten, sowie Geistliche. Weiter ausgenommen sind u. a. der einzige Sohn einer Witwe, der keine Schwester hat, das älteste von drei Kindern, welche keinen Vater und keine Mutter mehr haben, sowie derjenige, der einen Bruder hatte, der bereits in der Armee ist.

Die zu stellende Mannschaft des Arrondissement Jever, insgesamt 83, wird durch Losung bestimmt. Vor dem Abmarsch kann ein Ausgeloster durch einen Freiwilligen, der selbst nicht ausgelost worden ist, ersetzt werden, und dieser Stellvertreter zieht dann in den Krieg. Er muss aus dem gleichen Arrondissement stammen, mindestens 30 Jahre alt und 1,65 m groß sein. Außerdem frei von körperlichen Fehlern. Der Rekrutierte muss 100 Franc für Kleidung und Ausrüstung des Replacants (der Vertretung) zahlen. Falls dieser sich in den ersten sechs Monaten wegen Kränklichkeit als untüchtig erweist oder in den ersten zwei Jahren desertiert, muss der Rekrutierte eine weitere Vertretung stellen oder selbst bei dem Regiment dienen.
Natürlich können sich die Wenigsten einen Replacanten leisten, der zudem vom eigentlich Rekrutierten eine Vergütung erhielt. Wie schwer ist es für die Eltern eines armen Häuslings, ihren Sohn, den das Los nicht getroffen hat, anstatt des reichen Bauernsohns aus der Nachbarschaft nach Russland ziehen zu sehen.

Wie es war, in damaliger Zeit an einem Feldzug teilzunehmen, berichtet Lambert Oncken aus Großenmeer in der Wesermarsch in einem Brief an seine Eltern, geschrieben z. Zt. des Einzugs Napoleons in Moskau 1812. Mitgeteilt von Dr. G. Rüthning, Quelle Landesbibliothek Oldenburg.

Vom 26. Juli an stieß Lambert Onckens Reiterei auf ernsthafte Widerstände: „von diesem Tag fängt die zeit an, wo ich warhaft habe menschen leiden sehen, und ich gewiß in der zukunft keine Schilderrung Menschliche Leiden mehr zu lernen brauche.“ So traf eine Kanonenkugel den neben ihm reitenden Oberwachtmeister H. Held; er selbst fiel vom Pferd, voller Blut und Fleisch seines unglücklichen Kameraden. Sechs Wochen vorher war ihm sein „pferd unterm Leibe erschossen“, er „machte den Todten“, bis „unsere Leute mich erlösten.“ Nachts wurde ihr Lager immer wieder von Kosaken angegriffen. „Durst, Hitze, Staub, Kummer, Kälte und Hunger, Lause und Krätzte waren und sind unser beständig geselschafter.“ Der Hunger war allgegenwärtig, „besonders die armen Blesirten und Kriegsgefangenen Russen sind vor Hunger krepirt. Über das Schlachtfeld … ihnen zu beschreiben, ist mir unmöglich, der Tausende so verschiedene Schrecklich getödtete menschen und Pferde und der noch mehrere Tausend Blessierte.“ „Oh mein Gott, der Krieg ist Schrecklich! Schön ist die beschreibung in den Zeitungen bei einer Tasse Caffe und bei einer Pfeife Tabak zu lesen, aber Millionen Seufzer kostet, diese Beschreibung hervor zu bringen.“ Lambert Oncken überlebt den Feldzug und läßt sich später in der Nähe seines elterlichen Hofes nieder.

Eine weitere Beschreibung der Ereignisse im napoleonischen Russlandfeldzug über den Rückzug der Franzosen aus Russland von Carl Anton Graf von Wedel wurde in der NWZ am 15. Juni 2013 von Walter Ordemann veröffentlicht: „Die Nächte wurden immer kälter. Die Noth stieg noch höher. Der Verlust an Menschen und Pferden wurde täglich größer. Jeden Morgen blieben Leute, unfähig, ihre von Mattigkeit und Kälte erstarrten Glieder zu bewegen, an den erlöschenden Bivouacfeuern liegen…“.

Danach folgte der Rückzug auf Smolensk: „Der Weg wurde so glatt, dass die nicht geschärften Pferde (ohne Hufeisen) sich nur mit Mühe aufrechterhielten. Der Verlust an diesem Tage war entsetzlich. Die Wege waren mit todten und sterbenden Menschen und Pferden bedeckt, verlassene Kanonen, Pulver- und Bagagewagen standen in Massen, das Jammergeschrei der Niedergesunkenen war grässlich, traf aber kein mitleidiges Ohr, vielmehr wurden die Ermüdeten von den eigenen Kameraden ihrer Kleidungsstücke, ihres Geldes und was sie irgend Brauchbares hatten, beraubt. Ihre Leiden wurden dadurch abgekürzt. Wer einen Sterbenden mit einem Stück Brot, mit einem Trunk aus der Flasche hätte retten können, that es nicht, denn an dem Stück Brot, an den Schluck Branntwein hing die eigene Existenz. Wer davon weggab, gab damit einen Theil seines Lebens …. Freundschaft, Liebe, Mitleid, Barmherzigkeit waren in den Herzen erstorben, und der furchtbarste Egoismus zur Erhaltung des Lebens, wenn auch auf Kosten der Cameraden, war an die Stelle getreten.“

Kosaken nahmen Anton Wilhelm Graf von Wedel gefangen. Später aber lobte er die gute Behandlung und ausreichende Verpflegung durch die Russen. Im Februar 1814 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen und gelangte nach Leer. Doch schon ein Jahr später zog er wieder in den Krieg, diesmal gegen Napoleon, der von seinem Verbannungsort Elba zurück gekehrt war.

Am Ende dieses Berichts in der NWZ wird eine zahlenmäßige Bilanz des Russlandfeldzugs Napoleons gezogen: 610000 Mann mit 182000 Pferde und 1372 Geschütze fielen in Russland ein; 58000 Mann, 15000 Pferde und 150 Geschütze kamen wieder heraus. In dieser Aufstellung fehlen die Toten Russlands!

Die Niederlage in Russland brachte Napoleons vorher besiegte Gegner wieder auf den Plan. Gemeinsam besiegten Russland, Preußen, Schweden und Österreich den französischen Herrscher vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig und verbannten ihn nach St. Helena, diesmal für immer.

Während in Russland ihre Söhne umkamen, erhalten die Jeverländer neue Verordnungen der Franzosen:
In einem Avertissement (Bekanntmachung) von 6. Juli 1812 in den JN wird „die Deckung der Häuser mit Stroh, Reit oder Heide auf das strengste verbothen.“ Grund ist die Feuergefahr. Im nächsten Absatz wird „den Einwohner dieser Commune bekannt gemacht, daß in der Folge jede Leiche am dritten Tage nach den Absterben beerdigt werden muß, wenn nicht in etwaigen zweifelhaften Fällen ein Arzt ein anderes für nöthig erachten sollte.“
Am 16. August 1813 wird nochmal die Frist, „in der diejenigen, … welche noch keine bestimmten Familien- oder Vornamen angenommen hatten, solche annehmen und ihre desfalsige Erklärung vor dem Civilstandsbeamten ihres Wohnortes abgeben mußten, bis zum 1. Januar 1814 verlängert.“ Seit 1811 sind alle Bürger angehalten, einen Familiennamen anzunehmen, den der Ehemann bestimmen kann. Die Jeverländer machen davon nur sehr zurückhaltend Gebrauch. Zurück bei den Oldenburgern wird diese „komische Idee“ wieder abgeschafft.
Am 18. Oktober 1813 werden Kaufleute Fabrikanten und Handelsleute nochmal darauf hingewiesen, dass das metrische System bald in Kraft gesetzt wird. Allein in Ostfriesland gibt es 14 verschiedene Pfundgewichte, 467 bis 525 Gramm schwer.

Während am 8. November 1813 das Wochenblatt noch zweisprachig auf Französisch und Deutsch erscheint, hat am 7. Dezember die Welt sich wieder gedreht und die alte Obrigkeit hatte erneut das Sagen.

alte Obrigkeit
Jeverische wöchentliche Anzeigen und Nachrichten vom 07. Dezember 1813.

Im gleichen Aufruf wird „ zur Organisation einer Landwehr aus Eurer Mitte von 60 Mann von incl. 18 bis incl. 35 Jahren“ aufgerufen.
„Hierdurch werdet Ihr den Allerhöchsten Willen Sr. Majestät des Kaisers (Alexander I. von Russland), Euers allergnädigsten Landesherrn, erfüllen, Euer eigenes Glück begründen, und theilhaftig der Segnungen werden, die auf jede Art dieser Anstrengungen ruhen.“ Ähnliches hatten sich schon früher Generationen von jungen Männern anhören müssen.

Damit endet die Herrschaft der Holländer und Franzosen über das Jeverland.

„Von Gottes Gnaden Wir, Peter Friedrich Ludwig, Erbe zu Norwegen, Herzog zu Schleswig, Holstein, Stormarn und der Dithmarschen, Fürst zu Lübeck, Herzog und regierender Administrator zu Oldenburg. Thun kund hiermit:
Bey Wiederherstellung der durch die Französische Occupation verdrängten Formen der Staats-Verwaltung und Einsetzung der verschiedenen Behörden, welche den Umfang der Geschäfte unter sich theilen, ist Unsere Landesväterliche Absicht dahin gerichtet: die vorrige gewohnte und im Ganzen als wohlthätig erprobte Einrichtung beyzubehalten, und darin nur soviel zu ändern, als manche veränderte Umstände nothwendig, und eine vieljährige Erfahrung für eine zweckmäßigere Scheidung, genauere Controlle, und einen schnelleren Betrieb der Geschäfte rathsam gemacht haben“ (JN vom 3. Oktober 1814)
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Nachdem die alten Zustände wiederhergestellt sind, geht es nur noch um die Forderungen der Oldenburger Regierung und der Bürger an den (neuen) König von Frankreich. Dabei handelt es sich um rechtmäßig eingegangene Verbindlichkeiten mit der französischen Besatzung. So z. B. um den Fuhrlohn für Transporte, falls diese noch nicht bezahlt sind. Aber auch um kleinliche Dinge wie die Rückerstattung von Geldern, die der französischen Post anvertraut worden sind und ihren Bestimmungsort nicht erreichten. Kein Thema dagegen sind die Zerstörungen durch die französische Invasion, die werden als Casus fortuitus (Unglücksfall) behandelt. Auch die „zurückgekehrte rechtmäßige Regierung ist in keiner Beziehung Staatsnachfolger des usurpirenden (gewaltsam in Besitz nehmen) Französischen Gouvernements“ (JW vom 8. April 1816).

Eine letzte Verordnung der Regierung in Oldenburg zur gewaltsamen Besetzung der ostfriesischen Halbinsel erscheint am 22. April 1822 im ab 1818 umgenannten „Jeverischen Wochenblatt“: Die Bestimmungen zur rechtlichen Todeserklärung der im Krieg Vermissten. Am 17. Februar 1823 wird eine Liste von 14 Personen veröffentlicht.

 

Quellen:

Bibliothek und Archiv des Schlossmuseums Jever, Ausgaben der „Jeverischen wöchentlichen Anzeigen und Nachrichten“.
G. Rüthning, Quelle Landesbibliothek Oldenburg.
NWZ vom 15. Juni 2013: Walter Ordemann zu Carl Anton Graf von Wedel
Vielen Dank an Frau Baier.

Klaus Liebs, August 2022