Menschenknochen in Tralens
Archäologie 1791
In der geographischen Beschreibung des Jeverlandes von Magister Braunsdorf aus den Jahren um 1800 erwähnt dieser, dass im Jahre 1791 bei der Waddewarder Glockenumgießung auf der Tralenser Warf Menschenknochen ausgegraben worden seien: "Was es mit dem vermeinten Tralenser Kirchhof und den darauf vergrabenen und noch itzt vorhandenen (1797) Menschengerippen für eine Beschaffenheit habe, habe ich in einer Abhandlung in den Jeverländischen Anzeigen Jahrgang 1791 unter den Titel:
Die Warf Tralens fällt trotz ihrer Höhe von bis zu 4 m NN erst auf dem zweiten Blick auf. Fotografisch ist der ausgedehnte Hügel nur sehr bedingt darstellbar.
Hinter den Gehölz rechts befinden sich 2 Wohnplätze. Aufnahme Oktober 2022 von Westen. |
Später im Text schreibt er zu Tralens: "Viele behaupten, jedoch ohne Grund, daß hierselbst eine Kirche gestanden, und nennen noch einen kleinen Umfang auf der Mitte des Warfs beim Wege den alten Kirchhof. Daß daselbst 1791 bei Grabung einer Kuhle zum Gießen der großen Waddewarder Glocke Menschenknochen gefunden worden sind, ist wahr, woraus aber noch nicht folgt, daß, bevor der Platz zum Kirchhofe gedient, der Warf mit Häusern angebaut gewesen sei, in deren Mitte die Kirche gestanden. Auf welche schwankenden und unbegründeten Muthmaßungen sich diese Volkssage gründe, habe ich in einer eigenen Abhandlung im Jeverländischen Magazin zu zeigen gesucht." (2)
Neugierig auf die ausführlichere Begründung einerseits, aber auch auf die unterschiedlichen Verweisangaben (Jeverländische Anzeigen und Jeverländisches Magazin) habe ich mich auf die Suche gemacht. Der Begriff Warf meint dasselbe, was wir heute unter Warft oder Wurt verstehen. Heute wird das grammatikalische Geschlecht für Warf oder Warft als weiblich genutzt. Zu Braunsdorfs Zeiten galt es als männlich.
Es folgt zuerst der dabei gefundene Text in der damalig zerstückelten Veröffentlichung und seinerzeitigen Schreibweise, anschließend einige Erklärungen zu den angeführten Verweisen:
[Jeversche wöchentliche Anzeigen und Nachrichten, 25. Stück vom 17. Oktober 1791, darin Jeversches Magazin 22. Stück]
Frage, nebst muthmaßlicher Beantwortung, woher die Menschenknochen in der Erde gekommen, die man in diesem
Sommer auf dem Tralenser Warf, Waddewarder Kirchspiels, bei Gelegenheit des Glockengiessens ausgegraben
hat.
Die Gemeine zu Waddewarden kam im Jahre 1790 auf den Einfall, ihre seit 14 Jahren gerissene und unbrauchbar gewordene große Glocke
von 4000 Pfund zur Ehre des Kirchspiels und zum Besten für die Nachwelt, und zur Freude für die gegenwärtigen Bewohner wieder umgiessen
zu lassen. Der Einfall ward bald zur Würklichkeit gebracht. Nach geschlossenem Accord mit den Glockengießern kamen diese zu Waddewarden
an; arbeiteten zum Staunen der Wißbegierigen und Neugierigen; kamen
bis zum Guß und gossen — eine Glocke ohne vollständige Krone. Dieß
war wider den Accord und wider den Willen der Gemeine; und die sonst
gute Glocke mußte es sich gefallen lassen, den Feuerofen noch einmal zu besuchen, um auf gut Glück in die wieder erbaute Form zum zweitenmale zulaufen. Es geschah dem Anscheine nach gut; nur Kenner und Halbkenner zweifelten an der Güte, wovon sie verschiedene Ursachen
angaben, entdeckten Fehler, die äusserlich in die Augen fielen, doch sehr
unbedeutend zu seyn schienen. Ohne Bedenken ward sie in dem Thurm gebracht, und zur Bewunderung der darauf horchenden Einwohner das erstemal geläutet. Dieser erste Versuch, an welchem alle einen Wohlgefallen
hatten, setzte nun bei den Mehresten die Besorgniß eines innern Fehlers
ganz bei Seite; bis die Wenigen zur Beschämung der Uebrigen Recht behielten, indem im Frühjahr 1791 ein Stück von mehr als 50 Pfund unten
vom Rande besagter Glocke abflog. Nun wurde der dritte Guß nothwendig, worzu die Glockengiesser vermöge des Contracts verbindlich waren und
der eine solche Glocke geliefert hat, wie sie verlangt worden ist. Die Zubereitung hierzu nahm im Mai d. J. ihren Anfang und der Gießplatz ward
zu Tralens auf dem daselbst befindlichen Warf genommen.
Hier war es nun, wo man beim Graben der dazu erforderlichen
Grube 3 Fuß tief Rheinl., auf der Seite nach Westen, Menschenknochen
fand. Daß es würklich Menschen- und nicht Knochen von Thieren gewesen, (wie ich anfänglich selbst glaubte, und dafür hielt, daß man beim
Viehsterben diesen Platz zur Begrabung des Hornviehs sich bedient), hat
itzt gar keinen Zweifel mehr, nachdem man vor kurzem es genau untersucht
und nachgraben lassen, da man weiter nach Westen zu das übrige Gerippe
des Körpers nebst Hirnschädel, der ineinander gedrückt war, ausgegraben
und gefunden hat. Beim Graben der gedachten Grube hatte man nehmlich
bloß die Füsse berührt, und die Schienbeinknochen theils mit der Spate
durchgestochen, wie dieß noch sichtbar ist, theils ganz herausgeworfen,
durch welche man zunächst auf die Vermuthung von Menschenknochen kam,
welche durch die neuerliche an einer andern Stelle gemachte Untersuchung nun
ganz ausser Zweifel ist.
Des Zusammenhangs wegen mußte man hier abbrechen, die Fortsetzung aber soll nächstens erfolgen.
Die Warf Tralens ist auf dieser Karte von Dunker aus dem Jahre 1828 neben dem Woltersberg als einzige weitere Warft eingezeichnet, obwohl es in diesem Bereich viele Warften gibt. Entscheidend dafür mag die Weite und Höhe von bis zu 4 m über NN gewesen sein. Erstaunlich ist, dass Dunker den Kirchort Westrum nicht eingetragen hat.
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[Jeversche wöchentliche Anzeigen und Nachrichten, 32. Stück vom 05.Dezember 1791]
Im 25. Stück der Anzeigen habe ich einen Aufsatz über die zu Tralens gefundene Menschenknochen angefangen, dessen Fortsetzung ich mangelnden Raums halber bisher nicht liefern konnte. Indessen scheinet diese Abhandlung hieselbst Beifall zu finden, wenigstens schließe ich wegen der vielen und öfteren Fragen um die Fortsetzung desselben auf die gute Aufnahme des Stückes. Ich sehe aber kein Mittel, den Lesern der Anzeigen dies Stück in diesem Jahre zu verschaffen; es wäre denn, daß ich den Rest der Abhandlung der dritten Lieferung der gemeinnützigen Blätter - einverleibte. Dies geschehe denn in dem heute ausgegebenen Bogen der gemeinnützigen Blätter, denn plurima vota valent! - Uebrigens finde ich zu erinnern nöthig, daß die vierte und letzte Lieferung der gemeinnützigen Blätter dieses Jahres, welche gleichfalls aus einem Bogen bestehen wird, am 26. December die Presse verlassen werde.
Hübling
[Jeverische gemeinnützige Blätter 3. Lieferung, S. 9-16 vom 05. Dezember1791]
Beschluß des im 22sten Stück des Jeverischen Magazins abgebrochenen Stückes *(Man sehe die Anmerkung hierüber im 32sten Stück der Anzeigen): Frage nebst muthmaßlicher
Beantwortung etc.
Jetzt entsteht die Frage, auf welche Weise sind hier die Menschenknochen
hergekommen? Die erste Muthmassung, die sich den ersten Findern
am natürlichsten und leichtesten darbot, und die vielleicht einer der Gegenwärtigen mit einer ziemlichen zuversichtlichen Miene äuserte, war: "daß wohl hier ehedessen eine Kirche, und um der Kirche, wie gewöhnlich, ein Kirchhof gewesen sein müsse." Dies sah und hörte vielleicht einer von den Gräbern aus dem Kirchspiele, der darin keinen Zweifel setzte, es zu Hause seinem Weibe, und diese bei der ersten Theevisite ihren Nachbarn und Freundinnen erzählte, wodurch sie die Nachricht schleunigst im
ganzen Kirchspiele, und wie gewöhnlich mit manchen Zusätzen verbreitete.
Zu dieser Muthmassung konnte der hier über diese Stelle fast einen Fuß hoch gebrachte Schutt von gebrannten Steinen und Kalk auch sehr leicht
führen, da er offenbar anzeigt, dass wenigstens hier ein Haus gestanden
haben müsse, das eingerrissen worden; weil die Menge des Schutts zu groß
ist, als daß man ihn bloß für Ueberbleibsel von den Reparaturen der Häuser halten sollte.
Auch ist es Volkssage, daß die Westrumer Kirche hier gestanden und das Abbrechen und Versetzen dem Kirchspiele nebst Kirche den Namen gegeben. Auf die Frage nemlich, wo ist die Tralenser Kirche hingekommen? habe man geantwortet: nach "Westen um" daraus Westrum geworden, weil die Kirche von Tralens aus, weiter ins Westen steht, und also so viel als nach Westen hin bedeuten sollte. Wie weit dieß gegründet oder nicht gegründet, will und kann ich nicht entscheiden; ist mir aber sehr unwahrscheinlich, weil weder die Tralenser Häuser, noch der Tralenser Warf nach Westrum, sondern nach Waddewarden gehören, wohin auch die Gerechtigkeit bezahlt werden muß, die sich der Westrumer Prediger gewiß nie würde haben nehmen lassen, wenn er die Ansprüche darauf gehabt, und die er haben mußte, wenn es mit dem Stehen der Kirche allhier seine Richtigkeit hätte, indem die Gemeine zu ihrer Kirche keinen fremden Grund und Boden würde geheuret, und die Tralenser, wenn sie zu Westrum gehöret, sich nach Waddewarden nicht würden haben einpfarren lassen, indem sie dadurch einen weit beschwerlicheren und viel längeren Kirchweg erhielten.
Andere behaupten, Tralens sei im zwölften Jahrhundert ein Dorf gewesen, welches in diesem Zeitraum, wo die friesische Republik anfing unter sich selbst uneins zu werden, und zwar zuerst in dem Theile, welcher itzt Jeverland ausmacht, sei verbrannt und verwüstet worden, bei welcher Verwüstung auch die Kirche dem Erdboden sei gleich gemacht worden. Daß Tralens in diesem Zeitalter ein Dorf gewesen, kann man zugeben, ohne daß meines Dafürhaltens daraus folgt, daß hier eine Kirche gewesen sein müsse, bei welcher man seine Todten begraben. Denn wenn es in der Erzählung dieses Krieges heißt: "die Wangerländer hätten verbunden mit den Harlingern in Ostringen 14 Dörfer verbrannt", wer wird da wohl an Kirchspiele denken, da selbst in diesem Zeitalter nicht so viele östringische Kirchsspiele gezählt wurden. Auch muß bei dieser Verwüstung noch etwas von dieser Provinz übrig geblieben sein, weil sich sonst der Geschichtschreiber kürzer würde ausgedrückt und gesagt haben: sie verbrannten ganz Oestringen. Man kann hieraus den Schluß machen, daß wohl verschiedene Dörf er ein Kirchspiel ausmachten; und das ist itzt noch der Fall, obgleich die Benennung ungewöhnlicher geworden ist. In diesem Verstände zählt Waddewarden, die einzeln stehenden Häusern, die ihre eigene Namen haben, abgerechnet, 7 Dörfer, worunter auch Tralens gehört, und von welchen kein Mensch behauptet, daß jedes seine eigene Kirche gehabt habe. Ja, sagt man: "hier zu Tralens ist das Fundament der Kirche noch sichtbar." Dieß ist aber leicht gesagt, schwer aber zu erweisen. Man gründet diese Meinung darauf, weil man hier von oben an gerechnet 1/2 Fuß tief Klei-Erde, dann 2 Zoll breit groben Triefsand mit kleinen Kieselsteinen, darunter einige wie eine Wallnuß groß sein mögen, im Cirkel antrift, und dieß auf diese Weise viermal nach der Tiefe zu abwechselt, wie man dieß bei der noch offenen Grube auf der Seite nach Süden und Osten deutlich bemerken kann. Sollte man aber wohl auf einem so unsichern Fundamente von Klei und Triefsand eine Kirche gebauet haben? Auch dieß ist mir unwahrscheinlich, und ich glaube vielmehr, daß daraus weiter nichts folge, als daß man in den ältern Zeiten, wo das Land von Ueberschwemmungen des Meerwassers noch durch keine Deiche gesichert war, diesen Warf zu machen anfing, um darauf sich und sein Vieh vor plötzlichen Ueberschwemmungen zu sichern, und daß man theils, weil es an Erde darzu fehlte, so lange mit der Arbeit inne halten mußte, bis das Meer wieder neuen Schlick angesetzt, und am Strande, wie gewöhnlich, Triefsand ausgeworfen hatte. Diesen als das erste, welches sich ihnen darbot, brachte man zuerst weg, und belegte damit die ganze Höhe, worauf der Schlick folgte, der in größerer Menge vorhanden war, und fuhr damit so viele Jahre fort, bis er zu der Höhe und Größe gekommen, daß er der Absicht ihrer Unternehmer entsprach. Daß alle Warfe durch Menschenarbeit entstanden, ist längst ausgemacht und bestätigt die Erfahrung, indem die Natur sich in ihren Würkungen gleich bleibt und heut zu Tage bei den eingedeichten Ländern keine dergleichen Anhöhen angetroffen werden. Und sollte der Tralenser Warf bloß zur Erbauung einer Kirche gedient haben, so wäre sein ausserordentlich großer Umfang gar nicht erforderlich gewesen. Ich habe dieß deswegen hier berührt, damit Forscher der väterländischen Geschichte, und Sammler von darzu gehörigen Nachrichten, die Legende von der Tralenser Kirche nicht ohne genaue Prüfung aufnehmen und für ausgemachte Wahrheit ausgeben mögen. Als Beweis, daß erwähnter Warf, so wie alle andere durch Menschen entstanden, verdient noch angeführt zu werden, daß man auf 7 Fuß tief Rheinl. Darch von3 Zoll stark in der Grube antrift, der hier in diesen Gegenden beim Schlöten gefunden wird, den zwar einige, die sich an der Stelle ein Hausmannshaus denken, für vermoderten Mist halten, weil man in der Mitten einige grau weisse Halme mit sichtbaren Knoten antrift, welche wie Stroh aussehen, dergleichen man aber auch etwas stärker in Torfarten findet.
Tralens in der Preußischen Landesaufnahme von 1891 |
Hat nun aber die Muthmassung, daß auf dem Tralenser Warf eine
Kirche gestanden, wenig Schein, wo kommen die Todtengerippe her, die
itzt gefunden worden sind? Ich bin des Dafürhaltens, daß man die Ursach
davon in der großen Wasserfluth vom Jahre 1717 suchen müsse. Nach
dieser Wasserfluth hatte man die Gewohnheit, die angeschwommenen unglücklich Ertrunkenen nicht bloß auf Kirchhöfen, sondern auch auf andern
Plätzen zu beerdigen. Dieß erzählt und bestätigt weitläufiger der Herr
Pastor Janssen, weil. erster Prediger zu Neuende, in seinem Denkmahle der Wasserfluth vom Jahre 1717, wo er S. 307 sagt: "nachdem die Wasser ein wenig wieder gefallen und abgelaufen waren, so hatte man allenthalben einen traurigen Anblick aufm Lande, wo man nur seine Augen hinwandte. Denn da lag das Erdreich, sonderlich an den etwas erhabenen Oertern mit Heu, Stroh etc., Pferde, Kühe etc. hin und wieder zerstreut, und in großer Menge neben und aufeinander, daß nur die Leute genug zu verrichten hatten, das Aas zu verscharren.''
S .308 erzählt er: "man habe auf dem Felde viele ertrunkene Menschen liegen sehen." S .309. "Es erging damals der obrigkeitliche Befehl — in den meisten Landen, daß die Gefundenen alsobald entweder
auf dem Kirchhofe, oder doch an andern Orten begraben und in
die Erde verscharrt wurden. In Jeverland bekamen sie meistentheils
eine Begräbnis und wurden mit christlichen Ceremonien zur
Erde bestattet, da dann zuweilen15 bis 20 Körper auf einmal begraben und mit Läutung der Glocken, Singen, Predigen, in den gemachten Gräbern verscharrt wurden." S. 105 giebt er die Zahl der
Ertrunkenen zu Waddewarden zu 57 an, in welcher Angabe man keinen
Zweifel sehen darf, weil es dem Erzähler als damals lebenden Augenzeugen
sehr leicht war, davon sichre bestimmte Nachrichten einzuziehn, indem die
Prediger jedes Orts obrigkeitlich verpflichtet waren, von der Anzahl der
Ertrunkenen Bericht abzustatten; und er offenherzig genug ist, S. 216
diejenigen Oerter namentlich anzuzeigen, von welchen er keine accurate Liste zu liefern im Stande wäre.
Setzt man nun voraus, daß nicht alle Ertrunkene auf den Kirchhöfen sind begraben worden, vornemlich wenn die Anzahl zu groß und das
Hinbringen nach dem Kirchhofe, wegen der unfahrbar gewordenen Wege,
zu beschwerlich war; so kann man mit vieler Wahrscheinlichkeit auch annehmen, daß zu Tralens, wegen der Höhe und des weiten Umfangs des
Warfs eben so gut wie zu Jever und an andern Orten Ertrunkene haben anschwimmen können, die man gleich auf der Stelle wegen der weiten Entfernung des Kirchhofs, ihrer starken Anzahl und der unfahrbar gewordenen
Wege gleich nach Ablauf des Wassers beerdigt, und neben einander legte.
Diese Muthmassung erhält dadurch einen hohem Grad von Wahrscheinlichkeit.
1) Weil in der offenen Grube auf der Seite nach Westen, die
Beinknochen, die in der Erdwand sichtbar, und theils mit dem Spaten
durchgestochen, theils ganz herausgefallen sind, neben einander auf 50 Fuß
breit angetroffen werden, wovon man die letzten nach Norden hat nachgraben lassen, und das schon gedachte Gerippe nebst Hiruschädel gefunden hat.
2 ) Weil im Waddewarder Kirchenbuche nur sieben Personen namentlich angezeigt sind, welche, als in der Wafferstuth ertrunken, aufdem
Kirchhofe wären beerdigt worden, als: 1) ein Mann ohne Datums Anzeige. 2) zwei den 15ten Jan. eine Mutter nebst Sohn, 3) zwei den
25sten Febr. ein Mann und eine Frau. 4) Ein Knecht bei der Muhle
gefunden den 18ten Mart. 5) Ein Knecht beim Hockstief gefunden den
18ten Mart. — Hinter denen beiden am 25sten Febr. Beerdigten steht
die Anmerkung: in allen bis dato der ertrunken = Begrabenen 72, noch
15. — Daraus mache ich den Schluß, daß an verschiedenen Orten,
und so auch zu Tralens, im Kirchspiele, gleich nach Ablauf des Wassers
viele Personen mögen sein beerdigt worden, welche nach dem Kirchhof zu
bringen nicht möglich, und bis zum Warten des Abtrocknens der Wege
gefährlich war. Und um alle diese hin und wieder im Kirchspiel Begrabene
hat sich der damalige erste Prediger M. Pulvermacher wohl nicht bekümmern können, weil wahrscheinlich keine Stolgebühren für sie bezahlt und
ihre Namen ihm nicht angegeben wurden. Dieß machte es ihm fast unmöglich, die Ertrunkenen namentlich im Kirchenbuche anzuzeigen; am allerwenigsten konnte es bei denen geschehen, die aus fremden Gemeinen angeschwommen waren, der man sich boß aus Menschenliebe annehmen und begraben mußte. Und dieß ist wohl die Ursache, warum gedachter Prediger sich mit der bloßen Zahlanzeige der Ertrunkenen hat begnügen müssen.
Daß es sein Wille gewesen, ihr Namensgedächtniß im Kirchenbuche aufzubewahren, ist sichtbar, weil das Todtenregister von 1718 mit den Worten anfängt: "durch die Wasserfluth ertrunkene, sowohl aus andern Gemeinen, als dieser, wie sie wieder gefunden, sind zur Erden, auf dem Kirchhof, ohne weitere Zeremonien gebracht:" — Nach diesem Colon müßte der Nachsatz oder die Zahl der Ertrunkenen folgen, aber es folgt
Niemand als die vorhin angezeigten, zwischen welchen diejenigen stehen,
die eines natürlichen Todes gestorben, und als Beerdigte angeschrieben sind.
Sind aber im Kirchspiele selbst, mehr als die sieben im Kirchenbuche angezeigten, ertrunken und begraben, woran wegen der Angabe des weil. Pastor
Janssen nicht kann gezweifelt werden; so kann das Verschweigen ihres
Namens im Kirchenbuche nicht anders erklärt werden, als daß sie nicht auf
dem Kirchhof, sondern an andern Orten des Kirchspiels, und also auch zu
Tralens, sind begraben worden; und man diese Begrabene nur der Zahl,
und nicht den Namen nach an den Prediger zum Einschreiben ins Kirchenbuch hat melden können. — —
Sollte Jemanden die Begebenheit mit der Wasserfluth von 1717 zu neu sein; und die auf demTralenser Warf gefundenen Todtengebeine einem ältern Ursprung zuschreiben wollen: den will ich bloß noch an die sogenannte Allerheiligen Fluth vom Jahre 1570 erinnert haben, von welcher der weil. Pastor Janssen in seinem angezogenen Buche S. 74 sagt: daß allein im Sillenstedter Kirchspiel 276 Personen umgekommen wären.
Mir bleibt es nach den angeführten Umständen wahrscheinlicher, daß diese Todten in der Wasserfluth von 1717 dahin sind begraben worden. Der Boden, wo man die letzt ausgegrabenen Todtengebeine gefunden, war sehr feucht, (schmierig) welches noch bemerkt zu werden verdient.
Wäre es möglich, daß Menschenknochen sich in einem solchen Boden auf
viertehalb hundert Jahr in der Erde erhalten könnten, so liesse sich aus der zusammengedruckten
ausgegrabenen Hirnschale, (wobei man auf das zuverlässigste
gewiß versichern kann, daß sie durch den Gräber nicht ist zertreten worden), vielleicht der Schluß machen, daß dieser und mehrere hier zu Tralens Begrabene in
einem Kriege gewaltthätiger Weise erschlagen worden. Nun ist aus der vaterländischen Geschichte bekannt, daß der Häuptling Tanno Düren während seiner
Regierung im Jahr 1457 mit dem ostfriesischen Grafen Ulrich in Krieg verwickelt wurde. Es kam zwischen beiden mancherlei Ursachen wegen sehr erbitterten
Partheien zu einer blutigen Schlacht, die für die Jeveraner ganz unglücklich ausfiel,
indem sie nicht nur ihren tapfern Anführer durch Gefangenschaft verlohren,
sondern es auch mit Thränen im Auge ansehen mußten, daß der siegreiche Feind
mit allen ihren aus Jever und Wangerland geraubten Gütern und Vieh triumphirend
in seine Grafschaft zog. Der Zug ging wegen der starken Beute etwas langsam. Dieß machte sich der unglückliche Tanno Düren zu Nutze. In aller Eil und
Geschwindigkeit versammelte er seine Unterthanen und versah sie mit Waffen; auch
waren oldenburgische Hülfstruppen angekommen. Alke von Inhausen, einer der
tapfern Jeverschen Anführer, welcher in Gefangenschaft gerathen, war entwischt;
dieser übernahm alsbald wieder die Anführung der Truppen, zog damit dem von Beute schwer beladenen langsam und sicher daher ziehenden Feind entgegen, ereilte ihn
bei der Nendorfer Brücke, Waddewarder Kirchspiels, wo es zu einem mehr als
blutigen Treffen kam. Auf beiden Seiten focht man als Verzweifelte; bis endlich
die Ostfriesen gänzlich geschlagen, und theils getödtet, theils gefangen genommen
wurden. Haufen Erschlagener bedeckten das Schlachtfeld, und die Menge der Gefangenen war so groß, daß sie in Jever nicht alle Platz hatten, sondern in den Kirchen Wangerlands zur Verwahrung mußten vertheilt werden. Die dabei eroberte
ostfriesische Fahne ist zum Andenken dieses wichtigen Sieges, den Alko theils durch
seine persönliche Tapferkeit und Klugheit, theils durch das Muth einsprechen bei seinen Landsleuten, nach Demosthenes Art, erfochten hatte, in der Kirche zu Wiarden aufbewahret worden. Von den hier Erschlagenen liesse sich mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß wegen Nähe des Kampfplatzes eine Menge derselbe auf dem Tralenser Warf könne sein begraben worden.
M. B.
(Ende der historischen Texte)
Die Warf Tralens liegt 3,5 km nördlich von Jever nahe der Landesstraße 812 am Gänseweg der Gemeinde Waddewarden. Aktuelle Karte des LGLN 2022. |
Mit M. B. ist Magister Braunsdorf gemeint, der als Autor in anderen Artikeln dieser Blätter seinen Namen voll ausschreibt. Braunsdorf hat 1791 mit seinen Hinweisen auf die menschengemachten Hügel und die gute Knochenerhaltung in einer feuchten Lagerung den heutigen archäologischen Erkenntnisstand zu den Warften. Braunsdorf wurde hier auf schripnest.de bereits mehrmals angesprochen. Zu der "geographischen Beschreibung der Herrschaft Jever" siehe den Verweis unter (1).
Zu den etwas unterschiedlichen Verweisen von Magister Braunsdorf in der geographischen Beschreibung zu den Knochenfunden müssen wir in die Entstehungsgeschichte des heutigen Jeverschen Wochenblattes eintauchen:
Jeversche wöchentliche Anzeigen und Nachrichten war der Titel der Erstausgabe vom 5. Mai 1791. Die folgenden Ausgaben wurden als 2. Stück, 3. Stück usw. bezeichnet (entspricht heute Nummer der Ausgabe ). In dieser frühen Zeitung mit den Rubriken gerichtliche Notifikationen, Lotterie und Privatsachen gab es auch ein Jeversches Magazin für freie Texte und Informationen. Dieses Magazin, welches eine eigene Stück-Zählung hatte, erschien jedoch nicht regelmäßig, so das Magazin- und Anzeigen-Zählung bald nicht mehr übereinstimmten.
Redakteur Carl Hübling versuchte schon früh ein "Intelligenzblatt" zu etablieren. Er bat um entsprechende Textbeiträge eines Interessentenkreises. Der Platz in den Ausgaben des Magazins, sofern überhaupt erschienen, wurde eng, so daß Hübling bereits im Juli eine erste Werbung für ein zusätzlichen Blatt mit eigenen Kosten warb. Diese Jeverische gemeinnützige Blätter, gesammlet von Carl Hübling erschienen ab dem 07. November 1791 zweiwöchentlich zusammen mit dem Anzeigenblatt.
Angefangen also im Magazinteil (Jeverisches Magazin 22. Stück) wurde der überwiegende Text zu den Knochenfunden dann in den Jeverischen gemeinnützige Blätter in der 3. Lieferung beendet. Die von Braunsdorf angeführte Bezeichnung Jeverländisches Magazin gab es 1791 jedoch nicht.
Hinweise:
(1) Martin Bernhard Martens und Magister Braunsdorf, Prediger zu Waddewarden: Gesammelte Nachrichten zur geographischen Beschreibung der Herrschaft Jever (1797 bis 1802). Nach der Fassung von F.W. Riemann von 1896 mit den Ergänzungen von Georg Janßen-Sillenstede 1926. Neuausgabe 2014 S. 63. PDF-Ausgabe.
(2) dito S. 107
Foto: V. Bleck 09/2022
Karten: Dunker (Schlossmuseum), 1891 und TK25 heute (LGLN)
Im Internet habe ich keine historischen bzw. archäologischen oder geologischen Aussagen zur Warf Tralens gefunden.
Allerdings habe ich erst nach der Fertigstellung des obigen Textes auch das Inhaltsverzeichnis der Historienkalender - veröffentlicht hier auf schripnest.de - eingesehen und einen gleichnamigen Artikel mit dem vollständigen Text von Braunsdorf entdeckt (HiKa 1987 S. 76). Verfasst von dem auch hier veröffentlichenden Wilke Krüger. Rechtzeitige Abstimmung innerhalb des interessierenden Kreises wäre sinnvoll gewesen...
Diese "doppelte" Arbeit ist aber nicht verkehrt: Wer hat den Historienkalender auf das Jahr 1987? In diesem elektronischen Medium schripnest.de findet sich vielleicht ein weiterer Leserkreis.
V. Bleck Oktober 2022