Das Stadt- oder Gemeinderecht - in Abgrenzung von den Gesetzen, Verordnungen etc. höherer Verwaltungsebenen - wird vom Gemeinderat für die eigene Kommune beschlossen. Hier können sich Eigenheiten der Gemeinde spiegeln, meist jedoch konkretisieren sich in diesen sogenannten Satzungen die durch die Gemeindeordnung des Landes vorgegebenen Verfahrensabläufe der Verwaltung. Das Gemeinderecht sollten die Bürger kennen - manches Verwaltungshandeln kann da deutlicher werden...
Gemeinde- oder Stadtrechte gibt es schon lange. Für Jever wurden die Stadtrechtsprivilegien von 1536 im Jahre 1572 in einem acht Seiten umfassenden großen Pergament neu gefasst und bestätigt. Die verschiedenen Machthaber nach Maria haben dieses Stadtrecht in ihren Grundsätzen immer wieder bestätigt, aber mit dem Gang der Geschichte musste es auch angepasst werden. So hat Graf Johann schon 1577 die Privilegien und die Statuten der Stadt "confimiert". Viele weitere Anpassungen folgten in den nächsten Jahrhunderten.
Die Veröffentlichung des Stadtrechtes ist zumindest in den letzten 25 Jahren stiefmütterlich behandelt worden. Oft wurde in der Öffentlichkeit bzw. in der Politik hitzig über neue Satzungen diskutiert, allein die Kenntnis der Satzungstexte fehlte oft. Eine Veröffentlichung der Texte in den Zeitungen hätte viel Geld gekostet. So blieb die genauere Kenntnis meist im Rathaus. Bürger ohne Kenntnis der bestehenden Rechte lassen sich einfacher verwalten. Interessierte Bürger mussten im Rathaus nach den Satzungen fragen.
Im Zeitalter des Internets ermöglicht dieses jetzt eine kostengünstigere Informationsplattform. Es dauerte aber 15 Jahre, bis nach der Einrichtung der Internetseite der Stadt das aktuelle Stadtrecht dort eingestellt wurde. Seit November 2011 ist es unter www. stadt-jever.de jetzt einsehbar - weitgehend. Mittlerweile hat sich hier ein fast unüberschaubares Werk von Änderungssatzungen herausgebildet.
Wie weit vorher es dieses zurückhaltende Informationsverhalten der Verwaltung gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis. In der Zeit des III. Reiches habe ich verschiedene Satzungen vollständig in der örtlichen Tageszeitung abgedruckt gefunden. Hier hätte der interessierte Bürger seine eigene Sammlung anlegen können...
In der Zeit davor gehörten
Zeitungen nicht unbedingt zum Rüstzeug aller Bürger. Wie wurde das
Ortsrecht da verkündet?
Die revidierte
Gemeindordnung für den Landesteil Oldenburg
vom 15. April 1873 sagt dazu: "Art. 27. Die
Beschlüsse der Gemeindevertretung ..
müssen unter der Aufforderung an die Gemeindebürger zur Abgabe ihrer
Ansichten über dieselben und unter der Angabe des Orts und der Zeit der
Offenlegung an einem von der Gemeindevertretung zu bestimmenden Orte
auf 14 Tage,
vom Tage der Bekanntmachung an, öffentlich ausgelegt und
demnächst unter Erwähnung der etwa abgegebenen Erklärungen der
Stimmberechtigten in zweiter Lesung wiederholt werden." Genauere
Ausführungen zu den Veröffentlichungen finden sich nicht in diesem Gesetz.
Auf dem Dachboden
des Rathauses finden sich einige Bündel von
gleichen Druckwerken, mal nur eine oder wenige Seiten stark, einige
auch als
Heft mit einem Kartoneinband umgeben. Das Format entspricht in
der Regel A5, gedruckt wurden sie bei C.L. Mettcker
& Söhne
in Jever, zum Beispiel: "Statut Nr. 34 betreffend die
Bauordnung
für die Stadt Jever. 1910" oder "Statut XXXVI der Stadtgemeinde Jever
betreffend die kaufmännische
Fortbildungsschule. 1911". Angesichts der
vorhandenen Stapel war für mich naheliegend, dass die Statuten
(Satzungen) möglicherweise ihrerzeit als "Flugblatt" verteilt oder an
Interessenten abgegeben wurden.
Nachvollziehbar
mag
die Veröffentlichung auf diese Art ganz sicher z.B. bei der Bauordnung
sein, denn dieses umfassende Statut mit über 40 Seiten sollte bei den
Bauplanern und Bauherren schon vorhanden sein. Weniger zu dieser
Vermutung mag
passen, dass das "Statut Nr. 45 der Stadtgemeinde Jever betreffend die
Ruhegeldskasse der städtischen Arbeiter" (1914) in einer solch
großen Auflage gedruckt wurde, wie niemals Arbeiter an Anzahl in den
nächsten 100 Jahren eingestellt werden würden...
Die
auffällige Nummerierung der bisher bekannten Statuten machte
neugierig auf eine
geordnete
Liste. Solch eine aber konnte ich nicht finden, sei es in den
Findbüchern des Staatsarchivs noch in den geordneten Teilen der
Stadtregistratur. Neben den erwähnten Druckstapeln führten Zufallsfunde
im verstaubten Teil des Aktenbodens zur Ergänzung einer von mir
aufgestellten Liste. Ein
unbeschrifteter Ordner mit Stadtrechten aus Anfang der
1960-Jahre, der
möglicherweise für einen neuen Verwaltungschef angelegt wurde, enthält
neben den Nachkriegsatzungen auch einiges an älterem
statuarischen
Recht, manchmal kommentiert über noch
bestehende Gültigkeiten. Zwei
handgebundene kleine Bändchen im Vorzimmer der Stadt - eher als
historische Stehrümpchen angesehen - konnten weitere Lücken füllen,
denn hier wurden die Statuten, zwar mit vielen Lücken, eingeklebt,
wieder herausgetrennt usw.
Durch manche Querverweise und andere Hinweise verdichtete sich eine Liste von 99 Statuten. Die Zählung begann im Jahre 1856, denn zuvor war die Gemeindeordung für das Herzogtum Oldenburg vom 01. Juli 1855 in Kraft getreten, die es erlaubte, "statuarische Anordnungen zu treffen". Diese Gemeindeordnung wurde 1873 "revidiert" und galt dann bis 1935. Ab dem 31.03.1935 galt die "Oldenburgische Überleitungsverordnung zur Deutschen Gemeindeordnung für den Landesteil Oldenburg".
Bei der Überprüfung der "Flugblatttheorie" wurde ich schon beim Statut 1 fündig. Der Ausgabe des Jeverschen Wochenblatts vom 27.04.1856 (Datum der Veröffentlichung) ist tatsächlich ein etwa A5 großes Faltblatt beigelegt, auf dem die Statuten 1 bis 3 auf 4 Seiten dargestellt sind. In der Zeitung selbst, die seinerzeit nahezu ein reines Anzeigenblatt war, gibt es weder die Tage vorher noch später einen Hinweis auf die Beilage. Dieser Fund stützt die "Flugblatttheorie". Aber schon die nächsten Statuten finden sich nicht mehr als Beilage - oder aber der Buchbinder hat sie seinerzeit einfach nicht mit übernommen (Beilagen für Werbung in Form kleinerer Zettel kamen seinerzeit öfter vor). In der mittlerweile mit etwas größerem redaktionellen Teil ausgestatteten Ausgabe vom 08.08.1878 wurde andererseits der vollständige Text eines Stadtratbeschlusses abgedruckt, ohne dass dabei erwähnt wurde, dass es sich um das Statut 14 handelt (Straßenordnung für den engeren Bezirk der Stadt Jever betreffend). Exemplarische durchgesehene Jahrgänge des Jeverschen Wochenblattes zwischen 1879 und 1889 bestätigen, dass die Flugblatttheorie stimmt. Am 22. Mai 1879 wird unter den amtlichen Mitteilungen der Zeitung gemeldet: "Mit No. 79 des Jeverschen Wochenblattes von 1879 werden Statut XV., feuerpolizeiliche Vorschriften für die Stadtgemeinde Jever betreffend, und Statut XVI., das Feuerlösch- und Rettungswesen in der Stadtgemeinde Jever betreffend, im Gemeindebezirke Jever vertheilt werden. Auch liegen die Statuten XV. und XVI. vom Tage dieser Vertheilung an auf dem Rathaus zur Einsicht aus." Mit der Zunahme der amtlichen Mitteilungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Zeitung wurden aber auch die wichtigsten Aussagen neuer Statuten abgedruckt (z.B. JW vom 21. Mai 1889).
Interessant ist, mit wie wenigen Statuten das städtische Leben über die Zeit von 79 Jahren geregelt werden konnte. Selbstverständlich gab es viele andere unmittelbar wirkende Gesetze höherer Verwaltungsebenen. Das ist heute nicht anders. Aber wie z.B. die städtische Bauordnung ausführlich die Aspekte des Bauens schildert und dafür die Regeln aufstellt: das ist einfacher zu verstehen als die heutige Baugesetzgebung. Es lohnt sich die Statuten zu lesen, denn einen Einblick in das städtische Leben zu der damaligen Zeit geben sie allemal. Die Statuten sind, soweit bisher auffindbar, als Scan bzw. Faksimile aufrufbar (PDF-Dokumente).
Einige Hinweise sollen
die Aufmerksamkeit lenken.
So
fallen die vielen Statuten auf, die das Gehalt des Bürgermeistern
bestimmen. Das sind die Statuten1, 12, 41, 42, 47, 54, 89, 94: eine
kontinuierliche Aufwärtsentwicklung des Gehaltes. In
Statut Nr. 57 wird von der städtischen Badeanstalt berichtet,
die
sich - heute mit Staunen wahrgenommen - in einer Aufweitung des
Hookstiefs befand. Diese Aufweitung ist heute noch in Höhe der
Kläranlage zu erkennen. Hinzuweisen ist auch auf das Statut zur Bildung
eines Pflegeausschusses (1921, ohne Nummer versehen), welches in § 5
bestimmt: "Dem Pflegeausschuß steht es frei, außerhalb seiner
kommunalen oder staatlichen Aufgaben sich auch auf dem Gebiete der
freien Liebestätigkeit zu betätigen...". In einem der
maschinenschriftlich vorliegenden Texte ist das Wort Liebestätigkeit
mit einem roten Stift zweimal kräftig durchgestrichen worden.
Manche
Probleme des gemeinschaftlichen Miteinanders bleiben auch nach über 100
Jahren, wie z.B. das Beseitigen des Schnees von den Wegen
und Straßen, die geordnete Bauweise in der engen Stadt, die Eintreibung
von Beiträgen für Gemeinschaftseinrichtungen. Andere Probleme sind
heute weitgehend entspannter geworden wie die z.B. die Feuerlöschordnung.
Ein
weiteres umfassendes Thema sind die Regelungen für die Schulen - hier die
Fortbildungsschulen für Handwerklehrlinge und die kaufmännischen
Fortbildungsschule, die Bleekerschule und das Lyzeum für Mädchen. Das
heutige Marien-Gymnasium galt nur für Jungen.
Auch
die technische Entwicklung forderte den Rat und führte zu besonderen
Statuten: der Beginn der
elektrischen Stromversorgung, die Versorgung mit Leitungswasser, die
Zunahme des motorisierten Verkehrs. Jever
hatte ab 1896 ein eigenes Elektrizitätswerk. Die Geschichte der
jeverschen Abfall- und Fäkalentsorgung ("Goldwagen") und der Beginn der
städtischen Kanalisation lässt sich hier nachvollziehen.
In der folgenden Aufstellung sind die bisher aufgefundenen Statuten aufrufbar. In Klammer gesetzt sind die Statuten, von deren Titel es nur mittelbar aus den Findbüchern des Staatsarchivs oder durch andere Hinweise Kenntnis gibt. Einige der Änderungsstatuten haben keine eigenen Nummern bekommen. Auch solche Statuten erschweren die Einordnung. Die Zählung geriet aber nach den bisher vorliegenden Ausgaben offensichtlich nur einmal in Unordnung, denn die Satutennummer 94 wurde zweimal vergeben. Man behalf sich mit einer Ausgabe von Nr. 94 A. Zwei andere Fehler der fortlaufenden Zählung ergaben sich wohl im Druck; statt Statut XXXIX wurde XXXVII und ein Komma gedruckt, statt Statut 54 die Nummer 53. Auf diesen Ausgaben wurde der Fehler handschriftlich korrigiert.
Ab 1917 wurde - nach den bisherigen aufgefundenen Statuten - das Gemeinderecht nicht mehr als "Flugblatt" durch den Verlag Mettcker gedruckt, sondern per Schreibmaschine und Umdruck, wie wir es noch aus der Schulzeit zumindest bis in die neunzehnhundertsiebziger Jahre kennen. Drei Ausnahmen gibt es jedoch dazu: Statut 87 aus dem Jahre 1929 über die Wasserversorgung, ein in Karton gefasstes A6 Heftchen, Statut 92 mit Änderungen der Sparkassensatzung aus dem Jahre 1931 und Statut 99 aus dem Jahre 1934 über Änderungen der Bauordnung, gedruckt in A4 und A5. Hat das preislich sicherlich günstigere Umdruckverfahren mit der wirtschaftlichen Knappheit der zwanziger Jahre zu tun?
(Erläuterung zu den Scans: In den dargestellten A4 Seiten wurden unten links oft Teile des Papiers weggeschnitten; dieses dient dazu, die Statutblätter besser in das A5- Büchlein einzufalten).
Jede
Satzung bzw. jedes Statut nimmt Bezug auf die jeweilige "Ermächtigung"
der geltenden Gemeindeordnung. Für die hier betrachtete Zeit ab 1856
war das die Gemeindeordnung für das Herzogtum Oldenburg vom 01. Juli
1855. Die Statuten beziehen sich jeweils im Genehmigungsvermerk am Ende
auf den entsprechenden Artikel (Art. 173 § 2). Am 15. April 1873 wurde
die Revidierte Gemeindeordnung erlassen, die ab dem 1. Mai jenes
Jahres galt. Die "Ermächtigung" ergibt sich hier in Art. 5 § 3. Es
heißt dort:
"Die Gemeinden sind befugt, mit Genehmigung des
Staatsministerium statuarische Anordnungen zu treffen, die jedoch den
bestehenden Gesetzen ... nicht widersprechen dürfen:
1. über
solche
Angelegenheiten der Gemeinden sowie über solche Rechte und Pflichten
ihrer Mitglieder, hinsichtlich deren das gegenwärtige Gesetz
Verschiedenheiten gestattet oder keine ausdrücklichen Bestimmungen
enthält;
2. über sonstige eigentümliche Verhältnisse und
Einrichtungen in der Gemeinde, namentlich auch über polizeiliche
Gegenstände."
Nicht nur die Stadt hatte Statuten. In der hier betrachteten Zeit finden wir laut Findbuchregister auch Vereinsstatuten der Kranken- und Sterbekasse für die in der Stadt Jever in Arbeit stehenden Gesellen (1852), des Vereins für Verringerung der Beerdigungskosten in der Stadt Jever (1847), des Vereins selbstständiger Handwerker und Fabrikanten für Stadt und Amt Jever (1900), des Gesellen-Gesangsvereins "Vorwärts" in Jever (1878) und andere. Auch die Krankenkasse war offensichtlich mit eigenen Statuten ausgestattet (Statut 32: Krankenversicherung für Dienstverpflichtete. 1908).
Quellen:
Findbuch: Veröffentlichungen
der Niedersächsischen Archivverwaltung. Hier nur Online-Suche über die
Herrschaft
Jever:
Best. 90-28 Nr. 1 bis 9, 24 bis 29 (ältere
Stadtrechte) für
die Zeit ab 1856: Best. 31-15 48 Nr. 4, Best. 262-4 Nr. 10743, Best.
262-4 Nr.11195, Best. 262-4 Nr. 11366
Jeversches
Wochenblatt, verschiedene Ausgaben, siehe Text.
Repro: V. Bleck
V. Bleck Juni 2012