Saatkrähenvergrämung der letzten Jahrzehnte in Jever
Eigentlich ist es in der
Öffentlichkeit zum Thema Saatkrähen in Jever in den letzten Jahren ruhiger geworden. Da mag die seit 3 Jahren erfolgte Live-Videoübertragung (1)
der Brutzeit im Schlosspark viel beigetragen
haben. Eine konstruktive und positive Berichterstattung über das
Leben des Krähenpaars Mathilde mit Krähenmann erzielt doch eine überörtliche Wirkung, in der sich die
üblichen Kläger möglicherweise
sogar zur Zurückhaltung angehalten sehen.
Vielleicht dennoch
noch unter dem Eindruck der vergangenen Brutperiode der Saatkrähen in der Innenstadt stehend, ganz sicher
aber im Hinblick auf die Kommunalwahl am 12. September zielend, hat die
Soziale Wählergruppe SWG am 30. Juni 2021 einen Antrag in den Rat
der Stadt Jever eingebracht: Regulierung des Krähenbestandes in Jever; Anschaffung von UHU-Paaren
(Formulierung und Schreibweise gemäß Ratsinformationssystem (Ratsinfo) der
Stadt).
Dieser Antrag steht heute, im März
2022 kurz vor dem Beginn der diesjährigen Brutperiode immer noch in
der Liste der Anträge im Ratsinfo der Stadt - im Herbst an der
Spitze, jetzt erheblich weiter hinten.Trotz der Reifezeit dieses
Antrages werden sich die vorgeschlagenen bzw. geforderten Maßnahmen
für die jetzt bevorstehende Brutperiode nicht mehr umsetzen lassen.
Wenn je überhaupt, denn beide im Antrag formulierten Gesichtspunkte
standen schon 2017 zur Debatte und zeigten auch damals keinerlei
Folgen.
1.) Die SWG beantragt, dass der Umweltbeauftragte der Stadt
Jever sich mit der Thematik und dem Ziel beschäftigt in Jever 1 bzw.
2 UHU-Pärchen anzusiedeln z.B. Glockenturm und Schlossturm. Ferner
soll dieser Vorschlag mit den Umweltbehörden und der Jägerschaft
konkretisiert werden, Sinnvoll wäre es auch einen Vertreter des NWK
hinzuzuziehen.
2.) Es wird für dieses Vorhaben und Umsetzung
werden 5.000 € in den Haushalt 2022 eingestellt
3.) In den
Folgehaushalten werden jährlich 5.000 € für die Schaffung eines
Vorstadtwaldes jeweils in die Haushalte eingestellt. Dieser
Vorstadtwald soll den Krähen als Ausweichquartier dienen. Lage und
Beschaffenheit des Waldes soll im gleichen Gang mit der o.g. Thematik
(UHU) im Einklang mit Umweltämtern, Umweltorganisationen und
sonstigen Behörden besprochen. (2)
Der erste
Teil des Antrages erinnert an einen 2013 durchgeführten Versuch zur
Saatkrähenvergrämung (auch) mittels eines Klebstoffes. Das örtliche
Unternehmen Trotherm brachte ein Nebenprodukt auf den Markt, welches
mit dem drohenden
Namen "Nopaloma" vordringlich die Ansitzmöglichkeiten für
die wilden Stadttauben an Gebäudensimsen etc. reduzieren sollte.
Dieses Mittel wurde auch der Stadt für einen Test angedient, damit
den Saatkrähen durch die Klebrigkeit in den Bäumen der Aufenthalt
und der Nestbau vergrault werden sollte.
Der
Versuch fand am 27. März 2013 an der linken Eiche neben der
Denkmalstele von 1872 statt. Zwei schon vorhandene Nester wurden
mittels Hebebühne
entfernt und die
dortigen Äste sowie das Umfeld durch einen Mitarbeiter der Firma mit
der Paste bestrichen. Nachdem allerdings schon die dritte Kartusche
nach wenigen Minuten Auftragung geleert war, das Geäst der Eiche
jedoch noch viel, viel Platz bot, wurde aus Kostengründen Halt
gemacht.
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2 neue Nester nach dem Nopalomaversuch
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Ich hatte Vergleichsfotos gemacht: Bereits am nächsten Tag entstand ein neues Nest an anderer Stelle im Baum, sechs Tage später eines offensichtlich unmittelbar neben einer Pastenauftragung. Diese Methode wurde nicht weiter verfolgt. In Süddeutschland jedoch wurde tapfer mit den Erfolgen dieser Vergrämungsmethode geworben. Die Allgäuer Zeitung berichtete später - eher als Glosse. Der Spott der Leserschaft ließ nicht auf sich warten.(3)
Der
o.a. Antrag, natürliche Feinde der Saatkrähen im Ort anzusiedeln,
wurde im Rathaus schon mehrmals verhandelt (siehe NWZ vom 10. März 2017: "Immer wieder Krach um Krähen"). Nicht nur der
Umweltbeauftragte, sondern auch Ratsmitglieder suchten
vor Jahren schon beim herbstlichen Brüllmarkt das Gespräch mit den
verschiedenen dort auftretenden Falknern. Die Auskünfte dieser waren
immer ernüchternd: Eine solche Aktion könne nur von Falknern
durchgeführt werden – das gehe bei einem zeitlich langen Einsatz
ins (unbezahlbare) Geld; eine Ansiedelung vom Jagdfalken und
Großeulen mit dem gewünschten Ziel sei überhaupt nicht
abzuschätzen; domestizierte Tiere verlören dazu weitgehend den
Jagdinstinkt.
Das wurde im Fachausschuss mehrfach mitgeteilt –
aber es gibt ja immer jemanden, der von anderortigen Erfolgen gehört
hat. Die örtlichen Ornithologen hatten
sich für die Saatkrähen positioniert – deren Auskünfte wurden
ignoriert. Denn die hier gefragten Beutegreifer lassen sich nun mal
nicht wie Bauklötze hin- und herschieben. Der Kirchturm der
evangelischen Kirche beherbergt seit einigen Jahren wieder ein
Turmfalkenpaar. Diese Art stellt für die Saatkrähen jedoch keine
Gefahr dar. Anders wäre es mit Wanderfalken. Der besiedelten Bereich
ist dabei für diesen größeren Vogel kaum Jagdgebiet. Attraktiv kann
dort aber ein hoher Brutplatz sein. Seit 4 Jahren brütet tatsächlich
ein Wanderfalkenpaar auf der oberen Plattform unseres Fernmeldeturmes
in über 60 Metern Höhe in der dort
schon vor Jahren aufgestellten Nisthöhle.
Aber diesem wird das Leben hier nicht einfach gemacht. Störungen der Vögel mittels Laser am
Fernmeldeturm wurden schon beobachtet.
Allgäuer Zeitung vom 15. Januar 2015 berichtet über die Paste aus Jever
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Der Uhu als größte Eule ist ein möglicher
Beutegreifer von Saatkrähen. Diese Art
ist aber seit den früheren Verfolgungen selten und meidet den bewohnten Bereich. Uhus
wurden bisher in der Stadt nicht beobachtet – falls es denn in
erreichbarer Nähe überhaupt ein Vorkommen gibt. Erst im Upjever
Forst soll die Art gesichtet worden sein.
Weiterhin zu bedenken
ist, das Brut- und Aufzuchtperiode wie bei
allen Wildvögeln nur knappe drei Monate
dauert.In
dieser Zeit hätten Beutegreifer Erfolg bei Brut und Jungtieren. Was
futtern diese Jäger in der übrigen Zeit in ihrem städtischen Leben?
Die Einrichtung eines Vorstadtwaldes wurde bereits um 1992 vom damaligen Stadtdirektor Hashagen angeregt. Seinerzeit gab es in der Stadt noch keine Saatkrähen. Die Motivation mag in dem privaten Interesse – der Jagd - verbunden mit der aufkommenden „Ökologisierung“ in den öffentlichen Diskussionen gelegen haben. Den konservativen Rat zur Zustimmung zu bewegen gelang ihm dadurch, diese Flächen als unausweichliche Kompensation für das Baugebiet Ladestraße/Alter Güterbahnhof (BP 53) auszuweisen. Denn mit Beginn der 1990er Jahre setzte sich langsam die schon seit Jahren geltende Eingriffsregelung des Naturschutzgesetzes durch. Mehrere, leider nicht zusammenhängende schmale Parzellen konnten damals auf sandigem Boden in Moorwarfen erworben werden. Zwei Tage des Baumes sorgten für die Bepflanzungen einer bisherigen Ackerfläche am Moorwarfer See, andere kleine Parzellen brachten schon üppigen Bewuchs als aufgelassene Baumschulflächen mit. Einer Arrondierung der Teilflächen widersetzten sich dann aber anliegende Landbesitzer – so ist der Stadtwald seit 30 Jahren im Anfangsstadium steckengeblieben. Soweit zur Geschichte des Stadtwaldes.
Was aber haben
Stadtwald und Saatkrähen miteinander zu tun? Wer sich die heutigen
Standorte der Brutbäume der Saatkrähen
im Stadtgebiet vergegenwärtigt,
erkennt, dass als Voraussetzung ein Baumbestand von
weit mehr als 10
Metern Höhe erforderlich
ist, wie im Schlossgarten, in den
Wallanlagen, an der Wittmunder Straße oder bei Jürgens Dreesche.
Die Anpflanzungen rund um das Freibad, um 1982 entstanden, haben
mittlerweile eine ausreichende Höhe, so das hier seit wenigen Jahren
auch Siedlungsgebiet ist. Gucken wir weiter in die westliche und
nördliche Landschaft hinein, finden wir meist
zwar Hofbüsche mit ausreichender Höhe
– jedoch keine Brutplätze.
Von einigen dieser Orte wissen wir
von Nestbauversuchen.
Hier haben wohl die Anwohner weiteren Ausbau verhindert. Über die
Stadtgrenze geschaut, bevorzugen die Saatkrähen auch woanders die
bebauten Gemeindeteile. Selten finden sich geduldete Brutbäume auf
Hofbüschen. Offensichtlich sehen die Saatkrähen auch
Autobahnrändern als ausreichend sicheren Kolonieplatz an. Bekannt
ist die Kolonie bei Blauhand. Am Wilhelmshavener
Kreuz gab es Nestbau- bzw. Brutversuche.
Aus der jetzigen Brutplatzverteilung
ist auch zu erkennen, dass die Saatkrähen die südlichen Bereiche
des Stadtgebietes offensichtlich meiden.
Dabei wäre im Wallheckengebiet von Cleverns und Sandelermöns der
erforderliche Baumbestand vorhanden. Warum finden sich keine
Saatkrähen im Schützenhofbusch oder in der Gotteskammer? Zur
Nahrungssuche schwärmen die Tiere auch in die südlichen
Stadtbereiche aus, als Koloniegebiet
aber scheinen diese nicht zu genügen. Auch die
Flur um Moorwarfen, mit Wallhecken
und Alleen mit den
hohen und alten Baumbeständen
und dem zu
erweiternden
Vorstadtwald, wird
für die Nahrungsaufnahme besucht, die
Vögel ,ignorieren‘ aber
das dortige Areal als
,Ausweichquartier‘ für Nestbau
und Brut.
Saatkrähen sind keine
Waldvögel. Sie bevorzugen eine Parklandschaft mit
dichteren und offeneren Bereichen. Möglicherweise meiden sie Pappeln
und Weiden als Nestbäume. Wir wissen es
nicht genauer. Die Tiere sind schlau
genug, zu erkennen, dass nach einer jahrhundertelangen Verfolgung der
beste Schutz für die Brutplätze sich innerhalb der menschlichen
Ansiedlungen findet. Gleichzeitig bieten sich hier auch neue
Nahrungsquellen. Und wenn, wie in Jever, neben einer
Mitnahme der regelmäßigen Graftengeflügel-Fütterung auch noch ein
riesiger Energiemais-Haufen für Biogas am nördlichen Stadtrand
liegt, in Sichtweite das
Abfallwirtschaftszentrum sowie weitere Biogasanlagen,
dann können sich die Sattkrähen wie im Schlaraffenland fühlen.
In den letzten Jahren der relativen Ruhe um die Krähen ist Bewegung in die Auswahl der Koloniebereiche gekommen. Die Besiedelung von Bäumen in den Wallanlagen dünnt sich aus, dafür werden Baumwipfelbereiche um das Sportzentrum herum und am Schurfenser Weg erobert. Der Schlosspark bleibt Asylgebiet, aber die gärtnerisch erforderlichen Fällung haben Spuren hinterlassen.
Seit über 20 Jahren zählen Werner Menke von der WAU und der Umweltbeauftragte die Nester im Stadtgebiet als Maß für den Krähenbestand.
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Für die letzten 10 Jahre hat sich eine Anzahl zwischen ca. 530 und 720 stabilisiert. Trotz einer Abwanderungen aus der Innenstadt wurde im letzten Jahr jedoch die 800-Marke überschritten Das neue Siedlungsgebiet mit alten Eichen im Hofbusch Jürgens Dreesche und in den hohen Bäumen im Umfeld des Sport- und Freizeitgeländes mag die Vermehrung gefördert haben, sicher aber werden auch die letzten warmen Winter und die ganzjährig zu besuchenden nahen Futterquellen einen Einfluss auf die Populationsgröße genommen haben.
Die Zählung 2021 erfolgte durch Philipp Berens (Stadt Jever) und Volker Bleck für Kirchplatz, Wallanlagen sowie die Außenbereiche Jevers und durch Werner Menke für den Schlosspark.
Schlosspark: Die erste Zahl gibt die Nester im Park an, die zweite Zahl die im unmittelbaren Umfeld liegenden (Ehrenmale für die Kriegsopfer, Schlossgang). Die 2018 erstmals festgestellte Kolonie im „Wäldchen“ Ecke Beethovenstr./ Wittmunder Str. und gegenüberliegende Seite) ist weiter gewachsen, seit 2019 hat sie eine eigene Rubrik. Das Nest in der Rubrik ‚Andere Standorte‘ befindet sich hinter dem OLB-Gebäude. Zur Methode: Gezählt werden jeweils die einzelnen Nester. Dabei kann bei „unfertigen“ Nestern im Einzelnen nicht immer klar gesagt werden, ob es sich um Nester handelt, an denen noch gebaut wird, oder um aufgegebene Versuche von Nestbauten; insofern erheben die Zahlen keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit, sind aber im Hinblick auf die Größenordnung durchaus aussagekräftig. Veränderungen können sich auch durch Neubauten bzw. Aufgabe von Nestern nach den jeweiligen Zählterminen ergeben. Auffällig ist vor allem die sehr starke Zunahme in den Bereichen Jürgens Dreesche (Anwesen Meyer), Schurfenser Weg und Flächen nördl. u. westl. Sportzentrum, also in den Außenbereichen Jevers. Dadurch wird 2021 für Jever eine neue Rekordzahl von rund 800 Nestern gezählt (bisheriges Maximum: 2012 mit 716). |
Man könnte vermuten, dass sich die zur Zeit weitgehend unbehelligte Saatkrähenkolonie hinaus in die freie Flur wagt. Das war eigentlich das ursprüngliche Ziel aller in den politischen und rechtlichen Diskussionen zu den durchgeführten Vergrämungsmaßnahmen in der Innenstadt. Aber auch Vergrämung ist Verfolgung – eine Erkenntnis zum Wissen über diese Vögel?
„Rechtzeitig Bäume pflanzen für die späteren Koloniestandorte“ wurde vielfach angemahnt. Für 20 bis 30 Jahre müsste man da schon vorausplanen. Mit fehlendem Eigentum an geeigneten Flächen und Vorbehalte, sich damit für zukünftige Gewerbegebietsausweisungen im nördlichen Stadtgebiet zu binden etc. war keine rechtzeitige Vorsorge in Standorte für große Bäume möglich. Dabei gibt es z.B. in den Zufahrtsschleifen der B210-Auffahrten ,Nord‘ und ,West‘ räumliche Möglichkeiten von Anpflanzungen für diesen Zweck. Die dort bis vor zwei Jahren stehende Erstbepflanzung aus dem Jahr 2000 wuchs gerade in die für Saatkrähen geeignete Höhe hinein, da wurde alles wieder gefällt. Sicherheit für den Verkehr! Aber mussten deswegen auch die Bäume in der Mitte dieser großen Brachländereien dran glauben. Was entwickelt sich jetzt dort? Wenigsten Blumensaat hätte man ausbringen können. Zwischen Straßenmeisterei und die Stadt als nahe Verwaltungsbehörden sollte doch eine Zuammenarbeit möglich sein.
Soweit zu den im o.a. Antrag aufgestellten Forderungen.
Wie schon erwähnt, ist der
Sachverhalt schon mehrfach beantragt oder besprochen worden. In den Niederschriften der Ausschusssitzungen wäre das nachzulesen. Die
Erinnerung hält wohl immer nur eine Ratsperiode – trotz der
langjährigen ,im Amte‘ stehenden Dauer-Ratsmitglieder.
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Folgend noch einige Erinnerungsstücke zu den Anfängen der Saatkrähenkolonisation ab 1995.
Die Krähenansiedlung war für Rat und
Verwaltung von Anfang an ein Ärgernis, denn hier
sprachen die Bürger vor, ließen ihrem Unmut über die Untätigkeit
der Verwaltung freien Lauf. Corvus frugilegus, die Saatkrähe, steht
aber unter dem Schutz der Europäischen Vogelschutzrichtlinie. Unter
Schutz stehen auch die Brutbäume und ihre Nester. Da kann man nicht
mal eben… Als für Natur und Umwelt
zuständiger Mitarbeiter im Rathaus war ich weisungsgebunden und
kein „Saatkrähen-Obmann“.
Als die Saatkrähen um 1995 den Kirchplatz
einnahmen, wo dienstags und freitags der Wochenmarkt stattfindet, gab es
aus aus hygienisch-proklamierten Gründen Handlungsbedarf. Nachdem
in der örtlichen Presse die Gegner der Saatkrähen Furore machten,
lud Stadtdirektor Hashagen einen
Vertreter aus dem Fachbereich Naturschutz der damals noch in Oldenburg residierenden
Bezirksregierung ins Rathaus, ein (oder zwei?) örtliche
Jäger und ich waren dabei. Die Positionen der Jäger und des
Regierungsvertreters waren unversöhnlich und kochten derart hoch,
dass es zu einer tätlichen Klopperei gekommen wäre, hätte der
Stadtdirektor nicht eingegriffen.
Die folgende Einigung war, dass das Rathaus
zwar die Krähenansiedlung hinnehmen musste, aber mit der
Naturschutzbehörde abgestimmte Handlungen zur „Vergrämung“ der
Tiere durchführen durfte. Vergrämung bedeutet, dass die Krähen
wissen sollten, sie seien nicht erwünscht – rabiatere Handlungen
wie Nesterausspritzen mit der Feuerwehr, Eierentnahme, Fallen etc.
waren nicht erlaubt. Trotzdem ließ der Stadtdirektior auf dem Kirchplatz eine "Spatzenschrotscheibe" in eine Platane hängen. Mangels Schießerlaubnis wurde sie jedoch wieder abgehängt. Auch erste Stanniolstreifen wurden eingehängt - aber wegen der Lärmbelästigung der Anwohner bald wieder entfernt.
Eines morgens präsentierte der Stadtdirektor
dann eine Konstruktionszeichnung für eine „Krähenklatsche“. Mit
dem lauten Knall zweier zusammenschlagender
Bretter in den Nestbäumen sollten es die Krähen ungemütlicher haben. Karl-Franz Hilbers, der Leiter
des städtischen Bauhofes, baute den
Prototyp. Nach einigen Veränderungen wurde eine erste Serie von 6
Klappern aufgelegt und in wichtigen
Bäumen installiert. Die Krähenklatsche
geriet zum einem Medienereignis in der
Presse, die verschiedenen Fernsehsender
berichteten aus Jever. Passanten und
Bürger sollten die Klappern bedienen,
die Nachtwächterführungen hatten eine Anlaufstelle mehr, Anfragen
aus nah und fern zum Nachbau erreichten das Rathaus. Das war ein
„Alleinstellungsmerkmal“, wie es dem Stadtdirektor in Sachen
Stadtmarketing und Tourismusförderung wohl
gefiel. Vielleicht hatte die
Krähenklatsche sogar mehr Wirkung im letzteren. Eine
wichtige politische Funktion hatten die Klappern:
Immerhin hatte die Stadt endlich etwas getan. Weitere Techniken wurden erwogen –
die Naturschutzbehörde des Landkreises dabei natürlich immer
hinzuziehend.
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Es stellte sich heraus, dass die Klapper nur eine Wirkung in dem Baum hat, in dem sie aufgehängt ist. Auch nur dann, wenn sie regelmäßig betätigt wird. Da das manchmal nicht ausreichend geschah, so sind auch Bruterfolge auf solchen Bäumen erzielt worden. Mit dem 1. April als festgesetzten Bruttermin wurden die Seile in solchen Nistbäumen gekappt, da wir dann von einem Gelege ausgingen. An anderen Standorten bleiben die Zugseile bis zum Ende der Nestlingszeit. Es gab am Kirchplatz übrigens auch Anwohner, die die Seile schon weit vorher kappten, weil das Klappern mehr störte als das Krächsen der Krähen.
Jever war aber nicht allein mit dem „Krähenproblem“. Im Gelände des Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch etablierte sich eine stabile Kolonie – bis heute. Die Liste der Städte und Gemeinden mit gleichem oder ähnlichem „Notstand“ wurde immer länger und die jeweils zuständigen Mitarbeiter der verschiedenen Verwaltungen versuchten einen Wissensaustausch.
Es gab in den nächsten Jahren keinen dauernden Frieden zwischen Krähenbefürwortern und Krähengegnern, betroffenen Anwohnern und der Stadtverwaltung. Die örtliche Presse stellte sich auf die Seite der Krähenablehner. Gezielte Desinformation über Krähenjagderlaubnisse (bei Rabenkrähen, aber nicht bei Saatkrähen) führte zu Schlagzeilen und stiftete Unfrieden über die vermeintliche Macht "der" Naturschützer. Die Wogen schlugen manchmal hoch (Leserbriefe, Anrufe). Versuche, die Saatkrähen positiv zu besetzen, wurde zwar immer mal wieder von "Krähenfreunden" vorgeschlagen, wurden in der Stadtpolitik vehement zurückgewiesen. Die Landesnaturschutzbehörde trat hier auf, in der Berichterstattung über einen Vortrag zu Saatkrähen von der Staatlichen Vogelwarte Wilhelmshaven wurde Herrn Bairlein lächerlich gemacht.Einige Anwohner am Schlosspark griffen zur Selbshilfe und versuchten mit Schreckschüssen und gehorteten Sylversterböllern in der Brutzeit 2004 Aufregung in der Kolonie zu schaffen. 2006 wurden mit der neuen Verwaltungsführung Dankwart (rigorose Gegnerin der Saatkrähen) und der Naturschutzbehörde beim Landratsamt Friesland Bereiche bestimmt, in denen die Saatkrähen geduldet werden sollten. In einzelnen Bäumen ("Brennpunkte" wie z.B. über Denkmälern, Brücken, Wochenmarktplatz etc.) wurden in jährlicher Rücksprache und Genehmigung der Naturschutzbehörde die Klappern erlaubt. Mit der jährlich erneuerten Genehmigung reagierten wir auf Kolonieausweitungen. Die Stadt tat etwas, aber nicht genug: Aus Protest wurde 2007 das Frl.-Maria-Denkmal von von Krähengegener verhüllt, um so auf die Verunreinigungen aufmerksam zu machen.
Im Dezember 2011 veranstaltete die Stadt Leer ein „Saatkrähensymposium“. Jever war mit hoher Besetzung dabei. Welch ein Erstaunen in der nahezu einhellig zu Krähen negativ eingestellten Teilnehmerschaft aus den Gemeinden, dass weniger über die Beseitigung der Plage gesprochen wurde, sondern die Zuhörer auf eine positive Einstellung gegenüber den Vögel eingestimmt werden sollten. Vorträge von freiberuflichen Krähenverstehern über Nester-Verfrachtung (Umzug der Kolonie) und technische Beeinflussung (elektromagnetische Wellen, akustische Warnrufe etc.) nährten die Hoffnung auf Entledigung der Übel. Doch das meiste war Planung und Absicht. Es gab (und gibt) keine wirklich durchschlagende Methode.2013 kochte die Volksselle mal wieder über. Das Rathaus gab die Anweisung, Nester auszuheben. In diesem Jahr hielt der Frühling schon vor der üblichen Zeit Einzug. So gab es dann bei dieser Aktion auch einigen Nester mit Eiern, was zu einer Empörung bis in die Fernsehnachrichten reichte.
In den nächsten Jahren wurde wieder viel ausprobiert: "Donnerblech", Rasselns aus Konserverdosen, Beleuchtung,
schillernde Ballons mit grellen Farben, Windräder mit Spiegeleffekten, glitzerndes "Vogelabwehrband".
Es meldeten sich bei mir auch "Anbieter" alternativer Maßnahmen: So beteuerte eine Person, dass sie durch das "Besprechen" die Wallanlagen von den Saatkrähen befreien könne. Ich ließ sie gewähren - etwas hilfslos, weil ich nicht wusste, wie man solch einem offentsichtlich ernsthaft "Überzeugten" begegnet. In einem anderen Fall bot ein Techniktüftler aus Ostfriesland ein Gerät an, das per "Strahlung" (elektromagnetisch?) auf die Krähen einwirken sollte und sie zum Wegzug bewegen sollte. Das Kästchen mit Stromanschluss wurde im Graftenhaus installiert und "arbeitete" die gesamte Brutperiode - ohne Wirkung. Von beiden Personen mit diesen esoterischen Methoden habe ich nie wieder etwas gehört.
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Neuer Anlauf
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2014 wurden mehrere Nester, die durch Eisregen zusammengefroren als ganze Stücke aus den Bäumen genommen werden konnten, in große Weiden am Tettenser Tief nahe des Gewerbegebietes direkt in die Flugbahn der Krähen zur Biogasanlage eingebaut. Trotz längerer Beobachtung konnte kein Interesse an diesen "Fertighäusern" bemerkt werden. Nach wenigen Jahren fielen die Nester auseinander (NWZ 28.01.2014).
Der neue Bürgermeister Albers "erbte" 2013 den Saatkrähenkampf, brachte aber im Gegensatz zu den Vorgängen "von Amtes wegen" etwas Gelassenheit mit. Weitere Vergrämungsversuche führten nicht zu den erwarteten Zielen und so entschied die Verwaltungsspitze 2017 den Abbau des wichtigen Symbols: die jeversche Anti-Saatkrähenklapper wurde nach über zwanzig Jahren ausgemustert. Auch weitere Maßnahmen sollten nicht mehr durchgeführt werden.
Ein letztes Aufflackern von Engagement der Saatkrähenvertreibung entstand 2018 durch das Angebot der Jägerschaft, mit Lasern die Tiere zu vertreiben. Diese Geräte wurden jetzt preisgünstig angeboten und versprachen große Wirkung, wie im Internet bei Gänsen und anderen Tieren demonstriert wurde. Die Jägerschaft rüstete auf, aber die Naturschutzbehörde prüfte dieses Verfahren und verwarf die Methode.
Die ferne Badische Zeitung vom 23. Februar 2018: "Jever war guter Dinge, man plante den Einsatz von Lasern der Stärke 2, was als eher niedrig gilt. Doch Verbündete der Saatkrähe in der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises entschieden: Stärke 2 ist zu viel, die Netzhaut der Krähe könnte Schaden nehmen. Erlaubt seien Laser der Stärke 1. Im Rathaus führte das zur Kapitulation. Mit Lasern Stärke 1, hieß es, komme man nicht einmal hoch in die Baumkronen."
Die Tiere können sich nicht ändern, der Mensch sollte es können. Die jahrhundertelange Verfolgung, die Dämonisierung der Krähen als mit dem Tode in Verbindung
stehend, als Saaträuber, als Aasfresser etc. zeigen, dass die Vernunft weitgehend auf der Strecke geblieben ist. Es hilft nur mehr Gelassenheit. Das von den Saatkrähen in Jever "eingenommene" Areal in der Stadtmitte ist sehr klein, die Beeinträchtigungen sind lokal begrenzt - wenn auch gerade in als wichtig hervorgehobenen touristischen Brennpunkten.
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Administrative Gelassenheit?
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Über die Stadtgrenzen zu gucken hilft vielleicht. In Dornum, nicht weit von hier, lebt die Saatkrähenkolonie über das ganze alte Dorf verteilt in fast allen Gärten. Dort kann man den Krähen nicht aus dem Wege gehen. Das muss man erlebt haben. In der Zeitung stand dazu nicht so viel wie über die Not Jever.
Fußnoten:
1) Während der Brutzeit auf www.schlossmuseum.de und www.wau-jever.de
2) Der
vollständige Antrag ist im Ratsinformationssytem
der Stadt Jever einzusehen oder hier als Kopie. NWK = Nordwest-Krankenhaus Sande, Saatkrähenkolonie.
Am 30.03.2022 tagte der Fachaussschuss mit dem Beschluss einer Anschaffung der Vögel
3) Allgäuer Zeitung: Leserreaktionen auf NoPaloma-Artikel
Sachinformationen
Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, 2015:
Handlungsempfehlungen
zur Lösung von Konflikten
mit brütenden Saatkrähen
in Niedersachsen.
Ergänzungen:
Das Stöbern in der Zeitungsausgaben der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte bringt zum Suchwort "Saatkrähe" eine Vielzahl von Berichten zu Tage. Für die Lokalberichterstattung der Zeit ab 1946 empfiehlt sich das Archiv der Nordwest-Zeitung (für Abonnenten), für die Zeit davor der digitalisierte Bestand des Jeverschen Wochenblattes von 1791 bis 1945 in der Landesbibliothek Oldenburg. Einige Beispiele:
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Die Saatkrähen haben nicht zum erstenmal die Stadt Jever "heimgesucht". Bereits 1957 gab es eine Ansiedelung auf dem Kirchplatz.
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NWZ_2015-02-26 Mit neuen Klatschen gegen Krähen
NWZ_2015-12-04 Krähenklatschen bleiben das Mittel der Wahl
NWZ_2016-01-29 Klatsche für Krähen
NWZ_2018-02-02 Aus Laserpointer-Einsatz wird wohl nichts
JW_1900-11-25
Nutzen und Schaden der Saatkrähe
JW_1906-10-19 Was ist von der
Saatkrähe zu halten?
JW_1911-05-05 Nachtigall und Saatkrähen
im Schlosspark
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Jeversches Wochenblatt vom 01.04.2022 - kein Aprilscherz.
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V. Bleck, März 2022