Der altjeversche Kirchhof

Ein Beitrag aus dem HiKa 1974

Vieles, vieles ist schon geschrieben worden über jeverländische Gegeben- und Eigenheiten. Neue Sichtweisen auf Geschichte und Geschichten zu finden ist nicht einfach. Das macht aber nichts. Es ist auch interessant, frühere Interpretationen von Gegebenheiten bzw. Beiträge wieder „auszugraben" und hier in diesem erst zwei Jahrzehnte alten 'Online-Medium' - eigentlich ist es für die meisten heutigen Nutzer noch jünger - aufzubereiten. Wer geht heute schon in eine bzw. die Schlossbibliothek, wo zum Beispiel alle Historienkalender (HiKa) stehen, um sie dort einzusehen; Ausleihen ist dort nicht möglich.
In manchen Haushalten finden sich vereinzelte Ausgaben des Historienkalenders, manch einer hat sogar eine stattliche Sammlung dieser Ausgaben, auf den Flohmärkten werden sie auch angeboten. Jedes Jahr gibt es neue Ausgaben - für das Jahr 2020 im 186. Jahrgang. Wer gezielt einen Beitrag im Historienkalender sucht, kann auf das digitale Stichwortregister zumindest der ersten 175 Jahrgänge (1834 bis 2009) zugreifen. Ob je die Jahrgänge des HiKa „digitalisiert" werden und online zur Verfügung stehen, steht in den Sternen. Bis dahin scheint es nützlich, manche der Beiträge für dieses Online-Medium aufzubereiten.

Jevers Stadtmitte ist für den Kommerz heute sicherlich der Alte Markt, für die „Stadt der Kunst, Sage und Geschichte" jedoch der Kirchplatz. Dass es sich bei der heutigen Adresse 'Am Kirchplatz' nicht nur um die geographische Nähe zu Stadtkirche handelt, sondern der „Platz" - der heute als grüne Freifläche zwischen Kirche und Rathaus darliegt - bis zum Jahre 1803 der städtische Friedhof war, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Den Umgang mit dieser Geschichte beim autogerechten Ausbau und Veranstaltungsplatz habe ich bildreich in Sanierung des Kirchplatzes, Jever 2005 - 2008 dokumentiert.

Im HiKa auf das Jahr 1974 hat Hein Bredendiek an diesen Friedhof erinnert. Er beschreibt in diesem kurzen Bericht ein Pergament, welches als Karte die Lage der Gräber anzeigt. Die Karte selbst ist im Beitrag nicht abgebildet - Bildmaterial wurde seinerzeit im Kalender sparsam eingesetzt. Die Reproduktion dieser etwa 30 x 35 cm großen und sperrigen Ziegenhaut (?) ist auch nicht einfach. Im Bericht über die Sanierung habe ich diese Karte bereits als Bildmaterial verwendet. Hier stelle ich diese Karte in größerer Auflösung vor. Allerdings ist wegen der verlaufenen Tinte die Schrift dennoch kaum entzifferbar - da nützt dann auch eine noch größere Auflösung nichts.
Bredendiek beschreibt den Inhalt dieser Karte:

Pergament
Speziale Charte von dem Jeverschen Stadts Kirch Hoffe worauff zu sehen ist / wieviel Gräber ein Jedweder Interessente hat und an welchem Oorte sie zu finden seijn. Verfertiget von Johann Athen Remmers Jever den 15ten May1724.
Mit einem Klick auf die Karte kann sie bildschirmfüllend angezeigt und abgespeichert werden (3,9 MB),
© Bleck

Im jeverschen Kirchenarchiv fand man vor Jahren zwischen alten Akten eine altersgraue Pergamentrolle, auf der sich dem Betrachter folgende Bezeichnung darbietet: Speziale Charte von dem Jeverschen Stadts Kirch Hoffe worauff zu sehen ist / wieviel Gräber ein Jedweder Interessente hat und an welchem Oorte sie zu finden seijn. Verfertiget von Johann Athen Remmers Jever den 15ten May1724."

Dieser altjeversche Bürger Joh. Remmers, dessen Nachfahren noch heute leben, war ein Topograph aus Liebhaberei. Er war es auch, der für die Herrschaft Jever den Abriß der Stadt Jever" anfertigte, von dem das jeversche Schloßinventarverzeichnis (1743) berichtet.

Remmers legt nun einen maßstabsgerechten Kirchhofplan vor, der uns heute etwas mehr bedeutet als nur ein Dokument der Vergänglichkeit. Der Plan wurde vier Jahre vor dem großen Kirchenbrand des Jahres 1728 angefertigt. Die alte Kirche hatte die gleichen Ausmaße wie der von dem Bauingenieur Jobst von Rössing geleitete Neubau nach dem Brande. Im Mittelpunkt des Kirchenplans befindet sich eine kostbar ausgemalte Windrose. Von den zahlreichen Grabkellern, die sich einst unter dem Kirchenschiff befanden, sind nur wenige vermerkt, u.a. der Röseler-Keller, Landrichter Cordes-Keller, Rat Schemering-Keller, der Keller von Rat Gottfries Klepperbein. Im nördlichen Kirchenschiff, das wie das südliche erst im 17. Jahrhundert dem Hauptschiff angefügt wurde, befindet sich eine Eintragung, die zweifellos späteren Datums ist und vor 80 Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen in der Frage nach Fräulein Marias letzter Ruhestätte geführt hat. Mit spitzer Feder ist mit Sepiatinte in den Plan hinein geschrieben worden: ein Kirchenkeller. Frl. Marias Leichenstein."

Prof. F. Riemann, dessen Aufzeichnungen über Tod und Begräbnis von Fräulein Maria von Jever" wohl kaum durch andere Forschungen widerlegt werden dürften, prangert diese nachträgliche Eintragung im Grabstättenverzeichnis als offenkundige Fälschung an und bezeichnet den Vermerk als gehässigen Schwindel". Fräulein Maria kann ihre letzte Ruhestätte nie in einem entfernten, 1575 noch gar nicht vorhandenen Winkel der Kirche gefunden haben. Es bleibt unerfindlich, wie die späte Korrektur Edo Martens Leichenstein" in Frl. Marias Leichenstein" verwandeln konnte.

Außerhalb der Kirche, bis an die Kirchenmauer heran, sind die Grabstellen nach festem Plan geordnet. Der Kirchhof wurde schon zur Zeit von Fräulein Maria mit einer festen Mauer umgeben, die 1696 ausgebessert und mit Linden bepflanzt wurde. Interessant ist die Feststellung, daß die noch heute begangenen Pfade über den Kirchplatz einst auf dem alten Kichhof in der gleichen Ausdehnung und Richtung verliefen. Zugänge zum Kirchhof befanden sich als doppelflügelige Tore vor dem Rathaus, schräg von der Westseite der Kirche (der ehemaligen Ellentür) und beim Abgang zur Wangerstraße. Kleine Pforten waren vor der alten Lateinschule und vor der Pastorei in der Mauer eingelassen.

Ein hölzerner Klock Thurm", der bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts 1) dort seinen Platz hatte, befand sich etwa an dem heutigen Platz der Bismarckeiche.

Die den Kirchhof einfassende Ringstraße hieß Kirchhofstraße oder im Volksmund ums Kirchhof". Der vorliegende Plan des alten Kirchhofs zu Jever stellt noch heute trotz der vielfach unleserlich gewordenen Eintragungen eine Fundgrube für den Nachweis jeverscher Familien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert dar. In Jever waren damals zahllose Beamte in der Zerbster Regierung beschäftigt. Das Gräberverzeichnis vermerkt die Ruhestätten der Räte, Kammerschreiber und anderer Bedienstete. Ein großer Platz an der Stelle des heutigen Glockenturms ist mit Ihro Durchl. Gräber" bezeichnet. Hier werden Angehörige der jeverschen Hofhaltung ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Von den geistlichen Herren finden sich Namen von den Pastoren Ummen, Königshaven und Franziskus Berlage. Von den Gräberinteressenten" seien hier nur die Namen genannt: Familiengrab der Janssen, Hinrichs, Borchers, Minssen, Jürgens, Gräpel, Ohmstede, Mehrings, Theilen, Gerdes, Plagge, Classen, Eden und Moritz. Einige begüterte Familien besaßen eine ganze Reihe von Gräbern, die ihnen wahrscheinlich auch als Verkaufsobjekt gedient haben mögen. Der Besitzwechsel wird etwa mit Jan Classen Erben annitzo Eilert Eden" vermerkt. Der Stadtkämmerer Eilert Eden war Mitscherlichs Großvater.

Auf dem Kirchhof waren Leichensteine eine Seltenheit. Etwa 20 Leichensteine" finden sich besonders eingezeichnet.

Bis zum Jahre 1803 2) wurden die jeverschen Geschlechter hier zur letzten Ruhe bestattet. Dann wurde die Mauer eingerissen und beseitigt. Nach und nach verschwanden die Gräber unter dem Rasen der Vergessenheit unseres Kirchplatzes. Wenige schöne Grabsteine alter Zeit fanden auf dem Friedhof bei der St.-Annen-Kapelle neue Aufstellung.
Hein Bredendiek

 

Fußnoten:
1) 1876 wurde der neue Kirchturm am jetzigen Standort als nur kleiner Turm erstellt, erst 1902 wurde er auf die heute bekannte Höhe von 56 Metern ergänzt. Siehe dazu Das Alter zweier Bäume in Jever mit dem Bild aus der damaligen Jahrhundertwende.
2) Im HiKa steht hier 1903. Das ist ein Druckfehler.

Quellen:
Der Historienkalender auf das Jahr 1974, S. 63. Verlag Mettcker, Jever.
Kirchhofkarte von 1724, Pergament, Archiv der Ev. Kirche Jever. Repro Bleck.

V. Bleck, Mai 2020