Sie war ein kurzer Verbindungsweg in unserer Altstadt, seit langem schon verschwunden und völlig vergessen
Auf keinem Plan unserer Stadt Jever ist ihr Name verzeichnet. Keine Katasterkarte kennt sie. Nur der altjeversche Volksmund wusste, wo sie zu finden war. Gesucht hat sie aber kaum einer. Auch unser heimatkundiger "Ehrenbürger" Karl Fissen hat die Kiekebushörn offensichtlich nicht gekannt. In dem zweiten Teil seiner Festschrift zum Stadtjubiläum 1936 und in der 1960 veränderten Neuauflage wird sie mit keiner Silbe erwähnt. Dabei müsste ihm dieser Name aufgefallen sein, gibt er doch als eine seiner Quellen des "Magister Braunsdorfs gesammelte Nachrichten" an. Diese überaus verdienstvolle Arbeit zur geografischen Beschreibung der Herrschaft Jever entstammte der Feder eines Pastoren in Waddewarden.
Johann Gottlieb Siegesmund Braunsdorf kam gebürtig aus Zerbst, wurde im Jahre 1785 nach hier ordiniert und blieb vierzig Jahre der Seelsorger der Gemeinde. 1797 begann er sich eingehend mit den geografischen Verhältnissen in Jever und in den umliegenden Ortschaften zu beschäftigen. Leider erschien sein Manuskript, welches sich im Besitz unseres Mariengymnasiums befindet, erst 1896 bei Mettcker im Druck. Der rührige Heimatschriftsteller Professor Riemann gab als Herausgeber ein kurzes, einleitendes Vorwort.
Im ersten Moment des Lesens kann durchaus eine Verwirrung empfunden werden, bei der Fülle der angegebenen Namen, für ein verhältnismäßig begrenztes Areal. So ist zu lesen: "Hinter dem Hopfenzaun, in der Mitte nach dem Walle hinaus, befindet sich die alte Cavillerey, oder der Rakkergang, weil in vorigen Zeiten der Abdecker hier wohnte, ehe seine Wohnung außer der Stadt auf den grünen Warf verlegt wurde; nächst diesem die Musemackerey, oder Musemachershaus; dem gegenüber hinter dem Brunnen die Kikebushörn, und hinten am Walle der Jungfernstieg und das Kehlköpken befindlich ist." Bevor wir uns nun näher mit der Ortsbestimmung der Kiekebushörn beschäftigen, dürfen wir es nicht unterlassen noch eine weitere, ältere Quelle, in Augenschein zu nehmen. So fußt das Werk von Braunsdorf, in mancher Hinsicht fast wörtlich, auf die "Historisch-geographische Beschreibung der Stadt und Herrschaft Jever", zwischen 1781 und 1786 entstanden. Der Verfasser dieser Handschrift war der Feldwebel Martin Bernhard Martens, damalig als ein Original in dem alten Jever angesehen. Aus gutem Haus stammend, jedoch mittellos, verhalfen ihm wohlwollende Gönner zu einer Anstellung in der hiesigen Garnison. Alltäglich vom Tragen der hellblauen Uniform und dem gewöhnlichen Wachtdienst befreit - nur des Sonntags in der Stadtkirche musste er
in voller Montur erscheinen. So hatte er viel freie Zeit zur Erkundung seiner Heimat, rege und selbstlos war sein Tun, das Alt-Jever des 18. Jahrhunderts niederzuschreiben – um das Wissen darüber bis in unsere Zeit zu erhalten. Warum aber, kennen wir dann Kiekebushörn nicht mehr? Weil es keinen eigentlichen Weg oder einen namentlichen Platz bezeichnete. Das „Beisammenstehen“ von zwei Häusern bildete im Volksmund den Namen und mit dem Verschwinden der Häuser im Stadtbild, verschwand auch dieser.
Die Drostenstenstraße im dem Plan von Fimmen 1843 |
Die Drostenstraße, geradezu, rechter Hand: Kiekebushörn |
Sozusagen aus der Vogelperspektive können wir diese Situation auf einer der ältesten Katasterkarten, von Fimmen 1843/ 44 angefertigt, noch erkennen. Aber auch die Fotografie hat uns glücklicherweise noch Kiekebushörn erhalten. Wir können sie sogar aus mehreren Sichtachsen der Nachwelt präsentieren. In dem vor einigen Jahren erschienenen Bildband "Jever. Zentrum einer Herrschaft", finden wir auf der Seite 118 unten ein Bild der Drostenstraße. Ganze zehn Häuser sind hier sichtbar. Allein das Haus links, hinter der Pütt, zum Teil verdeckt durch eine Wagenremise und das fast nicht mehr zu sehende Haus am linken Bildrand, sind heute noch erhalten. Das etwas unscheinbare Häuschen gerade zu, mit einer altertümlich anmutenden Haustür, ist die eine Komponente von Kiekebushörn. Am Abend mit der davorstehenden Laterne in Szene gesetzt. Mit den nächsten zwei Bildern hebt sich der Vorhang. Gestatten: Kiekebushörn.
Kiekebushörn - von der Straße Am Wall Bild Schlossbibliothek, Montage |
Aus Richtung der St.-Annenstraße Sammlung Lüder Temmen |
Ein schmaler Durchgang nur, zwischen der Straße Am Wall und der Drostenstraße, die aus östlicher Richtung von der Steinstraße herführt und diese schmale Passage nicht achtet, sondern abbiegt zur St. Annenstraße - ist des ganzen Rätsels Lösung. Und nun können wir auch diesen, etwas kuriosen Namen deuten. Kieke = um die Ecke "kieken", daher schauen, bus = busig, der Wind kann heftig durch den Gang blasen, und hörn = am Ende eines Weges.
Das Ende von Kiekebushörn kam langsam. Mit dem Aufkommen des Automobils, musste das jeversche Straßennetz verkehrstauglich gemacht werden. Ein paar Häuser standen dem entgegen. Der Gasthof zur Stadtwaage neben dem Verlagshaus Mettcker, beide Gebäude waren nach der Schleifung des Wangertores und der Dämmung des Festungsgrabens hier neu errichtet worden; musste 1941 dem Bau der neuen Reichsstraße weichen; Das bekannteste Opfer dieser Maßnahmen. Das wohl am wenigsten bekannte war unser Häuschen mit der altertümlichen Haustür und seinem "holten Wams", dem holzverschalten Giebel. Auf den beiden Fotografien, welche fast aneinander passen, ist das kleinere Haus mit dem einspringenden Winkel zum Wall an ein größeres Häuschen, ebenfalls mit einer Holzverschalung verkleidet, angefügt. Deren beide gekrümmte Ostwände, folgten dem gebogenen Verlauf der Drostenstraße in Richtung St. Annenstraße.
Da die Familie Willms als Hauseigentümer ihr kleines Haus nicht verkaufen wollte, wurden sie 1915 enteignet. Bald danach erfolgte der Abbruch der beiden recht pittoresken Häuschen.
Das Baumann‘sche Haus gegenüber bestand noch bis in unsere Zeit. Ein Kuriosum war hier der Dielenfußboden, tiefer gelegen als das Straßenniveau. Manch ein Vorbeigehender konnte den Eheleuten Rutz beim Frühstück so in die Tassen schauen. Die ließen sich aber nicht davon beirren. Im Juni 1998, wurde auch dieses Anwesen abgebrochen. Da war aber die Kiekebushörn schon seit Jahrzehnten aus den Gedächtnissen der Jeveraner entschwunden.
Wilke Krüger, Juni 2018.
Die Häuser Baumann und Willms, vom Elisabethufer gesehen.
Drei Türme grüßen den Betrachter freundlich. Ansichtskarte, Sammlung Wilke Krüger |
Nachtrag.
Ein Buten-Jeveraner zeigte sich erfreut über den Exkurs, die Kiekebushörn dem Dunkel der jeverschen Geschichte entrissen zu haben. Gleichwohl beanstandete er die Benennung des kurzen Durchganges mit dem Namen. Vielmehr wähnte er die Kiekebushörn zwischen dem Hopfenzaun und der Drostenstraße, vor Jahren schon nach der Altstadtsanierung bezeichnet als: Hopfengarten. Ursprünglich, vor dieser Sanierung, verlief sich hier ein kurzer nur etwa dreissig Meter langer Weg.
Die älteren Anwohner die ich noch gekannt, haben diesen Gang nur als die "Drift" bezeichnet. Auch im Wegeregister, geführt auf dem Rathaus, ist dieser Sandweg, gezählt zu den Genossenschaftswegen, für die Jahre 1895/ 96 benannt als: "Trift am Hopfenzaun." Auf dem Plan zu diesem Register angefertigt, ist er gut erkennbar.
Gleichwohl können natürlich mehrere Meinungen dazu bestehen. Ein entgültiger Nachweis wird sich nach so vielen Jahren, nicht mehr finden lassen. In seiner "Jeverschen Volkskunde" herausgegeben als 2. Teil der Festschrift zum Stadtjubiläum 1936, schreibt unser Karl Fissen darüber: "... die Verbindung der Drostenstraße mit dem Wall ( hieß ) Kehlköpken." Noch ein weiterer Name, der auch in der Nähe, tatsächlich zu finden war, aber keinen Weg, oder Gang, sondern ein kleines Haus beschrieb. Davon an späterer Stelle mehr.
Vielleicht war mit der Kiekebushörn auch nicht der kurze Gang, sondern nur das kleine "pittoreske" Häuschen mit dem "holten Wams" d. h. dem holzverschalten Giebel gemeint. Um die Ecke "kieken", das "busen" des Windes und "hörn" als das Ende der Straße zum Wall. So gesehen würde das auch passen.
Wilke Krüger.
Ausschnitt aus der Wegekarte der Stadt: |