Was
uns (bisher) erspart blieb
oder: das hätte
uns alle so
reich gemacht, dass wir längst hätten woanders hinziehen
können (müssen)
Sonderbeilage
der Wilhelmshavener Zeitung Sonnabend, den 10. Juli 1971
"Jade-Weser-Port"
- Deutschlands Universalhafen
Wilhelmshavener Planungsteam
legt neuen Entwicklungsplan vor
WZ-Gespräch unseres Redakteurs
für Häfen, Schiffahrt und Marine, Heinz Gerken, mit dem Planungsteam
Der
35 Kilometer breite Küstenstreifen zwischen Wilhelmshaven und
Bremerhaven soll unter Einschluß der Seehäfen Wilhelmshaven, Elsfleth,
Brake, Nordenham und Bremerhaven/Bremen zu einer Küsten- und
Hafenregion mit Industrielandschaft zusammenschmelzen und als
"Jade-Weser-Port" Deutschlands "Erste Hafenregion" eine neue
Entwicklung einleiten, wie sie in den Niederlanden, Belgien und
Frankreich bereits begonnen hat. Das jedenfalls sieht ein
Planungskonzept für den Jade-Weser-Raum vor, das die Wilhelmhavener
Planungsgruppe unter der Leitung von Diplom-Ingenieur Ulrich Tappe und
den Mitarbeitern Dipl.-Ing. Rolf Rasch und Verkehrs-Ingenieur Friedhelm
Krzensk entworfen hat und mit dem heutigen Tage der Öffentlichkeit
vorgelegt wird.
Ulrich
Tappe ging mit seinem Team bei dieser Planungsarbeit davon aus, daß
bestehende Entwicklungspläne in Bremen/Bremerhaven, in Nordenham und
Wilhelmshaven jeweils unter örtlichen Gesichtspunkten aufgestellt und
verkündet wurden, daß aber die Vielzahl der Einzelpläne kein sinnvolles
Ganzes ergeben, wenn man die großen Aufgaben der Zukunft vor Augen hat.
Deshalb
stellten die Wilhelmshavener Planer alle örtlichen Gesichtspunkte
zurück und verbanden Vorhandenes in der Region zwischen Jade und Weser
mit optimalen Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Daraus entstand als
planerische Leitidee eine neue Bandstadt von Wilhelmshaven bis Bremen.
Es
handelt sich hier um ein Denkmodell, das nicht für heute oder morgen
geschaffen worden ist, sondern als eine planerische Grundlage für die
kommenden Generationen.
Hafenregionen
sind keine
Neuheiten
Rotterdam
mit seinem Vorhafen Europort ist eine Küstenregion von etwa 40
Kilometer Ausdehnung. Amsterdam mit Ijmuiden kommt auf 45 Kilometer,
und Marseille mit seiner Hafenregion Fohs hat gar noch größere Ausmaße.
Warum soll das natürlich zusammengewachsene Weser-Jade-Gebiet nicht
ebenso natürlich als eine seewärtig ausgerichtete Region von Hafen- und
Industrie-Zentren mit entsprechenden Freizeitwerten angesehen werden?
Von
dieser Fragestellung aus ging das Planungsteam Tappe an die Arbeit und
verband die Entwicklungsvorstellungen der Industrie- und Handelskammern
dieses Raumes und die Entwürfe der Planungs- und
Förderungsgesellschaften sowie der Länderregierungen Bremens und
Niedersachsens zu einem sinnvollen Raumordnungsplan, in dem Platz für
alles Bestehende und Raum für Entwicklungsnotwendigkeiten ist.
Breitgefächerte
Dienstleistungen
Bei
dieser Planung wird niemandem etwas weggenommen, es können nur alle
gewinnen, denn mit "Jade-Weser-Port" oder "Weser-Jade-Port" ließe sich
der erste deutsche Universalhafen bilden, der ein breitgefächertes
Angebot an Dienstleitungen für alle Schiffssparten vom Superschiff bis
zum Spezialschiff, vom Container bis zum Fischkutter, vom
Passagierschiff bis zum Trawler aufzuweisen hätte.
In
einem Gespräch mit der "Wilhelmshavener Zeitung" erläuterte Stadtbaurat
Tappe die Grundzüge seines Ideenentwurfes. An der seewärtigen
Ausrichtung dieses Raumes wird sich dabei nichts ändern. Das Tappe-Team
will die jetzigen Einzelhäfen jedoch zusammenführen und gemeinsam
entsprechend der Aufgabenstellung weiterentwickeln.
Löschbrücken
zur Hafenumschlagsinsel verbinden
An
der Jade soll die im Bau befindliche Niedersachsen-Brücke mit der
geplanten Ölpier für die Raffinerie in Höhe Inhausersiel und der in
Aussicht gestellten Erzpier südlich Hooksiel zu einer
Hafenumschlagsinsel (siehe Ideenskizze Jade-Inselhafen, WZ-Ausgabe v-
22.2.1969) zusammengefügt werden, um für alle alle Massengutschiffe der
250 00-t-Klasse Anlandemöglichkeiten zu erschließen.
Neue
Industrieflächen
Auf
der Nordenham/Bremerhavener Seite solle die Luneplate und der
Langlütjensand als Industrieraum gewonnen und ausgebaut werden. Quer
durch Butjadigen soll ein bandartiger Schwerpunktraum als Bindeglied
zwischen den Eckpfeilern Wilhelmshaven und Nordenhamm/Bremerhaven
entstehen, während das nördliche Butjadigen als Freizeitzone an der
Küste von Tossens und Burhave für die Naherholung dieser "Bandstadt
Butjadingen" erhalten bleibt.
Am Westufer Butjadingens will
das
Planungsteam im Solthörner-Watt rund 2000 ha eindeichen und aufspülen,
um so den Jade-Schlauch zu verengen und beiderseits dieser Jade-Enge
Industrie-Zentren zu etablieren.
Mit dieser räumlichen
Verengung im
Jade_Schlauch erhöht man automatisch die Spülwirkung des Ebbstromes,
wodurch wiederum das Fahrwasser der Jade auf Tiefe gehalten wird.
Als
Erholungszentren in dieser Küstenregion bleiben gemäß
Raumordnungsprogramm auf der Jade-Seite das Gelände nördlich Hooksiel
bis Schillig, in Butjadingen das nördliche Bädergebiet und nördlich
Bremerhaven das Land Wursten fester Bestandteil dieser Planung. Alle
drei Freizeitzonen werden nicht angetastet und sollen durch
entsprechende Verkehrsverbindungen an die Wohnzentren angebunden
werden, wobei die Butjadinger Erholungsräume vornehmlich für
Naherholung (Revierparks) gedacht sind.
Querverbindungen
Das
Zusammenwachsen dieser Region aber ist abhängig von den west-östlichen
Querverbindungen. Die Autobahn Jadelinie wird vom Bund bis an die Jade
herangeführt. Was liegt also näher, als diese Jadlinie als
Ausgangspunkt der straßenmäßigen Querverbindungen zu nehmen.
Durch
die Verengung des Jadeschlauches ergibt sich die wirtschaftlich
vertretbare Lösung der Untertunnelung der Jade auf einer Breite von 3,5
Kilometern zwischen dem Vosslapper Watt und Tossens.
Hier hat
das
Tappe-Team einen neuen Vorschlag zur Küstenautobahn unterbreitet, wobei
die "Möller-Linie" (im Raum Rastede) als zu fern, die Jade-Brücke als
zu problematisch für Wilhelmshaven und die Führung über die B 437
(Varel) als nicht optimal genug angesehen werden.
3,5-km-Tunnel
Die
Überwindung der Jade durch einen Tunnel ist bei dem heutigen Stand der
Technik kein Problem. Und wirtschaftlich lassen sich die Baukosten
vertreten, weil einmal die dann bestehende Jadelinie so und so bis an
die Jade heranreicht und zum andern nur 3,5 Kilometer Jade zu
untertunneln sind.
Im östlichen Butjadingen soll diese
weitergeführte Jadelinie sich gabeln und mit der nödlichen Trasse die
neue Industrieregion Nordenham-Blexen umschließen und die Weser querend
direkt Bremerhaven erreichen. Die südliche Trasse soll südlich Blexen
die Weser über- bzw. unterführen und auf die Autobahn Bremerhaven -
Bremen stoßen. Die Weiterführung nach Stade und über die Elbe hinweg
ergibt sich klar aus der Autobahnplanung der Bundesregierung.
Großflughafen
"Hohe Weg" nach Bremer Wünschen
Zwischen
den beiden Industrie- und Hafen-Schwerpunkten Wilhelmshaven und
Nordenham/Bremerhaven will die Tappe-Planung auf dem Sandrücken Hoher
Weg den auch von Bremen erwünschten neuen Großflughafen verwirklichen.
Drei Start- und Landbahnen von 4000 bis 6000 Meter Länge weit vor der
Küste schließen Belästigungen durch Düsenlärm völlig aus und die
Richtung der Startbahnen hat außerdem eine Beeinträchtigung der
Vogelschutzgebiete Mellum und Knechtsand ausgeschlossen.
Keine
Belästigungen
Der
Großflughafen versteht sich nicht nur für Personenverkehr, sondern auch
oder gerade für Luftfracht. Container-Transporte durch Jumbo-Jets vom
Jade-Weser-Raum in alle Welt sind keine Utopie, sondern ein Nahziel.
Von hieraus kann der Weitertransport per Schiene, Straße oder Luft
erfolgen. Der Flugbetrieb auf dem Flughafen "Hohe Weg" macht auch kein
Überfliegen von Städten oder geschlossenen Wohngebieten erforderlich,
denn alle Start- und Landebahnen sind nach See hin ausgerichtet.
Eine
optimale Lösung
Der
Flughafen "Hohe Weg" liegt genau zwischen den beiden Schwerpunkten
dieses Raumes, zwischen Wilhelmshaven und Bremerhaven/Bremen. Auch in
der Bremer Planung nimmt der Standort "Hohe Weg" als optimale Lösung
den vordersten Platz für den neuen Küsten-Großflughafen ein.
Für
die Schienenverbindung in dieser Jade-Weser-Region gilt das
gleiche wie für die Autobahn. Auch hier müßten statt der jetzt
ausschließlich Nod-Süd-Verbindungen zusätzliche Ost-West-Verbindungen
geschaffen werden.
In der Kanalplanung geht der
Planungsentwurf von
dem im Landesraumordnungsprogramm verankerten Kanal-Projekt
Wilhelmshaven-Küstenkanal aus. Von Wilhelmshaven aus wird eine Trasse
über die Jade nach Butjadingen (Tossens) vorgeschlagen, und vor den
Deichen Butjadingens soll ähnlich dem französischen Vorbild am
Mittelmeer ein Kanalbett eingedeicht werden, wobei mit dem bestehenden
Deich bereits die eine Uferbegrenzung des Kanals steht. So würde auch
eine Binnenwasserstraße zwischen Wilhelmshaven und
Bremerhaven/Nordenham entstehen und beiderseitigen Bedienungsverkeht
zulassen.
Fest
zusammengefügt
"Unser
Vorschlag ist billiger,
optimaler und realisierbarer als die Neuwek-Planung, ganz davon
abgesehen ist der Jade-Weser-Raum in seiner effektiven Bedeutung weit
interessanter für Industrie und Seeschiffahrt. Es mus uns nur die
Kombination der Intensitäten dieses Raumes durch entsprechende
Verkehrsstrukturmaßnahmen gelingen", versicherte Ulrich Tappe zum
Abschluß des Gespräches mit der "Wilhelmshavener Zeitung" und
unterstrich noch einmal, daß diese Region ein wirtschaftlicher Raum ist
und durch die vorgelegte Planung noch fester zusammengefügt wird.
Der
"Jade-Weser-Port" oder wie man ihn auch immer nennen werde, sei eine
realistische Raumplanung, aktiviere das bisher stark vernachlässigte
Butjadingen und die Wesermarsch, bringe Wilhelmshaven und
Nordenham/Bremerhaven neue Aufgabenbereiche und schaffe in diesem Raum
Freizeitzonen neben Industrieflächen. Bei aller Planung sei an ein
harmonisches Verhältnis zwischen Arbeitsflächen und Erholungsraum
gedacht, denn Freizeitwerte seien in der Indutrieplanung nicht
nur
wichtig, sondern sogar lebensnotwendig.
Gemeinschaftsaufgabe
Das
Tappe-Team ist sich klar darüber, daß der vorgelegte Ideentwurf nicht
nur im heimischen Küstenraum eine lebhafte Diskussion auslösen wird.
Darum unterstreichen die Initiatoren dieses Entwurfes, daß
hier ein
Konzept für gemeinsame Arbeit einer Region erarbeitet worden ist. Für
eine Region, die durch natürliche Zusammenhänge nun auch strukturell
zusammengeschlossen werden muß, um optimale Entfaltungskraft zu
erlangen.
So gesehen ist der "Jade-Weser-Port" eine Plattform
für
zukünftige Planung, ein Richtungsweiser und Arbeitspaier. Für die
Region Weser-Jade gibt es kein besseres.
Erläuterungen
zur umseitigen Plan-Skizze:
voll-orange: bestehende
Industrien
Orange-gestreift:
Industrieflächen, teilweise noch aufzuspülen
grün-gestreift:
Freizeitzonen
rote Doppellinie: Autobahnen
rote
unterbrochene Doppellinie: Untertunnelung der Jade
grün-blaue
Linie: Kanaltrasse
orange-gestreifte Fläche in der Jade:
Hafenumschlagsinsel
N.S.G.: Naturschutzgebiete
Nordspitze
Butjadingens: Großflughafen "Hohe Weg"
Kasten:
Planungen und Ideenentwürfe sind
für ihn der Lebensinhalt
Mit dem heute
vorgelegten Ideenentwurf eines "Jade-Weser-Ports" setzt der 63-jährige
Diplom-Ingenieur Ulrich Tappe gewissermaßen den Schlußstrich unter
seine so erfolgreiche Tätigkeit als Chef der Bauverwaltung und
Baudezernent der Stadt Wilhelmshaven.
Der frühere Leiter des
Staatshochbauamtes Aurich wurde 1959 vom Rat der Stadt zum
Wilhelmshavener Stadtbaurat gewählt und hat seither das Leitbild und
städtebauliche Konzept der modernen Hafen- und Industriestadt
Wilhelmshaven geprägt.
Darüber hinaus aber entwarf Ulrich
Tappe raumordnerische Entwicklungspläne, von denen der sogenannte
"Tappe-Plan" mit der Hafeninsel in der nördlichen Jade die Grundlage
für die heutige Hafenentwicklung an der westlichen Jade legte.
Aus
diesem "Tappe-Plan" entsprang nun in Zusammenarbeit mit Dipl.-Ingenieur
Rolf Rasch und Verkehrsingenieur Friedhelm Krzensk die regionale
Planung für den Jade-Weser-Raum, die als Leitbild für Generationen
Schule machen dürfte.
Ulrich Tappe, dem das Planen und
Entwerfen zum Lebensinhalt geworden ist, scheidet in eineinhalb Jahren
aus den Diensten der Stadt, doch seine Ideen bleiben zurück und werden
die Zukunft Wilhelmshavens und des Küstenraumes wesentlich mitbestimmen.
Soweit
die
Sonderbeilage der WZ vom 10.07.1971, deren 4. Seite eine Anzeige der
Sparkasse ziert.
Mai 1972 datiert ist folgende
Skizze der städtischen
Bauverwaltung, die sich auf den
Wilhelmshavener
Stadtbereich bezieht. Manche im Entwicklungsplan beschriebene Idee
findet sich hier allerdings - noch nicht bzw. nicht mehr? -
wieder.
Bl
10/2011