Landesbeschreibung vom Harlingerland

aus dem Jahr 1684 von Balthasar Arend


Eine Landesbeschreibung ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Wenn es das Land betrifft, welches man zu kennen glaubt, gibt die Sicht eines anderen vielleicht neue Erkenntnisse. Wenn diese Landesbeschreibung über 300 Jahre alt ist, dann kommen dazu noch weitere Aspekte. Die in der früheren Zeit verwendete schriftstellerische Ausdrucksweise führt - man muss sich tapfer durch die ersten Seiten einlesen - zu einem lebendigen Einblick in das damalige Leben der Menschen. Spannend wird es zusätzlich, wenn sich seit der Beschreibung das Land sehr stark verändert hat.

Dieses alles trifft auf die Landesbeschreibung des Harlingerlandes des Pastors Balthasar Arend zu, der diese erstellte und 1684 in Druck geben wollte. Das Harlinger Land war zu der Zeit noch kleiner, die Harlebucht noch teilweise offenes Meer und das Funnixersiel, das heute weitab von der Nordseeküste liegt, war ein florierender Hafen für die Wirtschaft und Versorgung des Landes mit Verbindungen weit nach Holland, Hamburg oder England.

1684
Balthasar Arends Landesbeschreibung vom Harlingerland,
Erstdruck 1930, Reprint 1993

Balthasar Arend wurde am 6. Januar 1640 in Glückstadt, Holstein, geboren. Nach Studienzeiten in Jena, Leipzig, Straßburg, Kopenhagen und Gießen bekam er als 28jähriger eine erste Pfarrstelle in Delmenhorst. Ab 1675 war er Pastor in Berdum im Harlingerland. Neben seiner Seelsorgertätigkeit widmete er sich auch der Geschichte und der Dokumentation des Lebens in seiner neuen Heimat. Neben mehreren theologischen Schriften, die auch in Druck gingen, plante er auch die Veröffentlichung einer Landesbeschreibung und hatte dafür wohl auch schon einen Verleger. Zu diesem Druck kam es zu seinen Lebzeiten jedoch bis 1687 nicht.

Der Nachlass von Arend wurde von seinen Erben sorgsam aufbewahrt und befindet sich heute im Staatsarchiv in Oldenburg. Aus diesem Bestand hat im Jahre 1930 Dr. H. Reimers aus Loga die Landesbeschreibung des Harlingerlandes als Buch1) in Frakturschrift herausgebracht. Er hat in dieser Veröffentlichung ein ausführliches Vorwort und zusätzlich zu neueren Erkenntnissen Ergänzungen in Fußnoten zugefügt, auch ein Sach-, Namens- und Ortsregister, so dass ein Buch mit 230 Seiten entstanden ist.

Arend hat seine Landesbeschreibung in 4 Kapiteln aufgeteilt: die „General-Beschreibung des Harlinger-Landes" und für die drei Herrlichkeiten Esens, Stedesdorf und Wittmund jeweils eine „speciale Fürstellung".
In diesen Beschreibungen der Herrlichkeiten werden die dortigen Orte im einzelnen beschrieben. Großen Umfang nehmen dabei die Aufzählungen der Ahnenreihen von Herrschern und der Pastoren in den einzelnen Kirchspielen ab 1531 (Reformation) ein, viele Verweise auf Bibelstellen etc.

H. Reimers schreibt, dass er „eine möglichst getreue Wiedergabe des Originals" erzielen wollte und dazu nur Worte, „die in unserer Zeit als sprachliche Fehler erscheinen würden," in „moderner Schreibweise wiedergegeben" habe.
Arend hat in den jeweiligen Absätzen die Schlüsselworte unterstrichen. H. Reimers hat diese Unterstreichungen im Buch als Fettdruck wiedergegeben.

Ich habe diesen Reprint als Vorlage für die Abschrift der „General-Beschreibung des Harlinger-Landes" genommen und auf diese Kennzeichnung der Schlüsselworte verzichtet. Auch finden sich in der Abschrift nicht die vielen interessanten Ergänzungen von Reimers. Dieser Text in einer der heute gebräuchlichen Schrifttype soll anregen, sich mit der Geschichte des Landes zu beschäftigen. Wer sich tiefer hineinarbeiten will, kommt um die Kenntnis der Frakturschrift in der weiteren Literatur nicht herum.
Vielleicht werden diese Ergänzungen von Reimers sowie die Berichte über die Kapitel „speciale Fürstellung" auch eines Tages neu editiert.

Der aufbereitete Abschnitt über die „General-Beschreibung des Harlinger-Landes" lässt sich hier ansehen oder herunterladen:
Balthasar Arends Landesbeschreibung vom Harlingerland (1684). (0,7 MB, 26 Seiten A4)

 

1684
Das Harlingerland zur Zeit Balthasar Arend:
Ausschnitt von „Typus Frisiae Orientalis " nach Ubbo Emmius. Aus „Theatrum orbis terrarum, sive, Atlas novus" v. Willem Janszoon u. Joan Blaeu (1645/1662)

In der Zeit von Balthasar Arend war ein großer Teil der Harlebucht noch nicht eingedeicht. Die Harlebucht, die in einer Reihe starker Sturmfluten (Julianenflut 1164, Erste Marcellusflut 1219, Luciaflut 1287, zweite Marcellusflut 1362 - „große Manndränke") und erheblich weiter noch einmal in der Zweiten Dionysiusflut 1377 bis südlich von Asel reichte, wurde durch frühe Deiche und Sielbauten als fruchtbares Land dem Meer wieder abgetrotzt. Zu Arends Zeiten war der Funnixsiel ein Hafen am offenen Meer - heute ca. 9 Kilometer von der Küste entfernt. Eine Karte aus der Zeit von 1645/62 zeigt die noch tiefe Meeresbucht und zur Orientierung die Orte in einer noch zu identifizierbaren Schreibweise.

In unserer Zeit gibt es den einst von der Nordsee geschaffenen Meereseinbruch nicht mehr. Mit „Harlebucht" wird heute der in diesem Bereich vorhandene junge Marschboden bezeichnet. Hier gibt es keine Wurten. Nur an den Rändern der ehemaligen Bucht finden sich diese aus älteren Zeiten (Punkte in der u.a. Karte von Schucht).

Die Groden um Groden erfolgte Rückgewinnung bewirtschaftbaren Landes von der Nordsee waren jahrhundertelange Projekte, welche auch höchste Regierungskreise bewegte. So musste ab 1666 für den Teil der noch offenen Bucht die Landesgrenze zwischen den Ländern Oldenburg und Ostfriesland festgestellt werden. Es entstand die „Goldenen Linie".

Es gibt zur Harlebucht viele weitergehende Literatur. So von Carl Woebcken, Friedrich Schucht, aus neuerer Zeit von Karl-Ernst Behre und Michael Pajonk. Auch über Wikipedia sind viele weitere Informationen erreichbar.

Zurück zu Balthasar Arend. In seinem Nachlass finden sich auch die Zeit-, Jahr- und Tagweiser des Harlingerlandes", die von Beobachtungen aus der damaligen Zeit, Erzählungen von Augenzeugen etc. handeln. H. Reimers berichtet in seinem Vorwort im o.a. Buch, es sei eine Zusammenstellung daraus "in dem Unterhaltungsblatt zum Anzeiger für Harlingerland 'Für die Feierstunden' veranstaltet und im Sonderdruck als Broschüre erschienen". Das Jeversche Wochenblatt hat im Jahre 1923 einen Teil davon übernommen.2) Das Jeversche Wochenblatt aus dieser Zeit ist über die Landesbibliothek Oldenburg digital einsehbar - der Text ist allerdings, wie seinerzeit üblich, auch in Frakturschrift gesetzt.

 

1911
Die Eindeichung der Harlebucht (Schucht 1911), ergänzt.
rot: Landesgrenze Oldenburg/Ostfriesland, grün: Küstenlinie um 1684
waagerecht schraffiert: alte Marsch, diagonal schraffiert: Geest

Fußnoten

1) Reimers hat schon vor der Buchveröffentlichung in der Zeitschrift „Die Tide" im mehreren Ausgaben von 1922 bis 1924 die Landesbeschreibung bis Kapitel 164 (von 459) abgedruckt - auch in Fraktur.

2) 04.03. „Der Chronist und seine Werke",
11.03. „Das Rietberger Grafengeschlecht",
18.03. „Harlingerland unter der Herrschaft der Cirksena",
15.04. „Harlingerland im 30jährigen Krieg",
27.05. über das kirchliche Leben im Harlingerland,
09.06. „Die Harlingerländer vor Friedeburg",
01.07. „Flutzeichen und Deichsorgen",
22.07. „Wind und Wetter",
30.09. „Mißwachs, Seuchen und teure Zeiten",
09.09. „Wunderdinge aus alter und neuer Zeit"
07.10. „Strandsorgen und Strandsegen".

Neuere Ausgabe vom "Zeit-, Jahr- und Tag-Weiser des Harlinger-Landes": 1687 / Balthasar Arend ; herausgegeben, erläutert und mit Abbildungen und mit alten Karten versehen von Georg Murra-Regner (Ostfriesische Landschaft)

 

Quellen:

Balthasar Arends Landesbeschreibung des Harlingerlandes. Herausgegeben von Dr. H. Reimers. Wittmund 1930,
Reprint 1993.
Im Staatsarchiv OL: NLA AU, Rep. 241, A 174.
Der Reprint ist in der Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft in Aurich einsehbar.

Andreas-Michael Pajonk, Die Harlebucht. Oldenburg 2003

Arend W. Lang, Kleine Kartengeschichte Frieslands zwischen Ems und Jade. Norden 1989.

Karte „Typus Frisiae Orientalis " nach Ubbo Emmius. In::„Theatrum orbis terrarum, sive, Atlas novus" von Willem Janszoon und Joan Blaeu (1645/1662).
entnommen aus: aus: GenWiki Harlingerland
http://wiki-de.genealogy.net/Harlingerland

Karte zur Eindeichung der Harlebucht (Ausschnitt): Friedrich Schucht, Die Harlebucht. Ihre Entstehung und Verlandung. In: Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands. Aurich 1911.

Zum Weiterlesen und -forschen über die Harlebucht u.a.:

Holger Winkler, Der Hafen von Jever. In:Historienkalender auf das Jahr 1995, S.112 ff

Enno Jürgens, Die Siele der östlichen Harlebucht. In: Historienkalender auf das Jahr 1998, S.33 ff

Enno Jürgens, Friederikensiel - Ein Sielort. In: Historienkalender auf das Jahr 2000, S.61 ff

Harlebucht erfahren (Projekt des Regionalen Umweltzentrums Schortens)

 

Keine Rechtschreibhilfe hilft bei der Abschrift eines so alten Textes. Es schleichen sich immer wieder heutige Schreibweisen ein. Dank an WK für die zeitintensive Kontrolle.

V. Bleck, Januar 2021