Zur Grabkammer unter dem Edo Wiemken-Grabmal

Spurensuche

Seit mehreren Jahrhunderten besteht für die Bürger Jevers, auch für die Forscher der lokalen Geschichte, die Frage nach dem Verbleib von Fräulein Maria nach ihrem Tode am 20. Februar 1575. Die Sage, dass sie in einem Gang verschwand und die Menschen hier auf ihre Wiederkehr warten, bildet den lokalen Mythos und verbindet.

Nun hat Jever in der Stadtmitte ein prunkvolles Grabmal. Dieses Grabmal wurde in den Jahren 1564 bis 1566 erstellt. In Auftrag gegeben, nach bisheriger Kenntnis von Fräulein Maria - für ihren Vater Edo Wiemken, gestorben 1511. Durch den direkten Zusammenhang mit der heutigen, modernen Kirche halten viele Besucher der Stadt diesen älteren Bau für eine Kapelle, einen Teil der Kirche. In früheren Zeiten gehörte das Grabmal auch in den Chor der Kirche. Spätestens mit dem Kirchenbrand 1728 wurde klar, dass das filigrane Renaissance-Denkmal geschützt werden muss. Aber erst Jahrzehnte später interessierten sich Gelehrte für das im Laufe der Zeit stark beschädigte Denkmal. 1891 wurde daher eine Schutzwand direkt hinter dem damaligen Altar vom Chor eingezogen (Ahmels, S. 278 FN15). Diese Mauer schützte das Grabmal auch beim letzten Kirchenbrand 1959. Heute haben die neue Kirche und das Grabmal einen Verbindungsbau mit gemeinsamen Vorraum. Das Grabmal ist durch eine große Glaswand zu besichtigen. Eigentümer des Grabmals ist das Land Niedersachsen als Oberste Denkmalbehörde.

Hinter der großen Glaswand sehen wir seit Monaten jetzt mehr Baugerüste als den Sarkophag und den ihn umgebenden hölzernen Kuppelbau mit den Karyatiden, korinthischen Säulen, Risaliten, trauernden Knaben mit umgekehrten Fackeln in zwei Etagen mit Pfeilern, Säulen und Baldachin. Zur Zeit wird das Grabmal restauriert: untersucht, schädliche Einflüsse sollen minimiert, Absackungen gebremst werden, damit das Grabmal eine Zukunft hat.

Da so viel und lange geforscht und restauriert wird, erinnert man sich, dass sich dort unterhalb des Prunkbaues eine wirkliche Grablege befindet. Diese ist in ihren Bestand zwar offensichtlich nicht gefährdet, aber wissen möchte man wohl, wer dort begraben ist. Mit unserer heutigen Genforschung ließen sich vielleicht völlig neue Erkenntnisse erbringen!?

Ahmels_Grundriss-Grabmal Ahmels_Querschnitt_Grabmal
Risse von Carl Ahmels aus seiner Doktorarbeit von 1916.
Die Grabkammer erscheint unauffällig.

Denn eine Frage beschäftigt die interessierte Heimatforschung: Ist Fräulein Maria auch dort begraben?

Wie also ist die Grablege zu erreichen? Carl Ahmels in seiner Doktorarbeit von 1916: „Zentral unter der Anlage befindet sich eine kleine tonnengewölbte Gruft von 2,32 m Länge, 1,30 m Breite und 1,65 m Höhe, durch einen nach außen sich erweiternden Eingang vor der Front durch Treppenstufen erreichbar, dessen Zugang jedoch vermauert ist" (S. 260).
Diese Daten hat Ahmels aus dem Bericht der letzten Begehung der Kammer im Jahre 1885. Heute ist kein Eingang zu erkennen, die dortigen Fliesen geben dazu keine Anhaltspunkte.

Diesen Bericht von 1885 sollten alle Interessierten kennen. Schon vor der damaligen Jahrhundertwende gab es aber Diskussionen und Zweifel an der Zuordnung der Personen. So soll Prof. Dr. Riemanns Aufsatz 1921 im Aprilheft der „Tide“ laut Hohnholz Irrtümer und Unrichtigkeiten verbreitet haben. Hohnholz als 'Kurator' des Heimatvereins veröffentlichte daher im Jeverschen Wochenblatt den Text des Berichtes (JW 19.05.1921):

Fräulein Marias Grabstätte.

Bericht über die Untersuchung des Grabgewölbes unter dem Denkmal in der Stadtkirche zu Jever am 15. Juli 1885.

An Seine Königl. Hoheit den Großherzog.

Ew. Königlichen Hoheit Befehle gehorsamst Folge leistend, war für den 15. Juli alles vorbereitet, um eine Untersuchung des Gewölbes unter dem so an ziehenden Denkmal Edo Wiemkens Papinga vornehmen zu können. Ew. Königliche Hoheit geruhten alsdann diese Gruft jenes tapferen, großen Zielen nachstrebenden und niemals rückwärts weichenden Geschlechtes in Augenschein zu nehmen. Der letzte Sproß der groß angelegten Papinga, das Fräulein Maria, Dochter to Jever, verkörperte in sich mit weiblicher Zartheit den Muth und die Festigkeit der Geharnischten, sie war eine echte Tochter ihres gewaltigen Vaters, aber auch eine kluge feingebildete Frau, die unter Umständen hart sein konnte.

Ihr ganzer Lebenskampf ist vielfach geeignet, unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Noch immer lebt sie im Volkmund, läßt die Sage sie doch nicht sterben. Sie war es, welche in den Jahren 1561—1564 das oben berührte Denkmal ihrem großen Vater erbauen ließ. Da es bisher nicht bekannt ist, wo Maria ihre letzte Ruhestätte gefunden hat, so lag es sehr nahe zu vermuten, daß Maria neben ihrem großen Vater, bei ihrem 1575 erfolgten Hinscheiden, beigesetzt sei. Eine Frage, über welche die weitere Untersuchung nachstehende Erklärung giebt.

Die am 16. Juli Morgens vorgenommene Oeffnung des vermauerten Grabgewölbes unter dem Denkmal des Edo Wiemken, Herrn zu Jever, in der Stadtkirche daselbst, ergab ein schlichtes, weiß getünchtes Tonnen-Gewölbe von 1,65 Meter Höhe, 2,32 Meter Länge und 1,30 Meter Breite. 0,43 Meter über dem Fußboden, welcher mit einfachen Ziegeln belegt ist, befinden sich 4 starke eiserne Querstangen in die Seitenmauer eingelassen. Auf diesen Stangen steht in der Mitte ein bereits zusammengesunkener Sarg von Eichenbohlen, zu beiden Seiten desselben je zwei kleine Särge von etwas über l Meter Länge. Diese Särge tragen jeder die Jahreszahl 1562. Der große Sarg von über 2 Meter Länge hat keine Jahreszahl. Alle 5 Särge sind von puritanischer Einfachheit. Kein Schild, keine Zierung, nicht einmal Griffe waren zu finden. Der Inhalt der genannten kleinen Särge beweist, daß in demselben nicht etwa die irdischen Ueberbleibsel von Kindern eingeschlossen sind, sondern daß dieselben zur Aufbewahrung der Gebeine Erwachsener dienen.
Darauf deutet schon die Jahreszahl 1562. Wir dürfen daher mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß sich in denselben die Reste von

  1. Heilwig, Gemahlin Edo Wiemkens, geborene Gräfin von Oldenburg, vermählt 1498, gestorben 1501,

  1. Junker Christoph von Jever und seiner Zwillingsschwester

  2. Anna, geboren 1499, gestorben 1536, Christoph geboren 1499, gestorben 1518,

  1. Dorothea, geboren 1501, gestorben 1524 ( ?) befinden.

Als Maria, die Herrin von Jever, den Bau des herrlichen Denkmals, welches sie zu Ehren ihres Vaters errichten ließ, der Vollendung entgegen geführt sah, ließ sie auch die Gebeine ihres mit Recht berühmten Vaters in dies enge Gewölbe überführen, vermutlich auch mit einem neuen Sarge versehen. Diese Vermuthung gründet sich erstlich auf die Gleichmäßigkeit der durchaus schlichten Arbeit, völlig gleich mit jenen zuerst genannten kleinen Grabkisten, in denen die Gebeine Erwachsener niedergelegt sind, und ferner, weil in den zusammen gesunkenen Gliedern nicht die Spur von Waffen oder Zeichen gefunden, auch der Sarg selbst mit keinem Zierrath irgend einer Art versehen ist; selbst die Jahreszahl fehlt. Das noch erhaltene dunkel braune Haar aber deutet mit Sicherheit auf einen Mann. Die Leiche selbst war in einen groben wollenen Stoff eingewickelt. In den kleinen Särgen waren die Gebeine besser erhalten, dahingegen keine Stoffe, wohl aber in dem ersten rechts stehenden Sarge zwei 60 Ctmtr. lange, goldig rothe Haarflechten vorhanden. Daß diese beiden Flechten in einem der kleinen Särge gefunden sind, berechtigt meines Erachtens nicht zu dem Schluß, daß dieser vielleicht allein die Reste der beiden Geschwister Anna und Dorothea umfaßt, da sich z. B. nur ein Schädel vorfand.

Nachdem die vorbenannten Gegenstände wieder in die Särge gelegt waren, wurde die Gruft Nachmittags zwischen 6 und 7 Uhr wieder durch Meister Onnen vermauert. Von dem wollenen Stoff und den Haarflechten sind kleine Proben mitgenommen. Ueber das Begräbnis des Fräuleins Maria von Jever wissen wir nur, daß, nachdem sie am 20. Februar 1676, Nachmittags zwischen 4 und 8 Uhr entschlafen ist, ihr Erbe Graf Johann von Oldenburg am 24. desselben Monats in Jever eintraf und sie angeblich in dem von ihr erbauten Erbbegräbnis beisetzen ließ. — Spuren davon sind unter dem Denkmal, wenn dieses gemeint, nicht gefunden. Für einen zweiten großen Sarg wäre auch durchaus kein Platz gewesen. Die schönste Sage des grünen Jeverlandes ist von der strengen Forscherin — Geschichte — mithin noch nicht in die nüchterne Feststellung der Thatsachen übergeführt.

Jever, den 16. Juli 1885.
Unterthänigst
Kammerherrn-Stab.
gez. v. Alten.

 

Hohnholz kommentiert anschließend:

Aus dem Bericht ergibt sich also
1. daß sich unter dem Denkmal ein kleiner Grabkeller befindet,
2. daß in der Gruft ein großer Sarg mit den Ueberresten eines Mannes, Edo Wiemken II ., steht,
3. daß vier kleine Grabkisten, die 1562 hineingestellt wurden, den noch übrigen Raum ausfüllen,
4. daß Maria nicht unter dem Denkmal bestattet ist.

Die Vermutung Herrn von Altens, daß Maria 1562 auch den Sarg ihres Vaters erneuern ließ, scheint mir recht schwach begründet, besonders da gerade allein an diesem Sarge die Jahreszahl fehlt. Keine der festgestellten Tatsachen widerspricht der Annahme, daß Edo Wiemken schon 1511 in dieser Gruft Mitten unter dem Denkmal beigesetzt wurde.
Maria aber hat, wie feststeht, aus dem Chor in unserer evang. Kirche, nicht unter oder in dem Denkmal, sondern vermutlich westlich vor demselben, etwa wo jetzt der Altar ist, ihre letzte Ruhestätte gefunden.


Der Kern der Auseinandersetzung und des Interesses ist also die Frage nach dem Verbleib von Fräulein Maria. Hat sie das Grabmal (auch) für sich erbauen lassen? Ist der Sarkophag für sie verschwunden? Georg Sello: „Daß im schroffem Gegensatz zu ihrer [Marias] eigenen künstlerischen Fürsorge für ihr Grab, zu welchem ursprünglich der untere Teil des jetzigen Epitaph-Aufbaues allein bestimmt war, ihre Grabstätte selbst völlig in Vergessenheit geraten, ist eine unbegreifliche Schicksalsfügung."

Carl Ahmels zur ihrer Grablege: „Ihr Grab wird in Jever an keiner Stelle markiert. Augenscheinlich ruht sie in der Kirche unter einem eigenen Grabstein, welcher nach einem Kirchengrundriss von 1724 in dem erst 1642 errichteten nördlichen Anbau des Kirchenschiffes lag." (S. 278 FN14).
Bei diesem Kirchengrundriss handelt es sich um das Pergament, welches Hein Bredendiek im Historienkalender 1974 beschreibt. Er weist dort auch auf die Diskussionen um die Örtlichkeit Frl. Marias Grablege hin. Das Pergament und Bredendieks Bericht ist unter Der altjeversche Kirchhof einsehbar.

Ob bei den jüngsten archäologischen Untersuchungen nach den Kirchenbrand von 1959 von Marschallek und anderen weitere Erkenntnisse zur Grablege Fräulein Marias gewonnen wurden, habe ich nicht ermittelt.

Es bleibt die Frage: Ist unsere Neugier ein Grund, die Totenruhe in der Gruft zu stören? Was für neue Erkenntnisse können gewonnen werden? Gen-Untersuchungen können vielleicht eindeutiger die Zuordnung der Gebeine klären. Aber wofür ist das wichtig? Hunderte andere Gebeine des Friedhofes umher wurden bei der Sanierung des Kirchplatzes ab 2006 ohne jegliche Scheu und Sorge - auch ohne archäologische bzw. wissenschaftliche Begleitung - weggebaggert, zum Teil in der Landschaft verteilt oder (auf Druck einiger Leute im Heimatverein) im Friedfeld Utlander Weg neu beerdigt. Alle namenlos.


Quellen:

Dr. Ing. Carl Ahmels, Königl. Regierungsbauführer in Hannover (Doktor-Dissertation), Über die Renaissance-Kunstdenkmäler unter Maria von Jever und ihre Entstehung.
Veröffentlicht im Oldenburger Jahrbuch für Altertumskunde 1916/17 , S. 249 - 307, hier besonders S. 260 - 278.

Jeversches Wochenblatt JW_1921-05-19 Nr. 114 In der Beilage 'Für die Feierstunden'. Die römische Zwei zu Beginn des Textes weist darauf hin, dass Hohnholz in einer vorherigen Ausgabe der Zeitung/Beilage bereits weitere Aussagen zum Denkmal machte. Jedoch sind die Zeitung-Scans der Landesbibliothek Oldenburg unvollständig. Die vorherigen Beilagen in Nr. 110 bis 113 fehlen. Der obige Bericht gibt den Abdruck in der Zeitung wieder (lt. Landesbibliothek Oldenburg digital). In dem unten erwähnten Bericht von A. Sander findet sich unter der dortigen Fußnote 6 der Hinweis, dass sich der erste Teil im JW Nr. 112 befindet. Es gibt von diesen beiden Artikel in auch einen Separatdruck mit 8 Seiten im Oktavformat.

Jeversches Wochenblatt JW_1921-05-08 Zwischen Deich und Warf (lt. Landesbibliothek Oldenburg digital).

Georg Sello, Östringen und Rüstringen. 1928. S. 49.

Im Landesarchiv Oldenburg lagert unter der Signatur: NLA OL, Slg 10, Best. 297 B Nr. 65: Alten, Friedrich von: Bericht über die Untersuchung des Grabgewölbes unter dem Denkmal in der Stadtkirche zu Jever am 15. Juli 1885.
Ich habe dieses Dokument nicht eingesehen. Ob Hohnholz' Abschrift vollständig ist, bleibt offen. Er zitiert im genannten Separatdruck den Bericht des Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde in einen fast wörtlichen Auszug aus dem amtlichen Bericht des Herrn von Alten über die Oeffnung..." Dieser weicht jedoch von dem o.a. Bericht ab (u.a. in dem 'sich erweiternden Eingang').

 

Es gibt über die Jahrhunderte unterschiedliche Ansichten zu dem Denkmal bzw. dem Grab und dazu viel Literatur. Wer es wissenschaftlicher möchte, den verweise ich auf die Aufsätze u.a.:

Antje Sander, Ein merkwürdiges Denkmal": Die Restaurierung des Edo Wiemken Grabmals in Jever. In: Marschenrat zur Förderung der Forschung im Küstengebiet der Nordsee, Nachrichten 59/2022, S. 6 - 13.
Es wird ausführlich auf die Restaurations-Geschichte eingegangen. Dazu eine lange Literaturliste.

Grete Zwitters, Das Edo-Wiemken-Denkmal in Jever. In: Ein Blick zurück, Beiträge zur Geschichte des Jeverlandes. 1986, S. 24 - 40.
Auch hier eine ausführliche Restaurationsgeschichte und genaue Beschreibung der Figuren, sowie zum damaligen (wahrscheinlichen) Künstler Cornelius Floris bzw. dessen Werkstatt.

 

V. Bleck, April 2024