Ein Panorama Jevers
Ein Mann steigt die steile Stiege hinauf, unter einen Arm seine Zeichenmappe mitführend. Im halbdunklen Raum öffnet er die hölzerne Tür und tritt hinaus auf eine Galerie. Eine Böe frischer Morgenluft schlägt ihm entgegen. Einen schon seit längeren gehegten Plan endlich in die Tat umzusetzen, begibt er sich über eine hölzerne Balkenlage an den Rand zu dem umlaufenden Geländer. Zuerst muss der richtige Blickwinkel mit Bedacht gewählt werden. Frederik Christiaan Bierweiler, im fünfunddreißigsten Jahr stehend und gebürtig aus Amsterdam, saugt die Luft in sich auf. Die Nordsee ist nicht fern. Den bequemen Stuhl hat ihm Jürgen Oltmanns wie verabredet heraufbringen lassen. Tatsächlich scheint auch das Tageslicht seinem Vorhaben Respekt zu zollen. Langsam den Blick nach Süd-Westen gerichtet nimmt er die Mappe hervor und schlägt sie auf. Das Papier, noch jungfräulich weiß, vor sich haltend. Der gelernte Kupferstecher kann schon auf einige Jahre Erfahrung in seinem Metier zurückgreifen. Das Zeichnen und die anschließende zeitaufwendige Umsetzung, das Motiv auf die Kupferplatte zu schaben – waren schon immer seine Bestimmung gewesen; hat uns schöne und kunstfertige Arbeiten mit Erinnerungswert hinterlassen.
Mit dem Amtmann Anton Garlichs (unserm Altenmarktsvogt) als Stifter hat sich der Künstler gerade erst im März 1818 zu einer gemeinschaftlichen Kunst- und Verlagsbuchhandlung in Jever verbunden. Gleich mit ihrem ersten Werk haben sie "der Ehre unseres Landes ein würdiges Denkmal gesetzt", schrieb die heimatverbundene Presse, sogar in Oldenburg rühmend. Nach dem Porträt "unseres" Ulrich Jasper Seetzen, gemalt vom Kondukteur Dunker, hat Bierweiler zwei schöne Brustbilder in verschiedenen Größen geschabt. Dabei die Eigenart von dessen Physiognomie wohl treffend im Bild festhalten können. Mit einer neu errichteten Kupferpresse bestand der Plan, mit zwei Platten und auf Subskription, reichlich hundert Abdrücke von diesen Brustbildern zu fertigen. Für uns heute Nachlebende sind sie von großem Wert. Leider verstarb Anton Garlichs noch in dem ersten Jahr ihres Wirkens. Bereits im Mai des darauffolgenden Jahres verlegte F. C. Bierweiler sein noch junges Unternehmen nach Altona in die Nähe Hamburgs.
Panorama von Jever 1818 von F. C. Bierweiler |
Wenigen nur ist "die panoramische Ansicht" unserer Stadt, welche er im Jahre 1818 – also vor nunmehr zweihundert Jahren – geschaffen hat, bekannt geworden. Ausgeführt wurde das Schabkunstblatt in Aquatinta, bemessen in 267 x 382 mm und auf einer Platte abgedruckt. Merkwürdigerweise ist es mir außer dem in den Sammlungen unseres Schlossmuseums ausgestellten Exemplar niemals in den Wohnungen der Heimatfreunde begegnet; ebenso nicht auf meinen Besuchen der Märkte jemals untergekommen. Erstmalig entdeckt habe ich es in der Schrift "Das alte Jever" von unserem Ehrenbürger Karl Fissen im Jahre 1965 herausgegeben, auf einer Doppelseite recht eindrucksvoll abgebildet.
Gerade dieses, für mich realitätnaheste Panorama, enthält eine Fülle an bildlichen Aussagen und dokumentiert manches, was sich nicht bis in unsere Gegenwart erhalten ließ. Bis in den hintersten Grund hat F. C. Bierweiler gezeichnet, was seine Augen nur erfassen mochten. Und beinahe fotorealistisch wurde das Gesehene auf dem Kunstblatt eindrucksvoll wiedergegeben.
Inzwischen haben Sie gewiss herausbekommen, von welchem erhöhten Standort, der Künstler sein Panorama fertigte. Wenn jetzt ein Einheimischer antworten würde: "Von unserer Schlachtmühle natürlich!" So wäre die Aussage passabel.
Unsere Schlachtmühle als Typus eines Galerieholländers, die leider letzte ihrer Art in unserem Jever – von einst vier Schwestern, welche mit schweren Steinen ihren brotbackenden und -liebenden Einwohnern, den Roggen und später den Weizen mühevoll bereitet haben, wurde erst 1847 errichtet. Unser Zeichner befand sich im Jahre 1818, auf der Galerie des Vorgängerbaues, einige Meter näher an das Hookstief gerückt. Dieser war schon 1733, nach einem durch Feuer zerstörten Vorgängerbau errichtet worden und musste wohl wegen Baufälligkeit der heutigen Mühle weichen.
Karl Fissen hat bereits in dem Historien-Kalender auf das Jahr 1930 dieses Bild mit einem sehr kleinen Abdruck beschrieben. Besonders auf die historische Anlegestelle ist er hier näher eingegangen. Heute um so mehr interessant, da keine lebenden Einwohner sie noch mit eigenen Augen gesehen und über sie berichten könnten, möchten wir den Originaltext hier mit einfließen lassen. Zum besseren Verständnis der Örtlichkeiten haben wir die Hausnummern hinzugefügt.
Alt=Jever im Bild .... stellt der in unserm Heimatmuseum befindliche Kupferstich aus dem Verlag von Garlichs & Bierweiler eine für die damaligen Verhältnisse sehr gute graphische Leistung dar. Von heimatgeschichtlichen Interesse ist hier besonders der Vordergrund, auf dem noch die Hafeneinfahrt zu sehen ist (bezeichnet durch ein Schiff, das dunkelschraffierte Wasser und die dahinter aufsteigende Uferböschung). Der Hafen selbst ist leider durch die im Schatten stehenden alten Häuser dem Blick entzogen. Er befand sich in der Mitte der Schlachte. Nicht allzu weit von dem jetzigen (1930) Gasthof Naundorfs "Min Jeverland" erstreckte sich die Kaje, an der die größeren Schiffe anlegten. An diesem Kai lag oft bis nach Süßmilch [Schlachte 7] hin, dessen Kalkofen auf dem Bilde lustig dampft, Schiff an Schiff. Ungefähr in der Mitte zwischen Köster [Schlachte 25] und Naundorf [Schlachte 3] führte eine Brücke über das Tief, das sich hier wieder etwas verengte, um sich dann auf der anderen Seite, nach Büchner [Schlachte 26] zu, in einem breiteren aber kürzeren Hafenbecken, das allerdings leicht verschlickte, fortzusetzen. Hier konnten größere Schiffe natürlich nicht hingelangen. Dafür war hier der Liegeplatz der leichteren Boote, die von Tettens kamen. Die Gosse vor dem alten Büchnerschen Hause, das noch ein Zeuge aus der Hafenzeit der Schlachte ist, bezeichnet ungefähr die Grenzlinie des Hafens nach Südwesten zu. Hier machte das Tief einen scharfen Knick und floß an der Stelle, wo jetzt der große schwarze Bretterschuppen von Kückens steht, in den Hillernsen Hamm, der damals noch eine große zusammenhängende Fläche bildete, wie aus alten Bildern deutlich ersichtlich ist. An der Stelle wo jetzt das Köstersche Haus steht, war damals eine Lohgerberei. Die schön gepflasterte Wangerländische Straße, die wir heute benutzen, ist erst sehr viel später, nach Zuschüttung der Schlachte entstanden. Damals bog der Wangerländische Weg jenseits der Brücke nach rechts ab, ging längs der Häuserreihe bis zum Hause von Bargen [Schlachte 14], was früher kleiner war und folgte dann dem Lauf des Hookstiefs, das damals hinter Meenen [Schlachtmühle] bei dem jetzigen Sägewerk in die Schlachte mündete. Dieser Arm des Hookstiefs ist jetzt vollständig zugeschüttet.
Ausschnitt aus dem Panorama: Die Schlachte |
Etwa an dem Punkte des ungepflasterten Mittelteils der Schlachte, wo jetzt ein Hydrant der Wasserleitung steht, befand sich früher ein Kran zum Ab- und Umladen der Güter. Aus der Zeit, da die Schlachte noch als Hafen diente, stehen außer den erwähnten Häusern noch das von Feeken [Schlachte 6], das über die anderen hinausragende rote Haus [Schlachte 4], in dem früher Kaufmann Minssen sein Kolonialwaren- und Getreidegeschäft hatte, und das Dudensche Haus [Schlachte 2], das früher ähnlich wie der Schütting durch 4 Säulen gestützt wurde, unter denen man hindurchgehen konnte. An die alte Zeit der Schlachte erinnern ferner noch das (inzwischen ausgebaute) Haus von H. Faß [Schlachtstr. 30], das früher zwei Kornböden besaß und das Haus von S. Joosten (früher Kaufmann Mammen) mit der altertümlichen Galerie [Schlachtstr. 28]. Die Eingänge zu den Häusern gingen früher vielfach in Treppenstufen über die Bürgersteige hinaus. Erst später wurden letztere begradigt.
In dem wiedergegebenen Kalkofen von Süßmilch wurde Muschelkalk zum Vermauern gebrannt. Die Muscheln (Schill) kamen meist von Wangerooge. Der Schillfang bildete ja früher neben der Fischerei die Haupteinahmequelle der Wangerooger. Hauptabnehmer waren neben Jever, Oldenburg, Bremen, Ostfriesland und vor allem Uetersen (Holstein)....
Leider besitzen wir immer noch keine fotografischen Abbildungen dieses wirtschaftlich bedeutenden Standortes im alten Jever – von dem der Handel und das Gewerbe entscheidene Impulse empfangen musste.
Wollen wir uns nun der Stadt zuwenden, welche sich im Hintergrund uns öffnet: "Es verdient die Wahl des Standpunctes allen Beyfall[s], indem die Ansicht von demselben so ist, dass der Fremde glauben muß, es sey eine große Stadt." So begann die Beschreibung unseres Bildes in den Oldenburgischen Blättern von 1819 mit einem Porträt über die jeversche Kunsthandlung und ihre Druckerzeugnisse. "Auch sind aus diesem Grunde, ohne Zweifel, die Mühlen, außer der von Theilen, nicht aufgenommen ..." Kann der interessierte Betrachter des Panoramas die Mühle in dem Gewirr der Häuser wohl ausmachen? Den Anfang macht das übermässig große (für das damals kleine Jever) Haus des Kaufmann Diesendorf am linken Bildrand des Panoramas. Im Jahre 1801 ließ er es mit einem geräumigen Gewölbekeller ausgestattet erbauen. Dieser leistet vermutlich dem heute dort befindlichen Bankhaus gute Dienste. Hinter dem Gebäude sind ein Teil der Kasernen auszumachen. Ausschnitt aus dem Panorama: Am Alten Markt |
Weiterziehend verschwindet der mächtige Schlosswall hinter dem uns näherstehenden Haus [3] mit den vier Kaminen auf seinen First. Ansichtig werden können wir nicht dessen im Dunkel liegende Kehrseite, nur zur Kaakstraße ist die Fensterfront ersichtlich. Zum Jahreswechsel 1974/75 musste dieses über dreihundert Jahre alte Krughaus, unser "Schütting", dem Neubau der Landessparkasse weichen.
Dem Schütting vis-á-vis und noch vor dem Schloss geraten zwei heute nicht mehr vorhandene Gebäude in unser Blickfeld. Das giebelständige von einem (nur undeutlich zu sehenden) Herkules bekrönte Haus [4] mit dem im Anbau befindlichen Scheunentor, musste 1889, der Vergrößerung des Viehmarktes weichen. Daneben bzw. dahinter, vorder- und rückwärtig mit einem Krüppelwalm versehen (einzig auf dem Panorama), der Gasthof "zum blauen Haus", welcher später dem bekannten Handlungshaus von Bruns & Remmers [5] Platz bot. Nach einem Brand 1984 abgebrochen, steht hier heute ein mächtiges Wohn- und Geschäftshaus mit der Sonnenuhr an seiner Fassade.
Jetzt geht es gar "Herrschaftlich" weiter! Hinter den beiden bürgerlichen Häusern erhebt sich ein die umstehenden Gebäude überragender Bau, das Haupt-Burgtor [6] der Festung. In den Schlosswall eingefügt und mit Zugbrücken über den äußeren Schlossgraben passierbar, war hier der einzige Zugang zur Burg – unserem heutigen Schloss. Über dem Torgewölbe, mit markanten Frontispiz war die Wohnung des Capitäns, welcher das Kommando über die Wache führte.
Bei seiner vorbildlichen Wiedergabe des Panoramas Jevers – lässt uns allein der mächtig hochgezogene Unterbau unseres Schlossturms verblüffen. Dieser schon 1428 aufgemauerte Bergfried mit einer ungefähren Höhe von nur 24 Metern wurde augenscheinlich – zu großzügig bemessen. Seine spätere markante Gestalt erhielt er erst in Anhalt-Zerbster Zeit mit seinem hölzernen Aufbau; im Jahre 1736 mit der zwiebelförmigen Spitze vollendet.
Ebenfalls zu großzügig wiedergegeben erscheint neben dem Schlossturm die Spitze [7] eines früheren Treppenturms, in der Süd-Ostecke vom Innenhof des Schlosses stehend. Im Vergleich mit dem später noch zu erwähnenden Gemälde von Barnutz aber realistisch in seiner Höhe zu dem Unterbau – vom Schlossturm beobachtet. Auch auf einem Plan von 1824 " ... sämtlicher auf der Burg in Jever vorhandener Gebäude ..." ist seine Spitze eingezeichnet worden.
Darunter und über dem Dach des Haupt-Burgtores können wir gerade noch den geschweiften Renaissancegiebel des eigentlichen Schlosstores ausmachen. Schon bald wurde er durch eine Zinnenreihe ersetzt.
Schmerzhaft vermissen wir den "Kleinen Zwinger", den Turm an der nord-östlichen Ecke unseres Schlosses. Lugt seine Helmzier vielleicht hinter dem Gerichtsgebäude [8] hervor? Dessen hohes Dach ist auf dem Panorama rechts vom Schlossgebäude, gerade noch hinter dem im Aufsteigen begriffenden baumbestandenen Stadtwall zu erhaschen.
Auszug der Franzosen aus Jever im Jahr 1813, Gemälde von F. Barnutz, ausgestellt im Schlossmuseum |
Im Vergleich mit dem schon angesprochenen Plan von 1824 (Abb.im zweiten Band zur Ausstellung "Ferne Fürsten - Das Jeverland in Anhalt-Zerbster Zeit", S. 10; oder im Katalog "Ein Künstlerleben im Biedermeier - F. Barnutz", S. 14; Herausgabe beider Schriften vom Schlossmuseum Jever) könnte dieses angenommen werden.
Hinter dem Haupt-Burgtor und östlich unseres Schlosses werden wir einer Ansammlung verschiedener Gebäude gewahr: Die sogenannte Unterburg.
Das uns am nächsten stehende Haus mit dem durch zwei Gurtgesimse verzierten und nach Osten gerichteten Giebel [9] wird auf dem Plan von 1824 als Bibliothek beschrieben. Tatsächlich hat es bereits zu Zeiten von Fräulein Maria eine herrschaftliche Büchersammlung gegeben. Ein ihr nachfolgender Gönner war der später regierende Fürst Johann Ludwig von Anhalt-Zerbst. Als Oberlanddrost nach der kleinen Enklave Jever befohlen, hat er 22 Jahre auf dieser Unterburg residiert. "Des Prinzen Logement" hieß seine Wohnung, berichtet unser Braunsdorf, welche "eigentlich die Drostey genannt wurde."
Aus gräflich oldenburgischer Zeit besaß sie mehrere Säle und einen Bier- und Weinkeller. Auf unserem Panorama können wir die Drostei [10] hinter dem Dach von Möhring [1], mit ihrem überragenden Giebel, einen hohen Kamin und dem spitzen Turm ausmachen. Anschaulich auf dem Plan von 1824 (mit zwei Turmspitzen!) wiedergegeben – wo leider keine Kamine mit aufgenommen wurden.
Gerade von jenem in der Nähe wohnenden Heinrich Gerhard Möhring hat sich noch ein Antrag an die Hochfürstliche Kammer vom April 1793 erhalten. Darin bittet der Justizrat um die Aufsicht über jene Bibliothek, welche schon sein Vater, der Hofrat (und Leibmedikus) Möhring, innegehabt hatte.
Stammen die ältesten Gebäude noch aus den Anfängen des 15. Jahrhunderts, so werden sie in den nächsten Jahren gänzlich verschwinden - Raum schaffen für lauschige Plätze in dem neu anzulegenden Schlossgarten.
Hat F. C. Bierweiler seinen Blickpunkt von Nord-Osten aus der Höhe herab gewählt, so suchte ihn F. Barnutz mehr aus östlicher Richtung und zu ebener Erde. Wenn wir jetzt einige bauliche Unstimmigkeiten in den beiden Ansichten finden, so müssen wir dem Werk von Bierweiler leider größeren Respekt zollen. Er hat sein Bild im Jahr 1818 gezeichnet und den Druck ausgeführt. Unser Barnutz hat sein Werk mit dem Thema von 1813, erst im Jahre 1844 geschaffen – aus der Erinnerung. Da er als Sohn des Schlosshauptmanns auf der Festung aufgewachsen, können wir ihm aber schon zutrauen, die Situation auf dem Bild weitestgehend korrekt erfasst zu haben. Von links nach rechts gesehen, erscheinen hier, da dem Betrachter wesentlich näher gebracht, als auf dem Panorama Bierweilers: Justizrats Möhrings Haus, unser Schloss mit den Gebäuden der Unterburg und der Spitze des Treppenturms – halb so hoch wie der ansichtige Unterbau des Schlossturms (übereinstimmend im Vergleich mit dem Panorama). Hinter den Bäumen des Schlosswalls nur schemenhaft erkennen wir den Ranaissancegiebel des eigentlichen Schlosstores. Weiter folgt das Haupt-Burgtor – davor die bereits "feste" Brücke über den Schlossgraben. Mittig steht die bei Bierweiler nicht mehr erfasste Herrenpforte, daneben des Pförtners Wohnung und hinten das Gerichtsgebäude. Ebenfalls im Hintergrund sehen wir den baumbestandenen Stadtwall und am rechten Bildrand das Bürgerhaus mit dem Herkules als Giebelschmuck.
Ausschnitt aus dem Panorama: Innenstadt |
Ungefähr in der Mitte des Panoramas und über dem wahrlich mit Bäumen und Gebüsch reich bestandenen Grünen Garten, erhebt sich uns das Saalgebäude [11] vom "Schwarzen Adler", zumindestens seine nord-östliche Seite, mit den vier Fensterachsen werden uns ansichtig. Nach Süden, dem Alten Markt zugewandt, das alte Krughaus (Jever Fass) mit dem noch bestehenden Zwischenbau. Im Jahre 1956 musste der auch als Theatersaal einst gediente Gebäudeteil mit geräumiger Stallung und Wagenremise dem Neubau einer Werkstatthalle weichen. Heute, zweiundsechzig Jahre weiter, wurde jene Halle wieder dem Erdboden gleich gemacht, um Platz für eine Erweiterung des hier ansässigen Hotels zu schaffen.
So ist unser Stadtbild ständig Veränderungen unterworfen.
Weiter gen Norden folgen die dunklen Kehrseiten der Häuser an der Neuen Straße. Einzig die hohe, helle und fensterbesetzte Fassade von Joh. Franzen Onkens Haus [12] ist hier auszumachen, welches erst 1885 einem Neubau weichen musste. Auch das nebenstehende Anwesen [13] des Bankier Jaspers (Vater vom Erbauer des Jaspers Haus an Schlosserplatz), von dem wir dessen mächtigem Dach ansichtig werden, wich 1880 einem Neubau, welcher heute dem Brauerei-Shop seine Räume gewährt.
Schon hinter Onken seinem Haus beginnt der Bewuchs auf dem Stadtwall (oft erwähnt aber nicht zu sehen) merklich lichter zu werden, gibt uns zumindestens die Sicht auf das Rathausdach frei [14] mit der oben festlich im Winde (knatternden?) Fahne.
Wir sehen die Laterne auf den alten Glockenturm [15], noch unter Fräulein Maria errichtet, der bis zum Neubau des heutigen, im Jahre 1877, sein Dasein fristete. Die in der Form eines griechischen Kreuzes erbaute Stadtkirche beherrscht den ganzen rechten Teil des Panoramas . Vielleicht bemerkte erst hier der Künstler seinen Irrtum mit dem zu hoch erscheinenen Schlossturm. Wollte mit einen überdimensionierten Dachreiter auf der Stadtkirche, wieder einen Einklang schaffen.
Gut erkennbar der rückwärtige mit einem Gurtgesims gezierte Giebel des 1661 erbauten Bürgerhauses [16] ( heute der Bundeswehrladen ) am Kirchplatz. Sein helles Dach leuchtet geradeso vor dem dunkleren unserer Stadtkirche – im Sonnenschein.
Hat unser Zeichner etwa den lieben langen Tag auf der Mühle gesessen, seine Vorlage für den Kupferstich anzufertigen? Scheinbar wirft schon die Abendsonne ihr Licht auf unsere Stadt hernieder. Neben dem Bürgerhaus am Kirchplatz, trifft es besonders das Möhring'sche, den Saalbau vom Adler, das Haus von Onken, nicht zu übersehen im Vordergrund, ein Eckhaus an der Schlachte. Ihre Dächer vor allen erscheinen in gleißendem Licht getaucht. Daneben gibt es nur selten einen Schattenwurf zu beobachten. Die Scheune am unteren Bildrand besitzt den ausgeprägtesten. Nachstehend ist auch die Schauseite unseres Schlosses im Dunkel verborgen. Bald wird die Sonne im Nord-Westen untergehen.
Was lugt denn da, neben dem nördlichen Giebel der Stadtkirche hervor. Sind das etwa Windmühlenflügel? Höre schon die Betrachter raunen: "Natürlich unsere Bahnhofsmühle!" Und wieder ist es im Kern richtig, aber in der Aussage für 1818 ganz unwahrscheinlich. Den Bahnhof bekommen wir erst rund fünfzig Jahre später zu Gesicht. Diese Mühle am Fahrweg nach Cleverns war erst wenige Jahre vorher errichtet worden. Bei dem Nachsuchen einer Konzession zu ihrem Betreiben gab es heftige Proteste der anderen städtischen Müller. So musste die Mühle schon etwas besonderes aufzuweisen haben – warum nicht dann sechs Flügel. Ihr erster Besitzer der herrschaftliche Bauverwalter Theilen benannte sie die Mühle "Minerva", nach der römischen Göttin der Handwerker und des Gewerbes, wozu Letzterem auch die Müllerei gezählt werden darf.. Im Volksmund aber war sie gleich die "Haspelmühle."
Das höhere, nebenstehende Dach gehört zum Haus [17] der Kaufmannsfamilie Minssen. Ihre Erben veräußerten es 1862 an Mendelssohn. Seit 1932 bis in unsere Gegenwart waren hier die Kaufleute Reese tätig.
Weiter am rechten Bildrand erkennen wir in dem Häusermeer das langgestreckte Dach der "Drostenschule." Wie schon die Herrenpforte ist auch dieses Gebäude [18] mit dem Jahre 1818 eng verbunden. Die herzogliche Schulbehörde verlegte in diesem Jahr die Räume der Provinzialschule am Kirchplatz, wegen Baufälligkeit und drängender Enge nach der Drostenstraße. Später ging aus dieser höheren Schule das Mariengymnasium hervor. Noch dahinter erkennen wir das wenig höhere Dach der alten Münze [19] an der St. Annenstraße, von der uns Braunsdorf berichtet, Fräulein Maria hätte 1560 selber den Grundstein gelegt.
Darunter, am rechten Bildrand in Höhe der Schlachtstrasse, können wir ein kleines Häuschen [20] mit spitzen Dach erkennen: Die Kampütte?
Aber ist sie es wirklich? Laut einer Aussage des Bauingenieurs Lasius von 1816 war da noch kein Spitzdach auf dem Brunnenhaus, sondern ein achteckiger steinerner Turm mit einer Mühlenkappe ähnlichen Haube. Im Jahre 1588 angelegt sollte die Kampütte die Bewohner der Burg mit Frischwasser versorgen. Anfänglich waren tatsächlich wohl Mühlenflügel an einer Achse befestigt, den Wind nutzend. Über diese Achse und einen komplizierten Mechanismus wurde ein Pumpenwerk betrieben, welches das Wasser über bleierne Röhren, wegen des ansteigenden Geländes, tranportieren konnte. Recht anfällig war das Werk - schon bald versagte es den Dienst. Bereits auf dem ältesten Panorama Jevers von 1742 erhebt sich der flügellose Turm deutlich über den Dächern der umstehenden Häuser. Und dass die Kampütte schon zwei Jahre nach Lasius seinen Bericht an die herzogliche Kammer ihr Spitzdach erhalten habe, macht ein Aquarell des schon erwähnten Kondukteurs Dunker, ebenfalls ein Panorama malend, zunichte. Es stammt nämlich aus dem Jahre 1824 und präsentiert uns noch den Turm auf dem Brunnenhaus.
Wilke Krüger, Weihnachten 2018
Quellen:
C. F. Bierweiler, "Panoramische Ansicht Stadt Jever", 1818, Druckgrafik, Schlossmuseum Jever
F. Barnutz, "Auszug der Franzosen aus Jever im Jahr 1813", 1844, Gemälde, Schlossmuseum Jever
Jeversches Wochenblatt Nr.11 vom 16ten März 1818. Notificationen 8 - 1: Anzeigen der Firma Garlichs und Bierweiler
Repro und Gestaltung: V. Bleck
Als Ergänzung: Garlichs und Bierweiler empfehlen sich 1818 der jeverländischen Leserschaft des Wochenblattes